Hedy Lamarr: Filmstar, Erfinderin und oft innerlich zerrissen

Bücher, Filme, ein Lied und ein Kaufhaus würdigen die Ikone Hedy Lamarr, deren Wirken lange vergessen schien. Und die ein spannendes Leben hatte.

Es ist eine Geschichte, geradezu gemacht für einen Roman. Die junge Schauspielerin Hedwig Kiesler aus einem jüdisch-bürgerlichen Elternhaus in Wien-Döbling zeigt sich Anfang der 1930er im damaligen Skandalfilm „Ekstase“ nackt und noch dazu in sexueller Erregung. Sie heiratet den reichen, schwer dubiosen Waffenproduzenten Fritz Mandl, der – obwohl er jüdische Wurzeln hat – Geschäfte mit faschistischen Regimen macht und sie hinter herrschaftlichen Mauern festhält.

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Sie verkleidet sich als ihre Zofe und flieht nach London. Dort nimmt sie Filmstudio-Boss Louis B. Mayer für MGM unter Vertrag. Er gibt ihr den Namen Hedy Lamarr und macht sie in Hollywood groß.

Sie wird ein Filmstar, spielt in Straßenfegern wie „Algiers“ oder „Samson und Delilah“. Außerdem entwickelt sie, um Nazi-Deutschland zu schaden, mit dem Komponisten George Antheil das Frequenzsprungverfahren, das der Funk-Fernsteuerung von Torpedos dienen soll. Vielen gilt das heute als Grundlage für WLAN und Bluetooth.

Der Roman „Die einzige Frau im Raum“ der US-amerikanischen Autorin Marie Benedict, der gerade auf Deutsch bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist, widmet sich diesem Part des Lebens Hedy Lamarrs. Er ist aus der Ich-Perspektive der Schauspielerin und Erfinderin erzählt. Nicht überall hält sich Benedict ganz an die Fakten, aber es ist eben ein unterhaltender Roman. Und der reiht sich ein in eine Reihe von Würdigungen.

Johnny Depp und "Wonderwoman" Gal Gadot 

Die Ikone wird seit geraumer Zeit neu entdeckt. 2017 sorgte der Dokumentarfilm „Bombshell“ beim renommierten Tribeca Film Festival für Furore. Johnny Depp veröffentlichte im Vorjahr mit Jeff Beck die Single „This Is A Song For Miss Hedy Lamarr“. Die israelische Schauspielerin Gal Gadot – vor allem bekannt als „Wonderwoman“ – soll als Produzentin an einer Miniserie arbeiten und auch selbst die Aktrice und Wissenschaftlerin verkörpern. Im neuen Buch „Solange wir leben“ des deutschen Erfolgsautors David Safier spielt eine schöne junge Frau, die an Lamarr erinnert, ebenfalls eine wichtige Rolle. Und gerade entsteht auf der Wiener Mariahilfer Straße ein neues Kaufhaus, das nach ihr benannt sein wird und sie an verschiedenen Stellen würdigen soll.

Was ihr in diesem Artikel noch lest:

  • Warum Hedy Lamarr wieder entdeckt wird
  • Welche Widersprüche ihr Leben aufwies
  • Was der Waffenfabrikant Fritz Mandl an sich hatte, dass sie ihm verfiel

    „Ich denke, sie wird wegen der technologischen Entwicklungen, mit denen wir tagtäglich umgehen, wiederentdeckt. Sie hat mit George Antheil den Grundstein dafür gelegt“, sagt Danielle Spera, die als Kuratorin der Kaufhaus-Schau an Bord ist. „Zu ihrer Zeit hat sie wenig Bekanntheit dafür erfahren. In der New York Times vom Oktober 1941 gibt es eine winzige Meldung. Darin steht: die Schauspielerin Hedy Lamarr hat das Frequenzsprungverfahren erfunden und als Patent eingereicht. Das war’s.“

    Sie habe nie ihren Pioniergeist in den Vordergrund gestellt. „Es war vermutlich die Rolle, in die sie als Hollywood-Star gedrängt wurde. Sie hatte diese Rolle zu spielen, auch jenseits der Filmindustrie“. Selbst als das US-Militär Jahre später auf das Patent zurückgriff und mit ihren Ideen weiterarbeitete, habe sie nie Forderungen gestellt. „Das ist schon erstaunlich. Sie war eigentlich eine beharrliche Person und auch sehr kämpferisch. Sie hätte eigentlich fragen müssen, wieso man ihre Erfindung verwendet, ohne sie zu informieren, oder auch nur annähernd entsprechend zu beteiligen“, sagt Spera, die in ihrer Zeit als Direktorin des Jüdischen Museums eine Lamarr-Ausstellung ausgerichtet und sich darum bemüht hat, dass der Nachlass nach Wien kommt. Erst viel später wurde Lamarr geehrt.

    Hedy Lamarr und Spencer Tracy im Film „I Take This Woman“ aus dem Jahr 1940, der von der Kritik zerrissen wurde. 

    ©Courtesy Everett Collection / Everett Collection / picturedesk.com/Courtesy Everett Collection/picturedesk.com

    Widersprüche wie diese ziehen sich durch das ganze Leben Lamarrs. „Sie hatte immer diese Sehnsucht nach Wien. Nachdem sie Wien 1933 verlassen hatte, ist sie allerdings nur einmal zurückgekommen, 1955 und danach nie wieder.“ Sie habe oft Dirndl getragen und auch ihre Kinder in Lederhosen und Dirndl gesteckt. Sachertorte stand regelmäßig auf dem Tisch. Filmboss Louis B. Mayer verlangte, dass sie ihre europäische Herkunft, ihre Vergangenheit und ihre jüdische Religion verschwieg, verkaufte sie aber in Filmen als Ausländerin.

    Erstaunlich ist auch: Lamarr konnte nur schwer altern. Sie begann für damalige Zeiten vergleichsweise früh mit Schönheitsoperationen. „Sie wollte als schöne Person in Erinnerung bleiben. Auch das ist widersprüchlich. Einerseits wollte sie für ihren Intellekt anerkannt werden, andererseits bestand sie so sehr auf ihr Schönheitsideal.“ Immerhin hatte sie ihr Mentor Max Reinhardt einst als schönstes Mädchen der Welt bezeichnet. Während der Blütezeit ihrer Karriere kopierten viele Frauen in den USA ihre Mittelscheitel-Frisur. Ihre Haarfarbe Brünett wurde zur Modefarbe der späten 1930er. Als sie ihren Glanz zu verlieren glaubte, war ihr Erfindergeist groß. „Sie hat Ärzte herausgefordert, neue Schnitte in ihrem Gesicht zu setzen.“

    Keine Lust auf Hollywood

    Lamarr muss einerseits eine humorvolle Frau gewesen sein – davon zeugen Nachrichten und Gedichte an ihre Kinder. Andererseits war sie wohl auch nicht wirklich glücklich. Sie war sechs Mal verheiratet. Aufputschende und beruhigende Drogen, die den Schauspielern von den Filmstudios mit Nachdruck empfohlen wurden, taten wohl ihr Übriges. Im fortgeschrittenen Alter fiel sie dann auch noch durch Ladendiebstähle auf. Andy Warhol inspirierte das zu seinem Film „Hedy“.

    Als elegante Frau im mondänen Rahmen blieb sie in Erinnerung: Hedy Lamarr mit Regisseur Jean Negulesco auf einem Filmset im Studio von Twentieth Century Fox.

    ©Corbis via Getty Images/Jerry Cooke/Getty Images

    „Das Spannende war, dass sie die Hollywood-Szene und -Partys gemieden hat. Sie war auch gerne alleine und hat gezeichnet, gemalt oder geschrieben.“ Wenn sie mit jemandem zusammensaß, habe sie sich gerne über Technik unterhalten. Eine Liebe, die ihr der Vater mitgab. Schon als Kind baute Hedwig Kiesler Spielzeug auseinander – und wieder zusammen. Sie entwickelte wenig erfolgreich einen Brausewürfel für Cola oder soll für ihren Partner, den Luftfahrt-Tycoon Howard Hughes, einen neuen Typ Flugzeug entworfen haben. Dazu soll sie Hilfsmittel für körperlich Beeinträchtigte erfunden haben. „Sie wollte mit ihren Erfindungen die Welt verbessern, doch das meiste hat sie nicht zu Ende geführt“, berichtet Spera.

    Der Grund für das Tüfteln am bis heute nachwirkenden Frequenzsprungverfahren war ein tragischer. Das britische Schiff „City of Benares“ war 1940 bei einem deutschen Torpedoangriff getroffen worden. An Bord waren unter anderem 90 Kinder, die mit Hilfe einer Kinderhilfsorganisation aus Großbritannien nach Kanada in Sicherheit gebracht werden sollten. 77 der Kinder wurden getötet. „Ihre Kinder berichteten, dass sie das sehr aufgewühlt hat.“ Ihr Anliegen war, eine Funksteuerung für Torpedos zu entwickeln, die der Feind nicht stören konnte. Als sie dem US-Militär ihre Idee unterbreitete, folgte eine Enttäuschung: „Es hieß, es sei besser, wenn sie Kriegsanleihen verkaufe. Sie engagierte sich und sammelte 25 Millionen Dollar. Das war beeindruckend, aber nicht das, was sie eigentlich wollte.“

    Danielle Spera: Kulturmanagerin, Publizistin, Lamarr-Expertin

    ©Kurier/Gerhard DEUTSCH

    Was wollte sie eigentlich? Das ist nicht immer nachvollziehbar. Oft lehnte sie große Rollen ab. So war sie eigentlich für Casablanca vorgesehen, teilte sie später mit.

    Hedys wilder Ehemann

    Wen sie als noch ziemlich junge Frau wirklich wollte, war der deutlich ältere Waffenhersteller Fritz Mandl. „Er muss ein interessanter Mann gewesen sein. Er war nicht attraktiv, aber muss sehr charmant gewesen sein. Mandl hatte wohl eine besondere Aura, sodass ihm die Frauen der Reihe nach verfallen sind“, sagt Spera. Er hatte viele Ehefrauen und Geliebte. Das Geld allein war es nicht, das so anziehend wirkte. „Da war schon mehr. Ich weiß von einer seiner Partnerinnen, die ihren Mann und zwei Kleinkinder verließ, nachdem sie Mandl getroffen hatte.“ Dazu habe er sehr viel Sexualität ausgestrahlt. „Lamarr suchte einerseits das Spannende in diesem Mann. Andererseits war es wohl auch die finanzielle Sicherheit. Ihre Eltern hatten für sie einen bürgerlichen Weg gesehen.“

    Es sollte anders kommen. Was für eine Geschichte, was für eine Frau.

    Daniel Voglhuber

    Über Daniel Voglhuber

    Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember 2020 über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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