Olé, Oléoléolé: Fußball-Fangesänge im Check

Gay-Hymnen als Stadion-Schlachtgesänge, "Yes Sir, I can Boogie" als Kampfansage. Wie werden im Fußball die unwahrscheinlichsten Songs eigentlich zu Fan-Favorites?

Fußball und Pop – eine Beziehung, die lange Zeit von Missverständnissen geprägt war. Zumindest im deutschsprachigen Raum. Denn während in anglophonen Ländern schon seit Jahrzehnten die offiziellen, zu den jeweiligen Fußball-Großevents komponierten „Hymnen“ bereitwillig aufgenommen und von den Fans in den Stadien gesungen werden, geraten die österreichischen Versuche, ebenso wie die deutschen,  meist recht schnell in Vergessenheit. Und man ist durchaus geneigt hinzuzufügen: zum Glück.

Oder finden sich tatsächlich Musikfreunde, die zuhause freiwillig die „Wunderknaben“ anhören? Der unvergessene Udo Jürgens hat den Titel 1998 komponiert, um das österreichische Fußballteam auf die WM in Frankreich einzustimmen. Der Motivationseffekt hielt sich, ebenso wie die Nachhaltigkeit des Songs, in mehr als überschaubaren Grenzen. Dabei war man beim ÖFB durchaus stolz und froh, den preisgekrönten Kärntner Songschreiber endlich für ein österreichisches Projekt gewonnen zu haben, hat er doch – wie sein Kollege Peter Alexander – seine Dienste bis dahin immer den deutschen Nachbarn angedeihen lassen.

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„Buenos Dias Argentina“ sang er, im für Deutschland eher unglücklichen WM-Jahr 1978, wofür Österreich bekanntlich in Córdoba postwendend schreckliche Rache nahm. Peter „der Große“ Alexander fuhr dafür mit „Kaiser Franz“ und dem deutschen Team 1986 nach Mexiko – tatsächliches Echo in den Fankurven der Stadien fand „México mi amor“ allerdings auch nicht.

Insel der Seligen

Die Briten haben – und hatten – in dieser Hinsicht eine wesentlich glücklichere Hand. 1998, also zur selben WM, zu der das rot-weiß-rote Team mit Udo Jürgens’ „Wunderknaben“ reiste, schrieb Blur-Bassist Alex James gemeinsam mit Schauspieler Keith Allen und Konzeptkünstler Damien Hirst den Hadern „Vindaloo“.

Und ja, wenn seither eine komplette Kurve voll englischer Fans „We’re gonna score one more than you!“ grölt, dann kommt das schon ganz schön mächtig rüber. Wobei der Refrain auch ganz einfach Partylaune macht, was auf den Rängen durchaus gefragt ist.

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Sehr gut zu hören auch bei einer anderen, hochoffiziellen englischen Fußball-Hymne: 1996, zur Heim-Europameisterschaft nahmen die englischen Comedians Frank Skinner und David Baddiel gemeinsam mit der Liverpooler Britpop-Band The Lightning Seeds den Song „Three Lions“ auf, genau, das ist der mit „Football’s Coming Home“. Und der erwies sich als Stadion-Hit für die Ewigkeit. 

Das gelang übrigens auch den Belgiern 1986 in Mexiko. Volks-Schlagerheld Grand Jojo komponierte damals seinen „Allez, allez“-Song, den er im Jahr zuvor für Anderlecht geschrieben hatte, ein wenig um, und schuf mit „Olé, olé, olé, olé“ einen Gassenhauer, der praktisch in ganz Europa zum etablierten Stadionliedgut zählt. Außer in Spanien, da singt man den aus irgendwelchen Gründen gar nicht ...

Zufällig im Stadion

So werden im Fußball durchaus Songs, die eigentlich für ein bestimmtes Team intendiert waren, auch von anderen aufgegriffen. Richtig spannend wird’s aber, wenn Hits, die ursprünglich überhaupt nichts mit Fußball zu tun hatten, plötzlich zum festen Bestandteil der Fangesänge werden. 

Einer der bekanntesten ist natürlich Queens „We Are the Champions“, der es 1994 schließlich sogar zum offiziellen Song der FIFA-WM in den USA schaffte. Inspiriert wurde Freddie Mercury dabei übrigens von einem anderen, adaptierten Fußball-Hit: In den 1970ern sangen die Fans bei einem Konzert „You’ll Never Walk Alone“ für ihn und seine Jungs. 

Geschrieben wurde dieser Song bereits 1945, und zwar vom Musical-Erfolgs-Duo Rodgers & Hammerstein, wobei die Herren  dabei wahrscheinlich an alles andere als an Fußball dachten.  Nämlich an ihr neues Broadway-Erfolgsstück „Carousel“. Auch die Jungs der Merseybeat-Combo Gerry and The Pacemakers, die den Titel 1963 in die britischen Charts brachten, hatten wohl nicht die Absicht, eine der legendärsten Fußball-Hymnen aller Zeiten abzuliefern. Das passierte ganz einfach.

Die Fußballfans in ihrer Heimatstadt mochten den Song – und irgendwann fingen sie an, ihn auch im Stadion zu singen. Heute ist er aus etlichen Fußball-Arenen in ganz Europa nicht mehr wegzudenken. Gleich ein Stück nördlich von Liverpool nahmen ihn die Fans von Celtic Glasgow auf, später auf dem kontinentalen Festland wurde er in Twente gesungen, in Dortmund und ist heute in Österreich ebenso zuhause wie in Italien, Griechenland und sogar in Japan.

Baccara singen für Fußball-Fans?

Erstaunlich: "Yes sir, I can Boggie", ist eine der Lieblings-Nummern der schottischen Fans

©EPA / Elvira Urquijo A.

Pretty in Pink?

Beinahe noch abenteuerlicher ist die Metamorphose des Disco-Haderns „Go West“.  Eigentlich ein mittelgroßer Hit für die schrillen Village People in den 1970ern, wurde der Song erst gut zehn Jahre später durch die britischen Elektropopper Pet Shop Boys zum absoluten Chartstürmer. Und danach zum allgegenwärtigen Stadion-Heuler. Und zwar quasi überall. Der Text wird entsprechend abgeändert, in deutschsprachigen Ländern wird „Steh auf, wenn du ein XYZ-ler bist“, in  Polen heißt es „Polska, biało-czerwoni“  und eine der unzähligen englischen Versionen lautet „Go home to your sexy wives“. 

Erstaunlich, einerseits, weil der Song rein musikalisch durchaus nicht einfach zu singen ist – und weil in der kaum für ihre LGBTQ-Affinität bekannten Fußballwelt mit beinahe traumwandlerischer Sicherheit Songs von Gay-Ikonen  ausgewählt werden. Oder zumindest solche, die in der Community beliebt sind, Doris Days „Que Sera“ wird seit Langem in britischen Stadien gesungen, und schottische Fans haben vor einiger Zeit überraschend ihre Liebe zu „Yes Sir, I Can Boogie“ von Baccara entdeckt. 

Playlist: Best of Fußball-Stadion

Vindaloo“, Fat Les 
Offizieller Song der englischen Nationalmannschaft für die WM 1998. Lässig.
Sweet Caroline, Neil Diamond
Wir gehen davon aus, dass der New Yorker Neil Diamond nicht einmal genau wusste, WAS Fußball ist, als er den Song 1969 für seine Frau oder John F. Kennedys Tochter Caroline geschrieben hat. Die Nordiren begannen vor knapp 20 Jahren, den Hadern im Fußballstadion zu singen, mittlerweile singen ihn auch die Engländer.
7 Nation Army“, The White Stripes 
Das „Smoke on the Water“ des 21. Jahrhunderts ist aus den Stadien der Welt nicht mehr wegzudenken. Vorteil: Dieser Gitarrenriff braucht keinen Text!
Three Lions“, Lightning Seeds feat. David Baddiel & Frank Skinner
Eine offiziell beauftragte Hymne, die sich tatsächlich durchgesetzt hat. 1996 war es der Song der Engländer für die Heim-EM. 
Sarà perche“, Ricchi e Poveri
Außer den Skandinaviern gelten die italienischen Fans als beste Sänger neben den Engländern. Dass sie sich gerade diesen alten Hit ausgesucht haben ist irgendwie doch sehr witzig. 
You’ll Never Walk Alone“, Gerry & The Pacemakers
Eigentlich ein Song aus einem uralten und ziemlich schnulzigen  Broadway-Musical. In den 1960ern machte die Beat-Version ihn zum Hit, und vom Stadion in Liverpool eroberte er die Fußball-Welt. 
Go West“, Pet Shop Boys
Die smarten britischen Synth-Popper wurschteten einen Titel der Village People ein wenig um. Und plötzlich sang man auch in Deutschland und Österreich: „Steh auf, wenn du ein (Namen des Teams einsetzen) bist...“
E viva Mexico“, Grand Jojo
Der offizielle Song des belgischen Teams für die WM  1986 in Mexiko. Und genau, das ist der:  „Olé, oléoléolé mir san die Tschämps...“
Un'estate italiana“, Gianna Nannini & Edoardo Bennato
Noch eine offizielle Hymne hat die Jahre unbeschadet überstanden. 1990 war es der Song der WM in Italien, die italienische Version wird von den Tifosi noch heute gesungen. Apropos Hymne:  Die singt natürlich auch niemand ähnlich inbrünstig wie unsere Nachbarn: „Fratelli d’Italia ...“  
Yes sir, I can Boogie“, Baccara
Ein uralter Disco-Hit, der sich aus unerfindlichen Gründen in die harte Welt der Fußball-Stadien verirrt hat. Warum die schottischen Fans plötzlich anfingen, ihn zu singen, weiß niemand – aber wer weiß, vielleicht springt der Funke in Deutschland über. Wäre doch charmant. 

Es wäre durchaus herzerwärmend, wenn man hier einen zarten rosa Lichtstreif am dunklen Horizont ballestrischer Homophobie vermuten dürfte, alleine, es könnte sich auch einfach um Ignoranz handeln.

Ein ewiger Dauerbrenner ist natürlich  der Riff von „7 Nation Army“ von den White Stripes, das bringt ein bissl Aggression ins Spiel – und man braucht sich keinen Text zu merken. Die großen Überraschungen der letzten Jahre sind hingegen sicher „Sweet Caroline“ von Neil Diamond, das die Fans des englischen Teams gerne anstimmen – und Ricchi e Poveris „Sarà perche ti amo“, mit dem uns die italienischen Fans bald unterhalten werden.

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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