Der Schein von der glücklichen Familie trügt: Michelle Williams als dreifache Mutter und verkappte Pianistin beim Picknick, gefilmt von Sohn Sammy (Gabriel LaBelle)

"Die Fabelmans": Die Sehnsucht des Steven Spielberg

Der dreifache Oscarpreisträger erzählt in seinem hinreißenden, stark autobiografisch gefärbten Drama von (s)einer Jugend zwischen Film und Familie

Im Kino von Steven Spielberg war die Familie immer schon ein (verlorener) Sehnsuchtsort. Die Scheidung seiner Eltern hatten den jungen Filmemacher früh geprägt und tauchte in Form von abwesenden Vätern oder Vater-Sohn-Konflikten in seinen Arbeiten auf. Schon „E. T.“ hätte eigentlich davon handeln sollen, wie drei Kinder ohne ihren Dad zurechtkommen müssen – ehe ein Alien ins Spiel kam.

In seinem stark autobiografisch gefärbten Film „Die Fabelmans“ lässt der Meister des Eskapismus die Außerirdischen weg und erzählt über (s)ein Erwachsenwerden im Rahmen eines überaus unterhaltsamen Familienmelodrams. In den satten Technicolor-Farben der Fünfzigerjahre blättert Spielberg im Fotoalbum der Erinnerungen und schlägt jene Seite auf, in der er zum ersten Mal ins Kino gezwungen wird.

Jawohl, gezwungen.

Mit Händen und Füßen wehrt sich sein Alter Ego, der kleine Sammy Fabelman dagegen, im Jahr 1952 mit seinen Eltern ein Kino betreten zu müssen. Zu groß! Zu laut! Zu gefährlich! Die Erziehungsberechtigten müssen sich ganz schön anstrengend, um das rebellierende Kind in den Zuschauerraum zu bugsieren, um Cecile B. DeMilles „Die größte Schau der Welt“ anzusehen. Die eindrucksvoll inszenierte Szene von einem Zugsunglück beschäftigt das erschrockene Kind noch lange und wird bei seinen ersten Filmversuchen eine große Rolle einnehmen.

Kreuz und Küsse

Der Trailer zu „Die Fabelmans“ vermittelt den Eindruck, als würde die Geschichte eines cinephilen Buben rekapituliert, der sich seinen großen Traum vom – schnarch – Filmemachen erfüllt. Und natürlich erzählt uns Spielberg zentral vom Beginn seiner Leidenschaft für das Bewegtbild und davon, wie die Pfadfinderkollegen vor seiner Kamera einen staubigen Postraub nachspielen mussten.

Aber er erzählt auch von antisemitischen Schulkollegen und Depressionen. Davon, wie Sammys erste Freundin, eine strenge Katholikin, den jüdischen Boyfriend vor jedem Kuss ein Kreuz schlagen lässt; oder wie seine Mutter nach jedem Essen das Papiertischtuch mitsamt den Papptellern und dem Plastikgeschirr vom Tisch reißt und im Mistkübel versenkt – weil sie den Abwasch verweigert.

Begeisterte Filmzuschauerin: Michelle Williams zwischen Paul Dano (li.) und Seth Rogen

©Merie Weismiller Wallace/Universal

Überhaupt seine Mutter: Hingebungsvoll und zerbrechlich gespielt von Michelle Williams, ist sie engste Verbündete von Sammy. Während der Vater – lieb, aber etwas langweilig: Paul Dano – als Pionier der Computerindustrie die Kamerabegeisterung seines Sohnes lange Zeit nur als teures Hobby abtut, bestärkt ihn seine Mutter in seiner Kreativität. Sie selbst hat ihre Karriere als Pianistin der Familie geopfert. Ihr melancholisches Klavierspiel liefert die Melodien zu Sammys Kindheit.

Dass die Kamera nicht nur als Wunscherfüllung für Kinderträume dient, hat „Der weiße Hai“-Regisseur und Miterfinder des Blockbusterkinos früh erfahren. Die harmlosen Familienfilme, mit der Sammy nette Picknicks und fröhliche Ausflüge dokumentiert, fördern unwillentlich auch Bilder zutage, die er lieber nicht gesehen hätte.

Zuerst beten, dann küssen: Erste Liebeserfahrungen in "The Fabelmans"

©Merie Weismiller Wallace/Universal

Man spürt die Liebe, mit der Steven Spielberg das Porträt der Fabelmans zeichnet, und man spürt die Sehnsucht nach Familie, die ihn beflügelt. Unter dem Vergrößerungsglas seiner Kamera sieht man aber auch die tiefen Risse, die sich schmerzhaft durch das Bild einer Familie ziehen, die ihn zu einem großen Regisseur gemacht hat.

INFO: USA 2022. 151 Min. Von Steven Spielberg. Mit Michelle Williams, Paul Dano, Gabriel LaBelle.

Alexandra Seibel

Über Alexandra Seibel

Alexandra Seibel schreibt über Film, wenn sie nicht gerade im Kino sitzt.

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