Anya Taylor-Joy als Sängerin, die das Londoner Nachtleben der 60er Jahre erobern will: „Last Night in Soho“
Kino

Anya Taylor-Joy im Interview: „Ehrgeizig, hungrig, einsam“

Die Star-Schauspielerin aus „Das Damengambit“ über ihre Rolle als Nachtclub-Sängerin in der Horrorkomödie „Last Night in Soho“

An manche Dinge muss sich Anya Taylor-Joy erst gewöhnen. Zum Beispiel, dass sie praktisch über Nacht berühmt geworden ist. Ungefähr 62 Millionen Haushalte sahen sie als geniale Schachspielerin in dem Netflix-Serien-Hit „Das Damengambit“. Dafür erhielt sie einen Golden Globe. Allerdings geschah dies alles während des Lockdowns, also zu einem Zeitpunkt, wo sie niemanden zu Gesicht bekam.

Wenn Anya Taylor-Joy jetzt auf die Straße tritt – etwa in L. A. – und ihr an jeder Ecke das eigene Gesicht von riesigen Werbetafeln entgegen schaut, dann sei das „schon sehr verwirrend“.

„Aber eines kann ich sagen“, sagt die Schauspielerin im KURIER-Gespräch und blitzt temperamentvoll aus ihren signifikant schräg stehenden Augen: „Wenn Preisverleihungen per Zoom stattfinden, hat das auch etwas Gutes: Man kann unter seinem Abendkleid die Trainingshose anbehalten. Und kaum ist man mit seiner Dankesrede fertig, kann man auch schon wieder abdrehen und sich zu Hause aufführen, wie man will.“

Anya Taylor-Joy als geniale Schachspielerin in der Hit-Serie "Das Damengambit“ 

©Phil Bray/Netflix/PHIL BRAY/NETFLIX

Auf ihre Leistung in „Das Damengambit“ sei sie schon sehr stolz, aber: „Ich versuche, nicht allzu viel darüber nachzudenken, sonst werde ich verrückt. Ich arbeite einfach weiter.“

Swinging Sixties

Anya Taylor-Joy trägt ihr weißblondes Haar hüftlang und genießt den Erfolg ihres jüngsten Auftritts in Edgar Wrights Horrorkomödie „Last Night in Soho“ (derzeit im Kino). In „Last Night in Soho“ beschwört der britische Regisseur, der sich mit Filmen wie „Shaun of the Dead“ (2004) und „Baby Driver“ (2017) profilierte, das Swinging London der 60er Jahre herauf. Erzählt wird die Geschichte eines jungen Mädchens (Thomasin McKenzie), das in London Modedesign studiert und nachts in ihren Träumen in das Nachtleben im Soho der Sixties eintaucht. Dort sieht sie eine aufregende, junge Frau namens Sandy, die unbedingt Sängerin werde möchte, Auftritte in Nachtklubs hinlegt und an den falschen Mann gerät.

Diese aufregende Frau ist natürlich Anya Taylor-Joy. Im pfirsichfarbenen Seidenkleid und mit hoch toupierten, blonden Haaren entflammt sie die Besucher des Clubs mit einem hinreißenden Tanz und einer gefühlvollen Version von Petula Clarks Song „Downtown“.

„Ja, das Lied habe ich selbst gesungen“, gähnt die Schauspielerin, deren musikalische Lieblingsepoche ohnehin die 60er Jahre sind.

Und nein, sonderlich geübt hätte sie für diesen Auftritt nicht: „Ich habe diese schreckliche Angewohnheit: Wann immer ich vor einer Situation Angst habe, bereite mich nicht vor. Ich weiß, das ist nicht sehr schlau. Aber das Singen hat mir Spaß gemacht.“

Anya Taylor-Joy hat schon als Kind gesungen und kann im zarten Alter von 25 bereits auf eine ereignisreiche Vergangenheit zurückblicken.

Geboren wurde die argentinisch-britische Schauspielerin in Miami, Florida, sie übersiedelte aber unmittelbar danach zu ihrer Familie in Argentinien. Von dort ging es weiter nach London.

Bis heute hat Anya Taylor-Joy noch keine fixe Bleibe und verteilt ihre Besitzgegenstände unter ihren Freunden, die sie für sie in „Anya-Ecken“ aufbewahren.

Englisch gelernt hat sie auch erst im Alter von acht, wusste aber schon früh, was sie in ihrem Leben machen wollte: Die Schule abbrechen, um Schauspielerin zu werden. Ihren verblüfften Eltern schrieb sie damals einen langen Erklärungsbrief: „Ich habe ziemlich lächerliche Argumente vorgebracht, aber zum Glück waren meine Eltern nett und smart genug, mich zu unterstützen.“

Nicht kleiner machen

Anya Taylor-Joy hat die Angewohnheit, von allen Figuren, die sie je gespielt hat, einen Gegenstand zu behalten. Im Fall der Sängerin Sandy war es ein Ring: „Sandy ist eine ehrgeizige, hungrige, aber auch einsame Person. Ich bewundere an ihr, wie sie es versteht, Raum einzunehmen“, meint das Ex-Model. Vor „Last Night in Soho“ hatte sie in dem Kostümfilm „Emma“ gespielt und für ihre neue Rolle erleichtert das Korsett abgestreift: „Sandy macht sich nicht kleiner, und das finde ich gut. Als Frau wird man darauf trainiert, sich kleiner zu machen. Insofern war es spannend, mich so groß wie möglich zu machen.“

Thomasin McKenzie (li.) mit Anya Taylor-Joy als ihrem Spiegelbild: "Last Night in Soho"

©Courtesy of FOCUS FEATURES/UPI

Trotz ihrer Stärke gerät Sandy unter den Machteinfluss eines Mannes, für den sie nichts weiter als ein verkaufbares Stück Ware darstellt.

Das Gefühl, zum (Sex)-Objekt gemacht zu werden, kenne wohl jede Frau, seufzt Anya Taylor Joy. Sie selbst sei als „Bubenmädchen“ unter lauter Burschen „als eine von ihnen“ aufgewachsen und hätte diese Erfahrung erst relativ spät gemacht: „Umso wichtiger ist es, dass wir weiterhin für Gleichberechtigung kämpfen, und dafür, dass Frauen über ihren eigenen Körper bestimmen dürfen.“

Toxische Beziehung. Matt Smith und Anya Taylor-Joy in "Last Night in Soho"

©UPI/Parisa Taghizadeh
Alexandra Seibel

Über Alexandra Seibel

Alexandra Seibel schreibt über Film, wenn sie nicht gerade im Kino sitzt.

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