Musik

Der Hit im Herbst: Die Geschichte von "Autum Leaves"

Der Song war ursprünglich ein französisches Chanson, bevor die melancholische Komposition von Joseph Kosma zum bekanntesten Hit des Herbstes wurde.

Exzentrische Diven, unwiderstehliche Charmeure, ein launenhafter Avantgardist, selbstgefällige Überstars, eine gefühlvolle Liedermacherin sowie ein Rocker im Vorruhestand, was könnten sie wohl gemeinsam haben? Egal, in welchem musikalischen Genre sie beheimatet waren oder sind, sie alle interpretierten erfolgreich ein bedächtiges Lied über welke Herbstblätter als Metapher auf eine unglückliche Romanze – „Autumn Leaves“.

Ob Juliette Gréco oder Amy Winehouse, Frank Sinatra, Yves Montand, Nat King Cole, Miles Davis, Eva Cassidy oder Eric Clapton, erstaunlich, wie viele namhafte Sänger und Musiker auf diese Weise die Melancholie des Übergangs vom Spätsommer zum Herbst zum Klingen brachten. Sogar von Udo Jürgens gibt es eine überaus überzeugende Interpretation des 1945 von Joseph Kosma komponierten Chansons.

Kosma, ein 1905 in Budapest geborener Musiker, lernte in seiner Heimat das Klavierspiel noch bei Béla Bartók, bevor er ab 1933 in Paris als Filmkomponist so richtig durchstartete. Über das Nachkriegsdrama „Pforten der Nacht“ (1946) des Regisseurs Marcel Carné wurde sein Lied erstmals einem größeren Publikum bekannt: Kosma hat damit ein Gedicht seines Freundes Jacques Prévert über absterbendes Herbstlaub zum Tanzen gebracht – „Les feuilles mortes“.

Das geschickt zwischen Dur und Moll wechselnde Lied entwickelte sich in seiner Heimat rasch zu einer begehrten Vorlage für Stars vom Kaliber einer Édith Piaf, einer Juliette Gréco oder eines Charles Aznavour. Aber es sollte noch besser kommen. Erst als der US-amerikanische Sänger Johnny Mercer, einer der Gründer der Plattenfirma Capitol Records, 1949 den französischen Text ins Englische übertrug, entwickelte sich das Chanson zu einem Welthit, eben zu dem bekannten „Autumn Leaves“.

Fallende Blätter

Bei „All Music“, einer US-amerikanischen Musikdatenbank, sind etwa eintausend Versionen registriert. Der französische Musikwissenschaftler Philippe Baudoin, findet das leicht untertrieben. Er bezeichnete „Autumn Leaves“ mit nachweislich 1.400 unterschiedlichen Interpretationen als bedeutendsten Jazzstandard, der nicht US-amerikanischen Ursprungs ist. „Dieser Song wurde häufiger gecovert als der Klassiker ,All The Things You Are’ von Jerome David Kern und Oscar Hammerstein“, bringt Baudoin die Popularität des saisonalen Gassenhauers auf den Punkt. Durchforstet man einschlägige Playlists nach Jahreszeiten, fällt auf, dass die Herbstlieder gegenüber den Sommerhits gar nicht einmal so einen schlechten Stand haben. Natürlich, ein Discoknaller wie das gerade noch aktuelle „September“ von Earth, Wind & Fire passt besser zu Sonnenschein und Beachpartys. Kurz noch einmal reinhören macht jedenfalls Laune. Denn ab Oktober sind besinnliche Töne wie im Song „October“ der irischen Rocker rund um Bono Vox angesagt.

U2-Gitarrist The Edge zeigt sich darin von ungewohnter Seite: Zu dem fast instrumentalen Lied schlägt er am Klavier drei Akkorde zu insgesamt 28 Wörtern an. Der Inhalt ist zutiefst herbstlich: eine Meditation zwischen Verklärung und Vergänglichkeit. Ein Auszug daraus:

„October / And the trees are stripped bare / Of all they wear / What do I care?; Oktober / Und die Bäume sind kahl / Von allem, was sie tragen / mir doch egal.“

Bis der „November Rain“ von Guns N’ Roses fällt, ist noch etwas Zeit. Die nützt man am besten, um sich das Lied „Meer im Herbst“ des Sommerhit-Profis Josh („Cordula Grün“) einmal genauer zu Gemüte zu führen.

Das Meer im Herbst? Da macht sich ein Binnenländler Gedanken darüber, was das Meer mit all den Emotionen der Sommerfrischler macht, „wenn es merkt, niemand ist mehr da?“

Die große Kunst des Liedermachers: Dieser Herbst-Song stimmt dennoch optimistisch. Denn man kommt ja wieder, nächsten Sommer. Wie auch Jim Morrisons 1970 vertontes Loblied auf den Altweibersommer, „Indian Summer“, schon Vorfreude auf den nächsten Sommer aufkommen lässt.

Johnny Mercer, Schöpfer der Herbst-Hymne „Autumn Leaves“, hat diesen Song der Doors sicher gekannt. Er war immer auch daran interessiert, welche Texte seine Kollegen schrieben. Und er ließ sich stets vom Wechsel der Jahreszeiten inspirieren. „When October Goes“ heißt einer seiner letzten Songtexte. Auch ein schönes Herbstlied.

Bernhard Praschl

Über Bernhard Praschl

Bernhard Praschl, geboren 1961 in Linz. Als Stahlstadtkind aufgewachsen zwischen Stadtwerkstatt und Brucknerhaus. 1978 erster Manager der Linzer Punk-Legende Willi Warma. 1979 Studium der Politikwissenschaft und Publizistik an der Uni Wien. Zivildienst im WUK; 1986 Institut für Höhere Studien, Wien. 1989-1992 in der Die Presse, seit 1992 Redakteur im KURIER, 1994 Statist in Richard Linklaters "Before Sunrise", seit 1995 in der FREIZEIT. 2013 "Das kleine ABC des Geldes. Ein Lesebuch für Arm und Reich" (Czernin Verlag). Nach frühen Interrailreisen durch Europa (Portugal bis Irland) und Autofahrten entlang der California State Route und dem Overseas Highway nach Key West jetzt wieder Bahnfahrer - und E-Biker.

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