Warum die älteste Piano-Bar Wiens noch immer ein Geheimtipp ist
In der "Bonbonnière" wird bis heute eine Wiener Tradition gepflegt: Live-Piano mit Gesang. Die Barchefin erzählt, was die Aura ausmacht.
Den Eingang finden nur Eingeweihte – denn die kleine Türe zum Eingang der ältesten Pianobar Wiens ist nicht nur schmal und dunkel und durch ein schwarzes Eisengitter gesichert, sie ist momentan auch zur Hälfte unter einem Baugerüst versteckt.
Das Haus in der Wiener Spiegelgasse wird gerade renoviert. Aber das kommt Gaby Gabriel gerade recht. Sie hat es nicht auf Massenpublikum abgesehen, im Gegenteil. "Denn zu uns kommen hauptsächlich Stammgäste", erzählt sie gleich zu Beginn, als wir uns am späten Nachmittag in der gemütlichen roten Nische zu einem Gespräch in der noch geschlossenen Bar treffen.
Man sieht sofort, dass die Räume in die Jahre gekommen sind, alles ist hier seit der Eröffnung im Originalzustand geblieben. Aber genau das macht den Charme der Bonbonnière aus.
Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war die kleine Bar in der Wiener Innenstadt unter dem Namen "Habsburger Weinstube" bekannt. 1937 übernahm Herr Gabriel, gelernter Gastronom, die Weinstube und gab ihr den Namen "Bonbonnière Pianobar". "Weil in den Regalen hinter der Bar bunte Flaschen standen, die wie flüssige Bonbons aussahen, das war früher modern, Schoko-Liköre waren im Trend", erklärt Gaby Gabriel, Tochter des Gründers, die die Bar im Familienbesitz führt.
Seitdem hat sich die Bonbonnière zu einer Wiener Institution unter Nachtschwärmern etabliert. "Mit einem Schuss Plüsch, einem Schuss Retro-Stimmung und einem Schuss Humor", lacht Gabriel, Barchefin in zweiter Generation.
Sie stellt Nüsse, Brezeln und ein Glas Wasser auf den Tisch, fragt, ob sie noch ein Gläschen Sekt bringen darf. "Heute hab'’ ich hohen Blutdruck, gestern war viel los", erzählt sie und nimmt Platz. "Aber zum Glück habe ich meine Mitarbeiterin Bee, sie hilft mir immer wieder aus." Bee ist die Tochter von Freunden aus Saigon und arbeitet seit drei Jahren in der Bar. "Ich hab’ als Mitarbeiter eigentlich nur Frauen", erzählt Gabriel, "nur meine drei Pianisten sind männlich".
Retro-Charme
Man sitzt hier gut im Vintage-Chic der roten Plüschbänke, an Mahagonytischen und roten Brokattapeten, mit barocken Engerln und Kerzenständern und dem alten Piano vis-à-vis. Natürlich steht gleich beim Eingang auf der Bartheke auch eine hohe Blumenvase mit frischen roten Rosen – die kauft Gabriel täglich frisch – das hat Tradition.
"Ich habe das Lokal genau so belassen, wie es war, als ich es von meiner Mutter übernahm, die vor 18 Jahren starb. Das war ihr Vermächtnis. Sie wollte, dass es bleibt, wie es immer war."
Blickt man auf das kleine Piano und die alten Notenbücher aus den 1940er-Jahren, fühlt man sich wie auf einer Zeitreise zurück und wird an Lieder von Zarah Leander erinnert, die damals mit Hits wie "Mit roten Rosen fängt die Liebe an" die Szene eroberte. "Auch nach dem Krieg war es nicht so schön", erzählt Gaby Gabriel. "1945 lernte mein Vater meine Mutter kennen und heiratete sie. Drei Jahre später kam ich auf die Welt. Meine Mutter erzählte mir, dass damals viel Wodka floss. Denn alle vier Alliierten marschierten hier durch."
Vodka vorkosten für die Russen
"Aber vor allem gingen die Russen hier aus und ein. Und für die musste meine Mutter den Wodka immer vorkosten, denn sie hatten Angst vergiftet zu werden." Später kamen Minister, Ärzte und Künstler in die kleine Bar im ersten Bezirk. Wer denn die heutigen Stammgäste seien? Am Wochenende kommen eher die Jungen, unter der Woche die Eingesessenen, zu denen bekannte Wiener Künstler zählen, erzählt die Barchefin.
Prominente Gäste und junges Publikum
So sieht man auf der Facebook-Seite der Bonbonnière Fotos mit fröhlichen Gästen von Schauspielerin und Intendantin Kristina Sprenger bis Tennislegende Hans Kary. Und Gabriel legt es gar nicht darauf an, neue Gäste zu bekommen. Denn auch wenn es viele der alten Stammgäste nicht mehr gibt, kommen deren Familien und Freunde immer noch in die Bonbonnière, um zu feiern.
"Ich will auch meine Ruhe haben. Manchmal wollen die Gäste sogar schon früher herein, wenn das Gitter noch geschlossen ist." Aber da muss Gabriel selbst erst alles für den Abendbetrieb herrichten. Daher öffnet sie nur Freundinnen früher die Pforte: Wie etwa einer lieben Bekannten, die, als wir gerade mit dem Gespräch fertig sind, Kuchen bringt und mit Gaby ein Tratscherl beginnt.
Etwas später trudeln die ersten Gäste ein. An diesem frühen Abend setzen sich zwei junge Frauen an die Bar, später kommen ältere Stammgäste und ein Trupp junger Leute, die sich in die hinteren Nischen verziehen. "Ich treffe mich heute seit Langem wieder einmal mit meiner alten Freundin, wir haben uns viel zu erzählen. Es ist hier ruhig und gemütlich“, so die junge Frau, die an ihrem Glas Wein am Barhocker nippt.
Die Zeit ist in der Bonbonnière stehengeblieben. Und genau das scheinen die Gäste zu lieben. "Die Aura und die positiven Schwingungen der Vergangenheit kann man hier noch immer einatmen", ist sich Gabriel sicher. Ob die Gäste anspruchsvoller geworden sind? "Unsere Gäste waren immer anspruchsvoll. Sie sind auch dankbar, denn im Unterschied zu heutigen Gepflogenheiten in anderen Lokalen, schenken wir ihnen Aufmerksamkeit."
Bee hat den beiden jungen Frauen, als sie hereinkamen, gleich die Garderobe abgenommen und nach ihren Wünschen gefragt. "Alte Schule eben, vom Feinsten, ich bin froh, dass ich Bee habe. Es ist lustig, aber an manchen Abenden sind nur Frauen da, an anderen nur Männer“, lacht Gabriel.
Nach wir vor trinkt man in der Bonbonnière gerne klassische Cocktails, Spritzer, Bier und natürlich Sekt und Champagner. Nur raffinierte Cocktails sucht man auf der Getränkekarte vergeblich. Weißer Spritzer, Gin-Tonic mit Gordons-Gin und Schweppes Tonic, Bourbon und Scotch sind hier Klassiker. Nur Cognac war früher gefragter als heute.
"Ich trinke eigentlich selten, eher nur auf Einladung der Gäste, aus Höflichkeit. Dann genehmige ich mir einen Wodka. Früher war es Whisky", sagt Gabriel, der man nachsagt, dass sie nach drei Whisky sehr offenherzig wird. Und dann singt sie gemeinsam mit dem Pianisten französische Chansons oder beliebte Wiener Lieder.
Pianisten, Gesang & rote Rosen
Dass Gabriel, die selbst aussieht wie eine französische Chansonniere aus den 1940er-Jahren, auch ein feines Gespür für Talente hat, beweist ihre Auswahl an Barpianisten. Seitdem sie die Bar führt, engagiert sie die Besten der Besten, die ab etwa 21 Uhr die Bar mit Musik erfüllen. Sie sitzen an einem alten tschechischen Piano der Firma Petrof, das seit 1956 in der Bonbonniere steht, an dem auch schon Gabriels Mutter gesungen hat.
Mittlerweile ist der Pianist gekommen. Donnerstags sitzt Claus Peter Steppi am Piano. An anderen Tagen sind es zwei andere bekannte Pianisten: Reinhard Wallner und Frantisek Drafi. Ihr Repertoire reicht von bekannten Wiener Liedern bis zu französischen Chansons, wobei jeder Musiker sein eigenes Programm hat.
Frantisek Drafi zum Beispiel ist Korrepetitor an der Wiener Staatsoper und bereichert am Opernball im Falstaff Champagner Salon Gäste mit Eigenkompositionen. Er hat auch Musicals, Jazzstandards und Lieder wie "In einem kleinen Café in Hernals" oder Stücke aus "Tosca" im Programm. Komponist Reinhard Wallner gründete die Compilation-Reihe "Wiener Bar Pianisten". Der Professor greift auch im Hotel Imperial Wien, im Hotel Stefanie oder im Nightflys in die Tasten.
Claus Peter Steppi macht es sich am Klavierhocker bequem. Behutsam packt er die Noten aus, legt sie auf das Piano, während Bee ihm ein Glas Sekt einschenkt. Der Salzburger Musiker scheut dabei keine Mühen, wöchentlich reist er für die paar schönen Stunden mit dem Zug an.
Bonbonnière-Pianobar:
1010 Wien, Spiegelgasse 15
Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag von 18 bis 2 Uhr. Live Piano ab 21 Uhr
Auch er ist unter Stammgästen bekannt, mit denen er dann das eine oder andere Lied anstimmt. Etwa Chansons von Zarah Leander, auch Edith Piaf ist noch en vogue, oder von Juliette Greco. Letztere ist das Idol der Barchefin. Und da kommt es schon manchmal vor, dass sich Gaby selbst hinter das Piano stellt und gemeinsam mit dem Pianisten ein Liedchen anstimmt – aber nur wenn ihre Lieblingsstammgäste da sind. So wie heute. Gemeinsam singen alle "Kann denn Liebe Sünde sein" und stoßen mit ihren Gläsern an.
Gabriel verliert trotzdem den ganzen Abend keinen ihrer Gäste aus den Augen. Wenn eine Dame gehen will, ruft sie sofort nach Bee. Die nimmt dann eine der langstieligen Rosen aus der Vase an der Theke und überreicht sie der Dame beim Hinausgehen. Mit diesem Brauch sagt Gabriel ihren Gästen "Gute Nacht". Denn Gabriel ist alles andere als trübsinnig.
Ihre Lebensenergie tankt sie in der Natur, "darin steckt die Urkraft". Trotzdem denkt sie manchmal an Veränderung. "Man sollte im Leben Angebote mit offenen Armen annehmen, wenn sie passen."
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