Wieso sagen wir "es herbstelt" aber nicht "es frühlingt"?

Die Phrase ist uns so gut bekannt - doch woher kommt sie Eigentlich? Eine sprachwissenschaftliche Erkundung.

Haben Sie es heuer schon gehört? Oder unter Umständen sogar selbst gesagt? Vielleicht während eines Waldspaziergangs, beim Schlendern unter bunten Laubkronen. Oder beim Nachhausekommen, wenn der kalte Wind um die Wangen gestrichen ist und vermittelt hat: Er ist wieder da. Oder eben: "Es herbstelt." Gibt es eine liebevollere Art, eine Jahreszeit willkommen zu heißen, als sie zu einem Verb umzufunktionieren und dann mit einer verniedlichenden Endung zu liebkosen?

Wieso nimmt der Herbst diese Sonderstellung ein?

Obwohl der Herbst nicht unbedingt das österreichische Liebkind unter den Jahreszeiten ist; immerhin bringt er ja nicht nur Farbenpracht, heiße Maroni und Halloween, sondern auch Kälte und klamme Dunkelheit, wird ihm diese Ehre als einzigem zu teil. Denn im Österreichischen – und das „herbsteln“ existiert vor allem in dieser Sprachvarietät – gibt es weder "es frühlingt", noch "es sommert" oder "es wintert".

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Aber warum ist das eigentlich so? Existieren würden die anderen Varianten rein theoretisch schon, erfahren wir von Peter Ernst, Professor der Sprachwissenschaft an der Universität Wien: "Die Sprache stellt im Sprachsystem oft Möglichkeiten zur Verfügung, die aber nicht genutzt werden (müssen).“ Heißt konkret: Frühlingen, sommern oder wintern sind möglich. Dass nur herbsteln genutzt wird, ist Usus. "Das kann kaum begründet werden – es hat sich einfach so ergeben."

Die Verniedlichung einer Jahreszeit

Doch der Herbst wurde ja nicht nur zu einem Verb, dieses wurde mit der Endung -eln zusätzlich verniedlicht. Dieses Suffix beschreibt die Art der Aktion näher. Die Verb-Endung kann betonen, dass etwas wiederholend, intensivierend passiert, wie bei streichen zu streicheln und/oder verniedlichend, wie bei tanzen zu tänzeln. Vielleicht liegt der Ursprung dieser Phrase also im Auftreten des Herbsts. Denn während der Winter plötzlich mit eisigem Umhang aufkreuzt, der Frühling mit grellen Farben auftanzt und der Sommer mit den Pauken der Hitze erscheint, nehmen die Laubblätter sukzessive ihre niedlicheren, bunten Farben an, der Wind wird stetig wiederholend intensivierend kühler. Denn nur der Herbst zieht auf sanften Sohlen ins Land.

Hier schreiben Autoren und Redakteure abwechselnd über Dinge, die uns alle im Alltag beschäftigen.

Anna-Maria Bauer

Über Anna-Maria Bauer

Wienerin und Weltenbummlerin. Leseratte und leidenschaftliche Kinogeherin. Nach Zwischenstopps in London und als Lehrerin in der Wien-Chronik angekommen. Interessiert an Menschen, die bewegen, begeistern oder entsetzen; an ungewöhnlichen Ideen und interessanten Unmöglichkeiten. "Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit." Egon Erwin Kisch: Der rasende Reporter.

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