Moby Dick wird 170: Ein Wal schreibt Geschichte

Am 18. Oktober 1851 erschien mit „Moby Dick“ einer der größten Romane der Welt. Ein Blick auf die abenteuerliche Entstehungsgeschichte.

Nennt mich Ismael.“ Eine einfache Aufforderung, drei Wörter bloß, die einen der berühmtesten ersten Sätze der Literaturgeschichte bilden. Zum ersten Mal zu lesen war dieser Satz vor genau 170 Jahren, als Einstieg in den 900-Seiten-Roman Moby Dick. Als Herman Melville ihn schrieb, war er ein Star der jungen amerikanischen Literaturszene. Die vernichtenden Kritiken, die er für sein größtes Werk bekam, machten dem ein Ende. Melvilles Stern ging unter wie die Pequod, Captain Ahabs Walfang-Schoner aus seinem Buch.

Herman Melville, 1819-1891, geboren in New York, gilt heute als einer der größten Schriftsteller der USA

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Die Wiederentdeckung im späten 19. Jahrhundert erlebte Melville ebenso wenig, wie den späten Ruhm, als etwa Nobelpreisträger William Faulkner erklärte, Moby Dick sei DER Roman, den er selbst gerne geschrieben hätte.

Heute zählt Moby Dick zu Recht zu den Großwerken der Literatur, ein unglaublich vielschichtiger, metaphernreicher Roman, der philosophische, wissenschaftliche, theologische und mythologische Elemente auf ungemein kraftvolle Weise verbindet.

Den Kern bildet aber eine sehr reale Situation: Der Kampf Mensch gegen Natur, Mann gegen Wal, der zur Zeit Melvilles noch ganz anders aussah als heute, wenn High-Tech-Walfangflotten vom sicheren Hauptdeck aus explosive Harpunenköpfe auf die praktisch wehrlosen Tiere abschießen. Und Melville wusste genau, wovon er schrieb. Ursprünglich aus einer großbürgerlichen Familie in New York kommend, musste er schon mit zwölf die Schule verlassen, nachdem der Vater sein ererbtes Vermögen durch schlechte Geschäfte verloren hatte. Er versuchte sich in verschiedenen Berufen, unter anderem als Banklehrling, Pelzhändler und Farmarbeiter.

Mit 20 heuerte er als Schiffsjunge auf einem Postschiff zwischen New York und Liverpool an. Im Jahr 1841, mit 21 Jahren, stach er im legendären Nantucket an Bord seines ersten Walfängers in See. Dieses Schiff war für ihn „Yale Universität und Harvard“, wie er später den guten Ismael in Moby Dick resümieren lassen wird.

In einer knapp 25 Meter langen Nussschale namens Acushnet ging es für den jungen Melville zuerst ums südamerikanische Kap Hoorn, um dann in der polynesischen Südsee nach Pottwalen zu jagen. Dabei ging quasi die gesamte Crew in drei bis vier Ruderbooten zu je sechs Mann ans Werk. Etwa acht Meter lang waren diese Boote, mehr als doppelt so lang die Wale, die um ihr Leben kämpften. Pottwale sind die größten Raubtiere der Welt, manche Bullen werden mehr als 100 Tonnen schwer und gut 20 Meter lang, die längsten bisher gefundenen Walzähne messen stolze 30 Zentimeter.

Wenn Wale zurückfighten

Diese faszinierenden Tiere können auch weit tiefer als 1.000 Meter tauchen, in eine lichtlose, für Menschen verschlossene Welt, wo sie uneingeschränkte Könige sind, nach Riesen-Kalmaren und Lebewesen jagen, die wir kaum je zu Gesicht bekommen. Mehr als eine Stunde können sie dort unten verbringen, ohne zu atmen. Allerdings nicht, wenn sie in Panik sind und ihnen die Spitze einer Harpune in der Lunge steckt. Dann versuchen sie zu fliehen, reißen die kleinen Boote in wilden Fahrten über die Wellen oft kilometerweit mit sich, Nantucket Sleighride nannten die alten Walfänger diese wilden Ritte. Bis die Wale dann vor Müdigkeit nicht mehr konnten und eine zweite, eine dritte Lanze sie langsam ersticken ließ.

Das alles hat der junge Melville erlebt – und die Geschichten aufgesaugt, die abends im Bauch des Schiffes bei Rum erzählt wurden. Von Walen, die den Spieß umdrehen, die sich auf ihre Kraft besinnen, statt zu fliehen die kleinen Boote wie lästiges Spielzeug zerschmettern. Wale, die regelrecht Jagd auf Walfänger machen und in ihrem Zorn auch die großen Mutterschiffe versenken, wie Spotted Tom, Ugly Jim – oder der Albino-Wal Mocha Dick, der alleine 100 Schiffe versenkt haben soll, übersäht mit Narben und abgebrochenen Harpunen. Er kannte auch den Bericht vom Untergang der Essex, die von einem Wal gerammt wurde, geschrieben von einem der wenigen Überlebenden ...

Nach 18 Monaten desertierte Melville bei einem Landgang auf den Marquesas, da der despotische Kapitän Valentine Pease das Leben der Crew mit drakonischen Strafen für kleinste Vergehen zur Hölle machte. Er heuerte auf einem weiteren Walfänger an, verbrachte wegen einer fehlgeschlagenen Meuterei einige Wochen in einem polynesischen Gefängnis, aus dem er durch eine waghalsige Flucht entkommen konnte. In Moorea heuerte er schließlich auf einem weiteren Walfänger an, mit dem er nach Hawaii kam, von wo er über Tahiti, Mazatlán, Lima und Rio de Janeiro nach fünf Jahren auf See wieder zurück in die USA kam.

Der Walfänger wird Philosoph

Für einige Monate aber, nach seiner Desertion, lebte der Autor mit den einheimischen Bewohnern von Nuku Hiva ohne Kapitäne, Walfänger und Vorurteile in der Südsee. Eine Erfahrung, die nicht nur zum Erfolgsroman Typee führte, sondern auch Melvilles Verhältnis zu Menschen anderer Hautfarbe entscheidend prägte. „Das teuflische Geschick, das wir bei der Erfindung der verschiedensten todbringenden Maschinen entwickeln, die Rachgier, mit der wir unsere Kriege führen, und das Elend und die Verzweiflung, die sie mit sich bringen, sind ausreichende Beweise, um den zivilisierten Weißen als das wildeste Tier auf dem Erdboden zu kennzeichnen“, schrieb er in Erinnerung daran später. Und machte mit dem Wampanoag Indianer Tashtego, dem riesigen Westafrikaner Daggoo, dem Parsen Fedallah und vor allem dem Polynesier Queequeg die sogenannten „Fremden“ zu gleichberechtigten, aufregenden Charakteren auf der ihrem Schicksal zusteuernden Pequod.

Zurück in New York, schrieb Melville fünf Bücher in nur fünf Jahren und wurde mit seinen Abenteuergeschichten zum Star. Seine Verehrung galt allerdings seinem zwar wesentlich älteren, aber kaum erfolgreichen Nachbarn Nathaniel Hawthorne. Die beiden wurden Freunde, und schon während er an Moby Dick arbeitete, schrieb Melville den richtungsweisenden Satz über Hawthorne: „He says NO! in thunder; but the devil himself could not make him say yes. For all men who say yes, lie.“ (Er sagt NEIN! im Donnergrollen. Und nicht einmal der Teufel selbst könnte ihn dazu bringen, ja zu sagen. Denn Männer, die ja sagen, lügen.)

Und so beschloss Melville, nein zu sagen, und keinen weiteren Abenteuerroman zu schreiben. Sondern Moby Dick. Der Rest ist Geschichte.

Friedrich von  Ledebur

Nicht nur Melvilles Roman feiert ein Jubiläum, auch John Hustons Verfilmung mit Gregory Peck als Captain Ahab. Der Film kam vor 65 Jahren in die Kinos. Mit dem altösterreichischen hochadeligen Friedrich von Ledebur als polynesischen Harpunier Queequeg. Der 2-m-große Veteran aus dem Ersten Weltkrieg hatte eine schillernde, aber heute fast vergessene Karriere und war ein guter Freund John Hustons. Er starb vor genau 35 Jahren in Linz ...

Friedrich von Ledebur als polynesischen Harpunier Queequeg. Rechts Richard Basehart als Ismael, der ihm am Ende sein Leben verdanken wird

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Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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