Ab welchem Alter alleine zum Supermarkt? Das sagt die Expertin

Die Serie „Old Enough!“ zeigt Kleinkinder, die auf eigene Faust losziehen. Doch wie macht man es in der Realität?

Hiroki steht im Supermarkt und überlegt. Wo sind die Fischlaibchen, die er besorgen soll, wo die Blumen und das Curry? Er findet alles, bezahlt und geht den ein Kilometer langen Weg wieder nach Hause. Das wäre nicht ungewöhnlich, wäre Hiroki nicht erst zwei Jahre alt und Teil der japanischen Realityshow „Old Enough!“ (englisch für: alt genug), die seit Kurzem auf Netflix zu sehen ist.

In den 20-minütigen Episoden werden Kinder zwischen zwei und sechs Jahren alleine losgeschickt, um Besorgungen zu machen – Fisch einkaufen, Wäsche zur Reinigung bringen, Gemüse ernten. Begleitet von einem Kamera- und Sicherheitsteam, das sich möglichst zurückhält. Die beteiligten Akteure von der Verkäuferin bis hin zu Passanten auf der Straße sind eingeweiht.

Aufgaben meistern

Die Erfolge der Kleinen sind für viele Zuschauer rührend, aber kann man ihnen solche Aufgaben tatsächlich schon zutrauen? Im Rahmen des TV-Formats, in dem für Sicherheit gesorgt ist, ja – im Alltag hingegen nur bedingt, findet Psychologin Margarete Salaberger: „Kinder ab vier Jahren können derartige Aufgaben meistern und wahrscheinlich hätten viele große Freude, dass man ihnen das zutraut. Allerdings sind Kindergartenkinder noch nicht in der Lage, Gefahren einzuschätzen.“

Es habe durchaus einen Sinn, dass diese Altersgruppe gesetzlich nicht ohne Beaufsichtigung sein darf. Zwar ist sehr wichtig, dass Kinder Erfolgserlebnisse haben, Erziehungspersonen müssen aber für einen sicheren Rahmen sorgen. „Schon Zweijährige sind stolz, wenn ihnen etwas gelingt, alleine losschicken kann man sie in Wirklichkeit aber nicht“, sagt Salaberger.

Zweijährige sind sehr überzeugt von sich selbst und trauen sich alles zu. „Sie lassen sich durch Misserfolge nicht frustrieren. Das ist auch gut so, sonst würden sie vieles nicht lernen.“ Drei- und vierjährige Kinder können Grenzen, auch ihre eigenen, schon besser akzeptieren. Sie können sich zwar gut orientieren und überlegen, was sie für eine bestimmte Aufgabe brauchen. Sie sind aber sehr konzentriert auf das, was sie interessiert, und vergessen alles rundherum. Das kann rasch gefährlich werden, etwa im Straßenverkehr.

Nicht überfordern

Salaberger erklärt weiter: „Fünf- und Sechsjährige können schon komplexere Botengänge machen, wenn sie interessiert und gut gelaunt sind. Kinder jeden Alters dürfen aber nicht überfordert werden.“ Kindern etwas abzuverlangen, das sie aufgrund ihrer Entwicklung, ihres Alters und ihrer Persönlichkeit noch nicht können, führe zu Frustration und kann mangelndes Selbstvertrauen fördern. Sie beginnen an sich selbst und ihren Fähigkeiten zu zweifeln.

Das betreffe nicht die einmalige Teilnahme an der TV-Show, deren Produzenten beteuern, ein sicheres Umfeld für die Kinder zu schaffen und die Beteiligten sorgfältig auszuwählen. „Ich denke aber etwa an die Situation, wo ein vierjähriges Kind immer wieder auf das Babygeschwisterchen aufpassen muss. Passieren Fehler, kann das zu einem schlechten Gewissen, Stress und psychischer Belastung führen“, erklärt die Psychologin Salaberger.

Individuell abhängig

Berücksichtigt werden sollte, was das Kind individuell schon kann und wo es vielleicht noch Hilfe braucht. Auch die Persönlichkeit – ist ein Kind eher ängstlich oder draufgängerisch? – spielt eine Rolle. „Es gibt Kinder, die schon früh sehr selbstständig erzogen wurden, die tun sich sicher leichter, solche Aufgaben zu erfüllen.“

Die Psychologin beobachtet aber eher, dass Kindern zu wenig zugetraut wird. „Im Volksschulalter bringen viele Eltern ihre Kinder zum Beispiel täglich in die Schule und holen sie wieder ab. Damit nehmen sie ihnen einen Erfahrungsschatz – ab Sechsjährige können, wenn man es mit ihnen übt und der Weg es erlaubt, das meist schon alleine.“ Keinesfalls sollten Kinder aber zu etwas gezwungen werden.

Elisabeth Gerstendorfer

Über Elisabeth Gerstendorfer

Redakteurin Gesundheit, Wissen Studierte Psychologie und Soziologie in Wien. Journalistenkolleg des Kuratorium für Journalistenausbildung in Salzburg. Seit 2013 bei KURIER im Ressort Lebensart. Zuvor u.a. tätig für Presse, Schaufenster und Österreichische Ärztezeitung.

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