Komodo-Inseln in Indonesien: Drachen Götter und Dämonen
Sie sind der einzige Fleck auf unserem Planeten, wo extrem gefährliche Reptilien aus der Urzeit überlebt haben.
Überblick
April bis Oktober
273,5 Millionen
Indonesische Rupiah (IDR)
Von Karl Riffert
Links und rechts dichtes hohes Gras, Gebüsch, Bäume, in der Ferne grüne Berge. Ich wandere auf einer der bedrohlichsten Inseln der Welt. Es ist ein Ort wie aus einer anderen Zeit. Ich habe zwei Begleiter: Erstens Angst und zweitens einen „Local Guide“ namens Vani, der sich sonst als Fischer meist mit Thunfisch seinen Lebensunterhalt verdient.
Er ist bewaffnet mit einem Holzstecken, der sich vorne in zwei Enden gabelt, um uns im Notfall vor den gefährlichen Monstern zu beschützen, die irgendwo lauern: die „Komodo Dragons“, Riesenwarane, die über drei Meter lang werden und, wenn sie sich den Bauch vollgestopft haben, bis zu 270 Kilo schwer sein können. Ob die zwei Enden des Holzsteckens im Angriffsfall für die beiden Augen des Warans oder für Nase und Ohr gedacht sind, darauf will sich Vani nicht wirklich festlegen.
Ich wiederum bin nicht sicher, ob das Holzstück und der Mut meines Führers im Fall des Falles ausreichen würden. Im Übrigen kreuchen und fleuchen auf diesem seltsamen Eiland zwischen den indonesischen Inseln Sumbawa und Flores noch andere gefährliche Bewohner herum: die Java-Spei-Kobra zum Beispiel, die ihren Opfern über mehrere Meter hinweg extrem tödliches Gift in die Augen sprühen kann. Oder die Russel-Viper, auf deren Konto die meisten tödlichen Schlangenbisse weltweit gehen. Wir könnten auch einem Timorpython begegnen, aber der frisst hier Menschen angeblich nicht so gern. War da nicht ein Rascheln?
Von Drachen gefressen
Hoch oben auf dieser Insel auf einer Hügelkuppe, übrigens ein wunderschöner Ort, steht auf einem weißen Holzkreuz geschrieben: „In Erinnerung an Baron Rudolf von Reding, Biberegg. Verschwunden auf dieser Insel am 18. Juli 1974“. Der gebürtige Schweizer und österreichische Ehrenbaron war der erste Europäer, der von einem Drachen gefressen wurde. In den 70er Jahren brachte die Lindblad Explorer, eines der frühen Expeditionsschiffe für Kreuzfahrer, die ersten Touristen auf die Komodo-Inseln. Der 78-jährige Baron war einer von ihnen. Nach dem steilen Anstieg brauchte der alte Herr eine Verschnaufpause und ließ trotz Warnungen die Gruppe weiterziehen, um alleine die Natur zu genießen. Ein tödlicher Fehler. Alles was man von ihm später fand, war seine Hasselblad-Kamera und ein zerfressener Riemen.
Seither sind rund dreißig Touristen von den Riesenwaranen angefallen worden, die auf kurzen Strecken sehr schnell sind: 100 Meter in 12 Sekunden sind für sie kein Problem. Der letzte Fall liegt ein Jahr zurück, als ein unvorsichtiger Tourist aus Singapur, der wegen eines Fotos einem Waran zu nahe gekommen war, seine linke Wade verlor.
Lawrence Blair, den ich auf der Seabourne Encore treffe, dem Schiff, das mich auf die Komodo Islands brachte, war einer der ersten, der auf der Lindblad Explorer auf die Dracheninseln gekommen war. Der gebürtige Brite, inzwischen 76, lebt seit 35 Jahren auf Bali und dreht für die BBC und andere Dokumentarfilme. Und er leitete Expeditionen mit Promis wie Richard Branson, Mick Jagger oder Tony Blair. „Die Riesenwarane sind echte Monster“, sagt Blair.
„Mit ihrer Zunge können sie bei gutem Wind bis zu zehn Kilometer Aas oder Blut riechen. Es genügt ihnen, einmal im Monat zu fressen. Dann am liebsten Mähnenhirsche, Wildschweine, Ziegen, Schlangen oder Vögel, die sie brutal in sich hineinstopfen. Manchmal rammen sie dabei ihre Beute sogar gegen Bäume, um sie ins Maul zu pressen. Sie fressen auch ihre eigenen Kinder. Deswegen flüchten geschlüpfte Warane sofort auf Bäume, wo sie bleiben, bis sie eineinhalb Meter groß sind. Und ihr Maul ist voller gefährlicher Bakterien und Gift, die beim Opfer einen Schock auslösen und zum Tod führen.“
Heute ist Komodo ein Nationalpark. 5.000 Warane leben auf der Hauptinsel und den winzigen Nachbarinseln Rinca, Gili Motang und Gili Dasami. Es gibt alte chinesische Seekarten, auf denen die Inseln mit der Warnung „Vorsicht Drachen!“ verzeichnet sind. Lange galten die Riesenechsen als Legenden. Aber sie sind real.
Wohin soll man schauen? Auf den Boden, wo hochgiftige Schlangen liegen könnten, in das Geäst der Bäume, wo sich junge Warane gerne herumtreiben, oder ins Gebüsch, wo vielleicht ausgewachsene Exemplare, die bis zu 50 Jahre alt werden, mit ihren scharfen Zähnen lauern. Wir nähern uns jetzt einem Wasserloch und da sind sie! Vor dem kostbaren Nass liegen züngelnde Warane und sonnen sich. Einige Touristen beobachten fasziniert die Szene. Es ist Wellness für Warane und die Touristen fungieren als leckere Appetithappen. Ich kann die Servietten um den Hals der Warane förmlich sehen.
Einheimische Führer haben einen Kreis in den Boden gezogen: bis hierher und nicht weiter. Plötzlich steht ein riesiger Waran auf und kommt bedrohlich auf mich zu. Weiß er nicht, dass er eigentlich in die Kreidezeit gehört, hundert Millionen Jahre zurück? Warane sehen nicht nur unheimlich aus, sie stinken auch aus dem Maul, weil Reste ihrer Mahlzeit in ihren Zähnen rumhängen. Wir blicken uns einen Moment tief in die Augen, was man nicht soll – Warane sind ja sehr reizbar. Einer von uns muss gehen, soviel ist klar.
Ich mache es so wie Captain Kirk auf der Enterprise: Ich beame mich von einer Welt in die andere, von den Drachen der Urzeit in die Luxuswelt eines Kreuzfahrtschiffs des 21. Jahrhunderts. Die Seabourn Encore ist 2016 in Italien gebaut worden, misst 270 Meter Länge, hat nur Suiten und befördert gerade 568 Passagiere, darunter 210 Amerikaner, 103 Briten und vier Österreicher. Einer von diesen vieren braucht jetzt einen Drink.
Wir sind an Bord des Ozeanriesen im indonesischen Inselreich unterwegs und erkunden so unterschiedliche Welten wie Bali, die Insel der Götter und Dämonen, die Komodo-Dracheninseln, Vulkane wie den magischen Mount Bromo oder auch den größten buddhistischen Tempel der Welt, Borobodur.
Indonesiens Inseln
Der Malaiische Archipel, zu dem auch Indonesien gehört, zählt 17.000 Inseln. Allein in Indonesien leben knapp 270 Millionen Menschen, die über 700 verschiedene Sprachen sprechen. Eine magische Linie trennt diesen Teil der Welt in zwei Hälften. Diese Linie ist nach dem britischen Naturforscher Alfred Russel Wallace benannt, der zur selben Zeit wie Darwin und unabhängig von ihm die Mechanismen der Evolution erkannte. Wallace tat für seine Zeit Außergewöhnliches: Er lebte acht Jahre im Dschungel indonesischer Inseln, lernte die Sprache der Einheimischen, ernährte sich wie sie, überstand Malaria und brachte 124.000 Proben nach Europa. Und er entdeckte zwei unterschiedliche Tierwelten.
Auf der westlichen Seite des Malaiischen Archipels findet man die asiatische Tierwelt, auf der östlichen die australische. Interessanterweise ist der westliche Teil, der u. a. Sumatra, Indonesien und Borneo umfasst, dicht besiedelt, während rechts der Wallace-Linie nur vergleichsweise wenige Menschen leben. Jedenfalls für die Trennung des Tierreichs gibt es eine einfache Erklärung. Der tiefe Meeresgraben entlang der Wallace-Linie, die zwischen Bali und Lombok und zwischen Borneo und Sulawesi verläuft, war für Tiere für einen geologisch kurzen Moment – fünfzig Millionen Jahre – unüberwindlich. Sie entwickelten sich verschieden.
Unser nächstes Ziel ist ein verschlafenes, aber sehr angenehmes Städtchen namens Probolinggo auf Ostjava. Es ist noch gar nicht so lange her, dass hier ein holländischer Bürgermeister namens Ferdinand Meyer amtierte, deutsche Lokomotiven aus Berlin auf den Zuckerrohrplantagen unterwegs waren und die Stadt für ihren guten Wein bekannt war. In Probolinggo leben heute 90 Prozent Muslime mit knapp zehn Prozent Christen und 400 buddhistischen Familien friedlich zusammen.
Indonesien stand 350 Jahre lang unter holländischer Herrschaft, drei Jahre unter japanischer und ganz kurze Zeit unter britischer. Wegen des sehr kurzen britischen Gastspiels fahren übrigens heute 270 Millionen Menschen mit ihren Autos auf der linken Fahrbahnseite. Von hier aus machen wir uns auf den Weg zu einem leibhaftigen, aktiven Vulkan: dem über 2.300 Meter hohen Mount Bromo. Schließlich sind wir hier in der tektonisch wildesten, unruhigsten Gegend der Welt unterwegs.
Indonesien besitzt rund 34 Prozent aller Vulkane auf dem Planeten. Irgendeiner bricht immer gerade aus. Wie eine feurige Kette ziehen sich die Vulkane über Java. Nach einer längeren Autofahrt kommen wir in eine fast unwirkliche Gegend, die wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Film wirkt. Mitten vor uns der Mount Bromo. Man kann ihn zu Fuß besteigen oder auf dem Rücken eines Esels, was allerdings, wie ich im verwegenen Selbstversuch herausfand, nicht gerade bequem ist. Oben angelangt, blickt man unversehens in den rauchenden Krater, in den Schlund der Hölle.
Auf der Seabourne Encore fühlt man sich hingegen sicher und behaglich, auch wenn wir später die Straße von Malakka durchfahren, eine der gefährlichsten Schifffahrtsrouten der Welt. Allein im letzten Jahr gab es rund 180 Piratenangriffe auf Schiffe, 47 davon in Indonesien. 400 Geiseln sind zur Zeit in der Hand diverser Seeräuber. Ein Schwesterschiff, die Seabourn Spirit war übrigens das erste Kreuzfahrtschiff, das je von Piraten gekapert wurde, damals vor Somalia im Jahr 2005.
Luxus-Liner
Aber ich mache mir keine Sorgen. Die Seabourn Encore ist ein ultramoderner Luxus-Liner mit 430 Crew-Mitgliedern, der notfalls sogar von der Zen-trale der Reederei in Seattle gesteuert werden könnte. Besser nicht an Piraten denken, sondern Champagner und Kaviar in die Kabine bestellen – auch französischer Schaumwein und die feinen Stöhreier sind auf der Encore all inclusive. Da kommt man leicht ins Träumen.
Zeit also an Bali zu denken, die westlichste der Sundainseln, winzig klein eigentlich: 95 Kilometer lang 145 Kilometer breit, aber voller Götter und Dämonen.
Die Hauptstadt Denpasar hat den einzigen Flughafen der Welt, der einmal im Jahr geschlossen hat, um Dämonen gnädig zu stimmen. Die Balinesen, übrigens außergewöhnlich freundliche Menschen, glauben, dass alles lebt. Sie glauben nicht an Gut und Böse, mehr an eine Balance. Das traditionelle balinesische Schattenspiel, das früher in den Dörfern die beliebteste Unterhaltung war, ist eine Metapher dafür. In der Vorstellung der Balinesen gibt es nicht nur die physische Welt, die wir sehen, sondern dahinter eine, die wir nicht sehen.
Die Götterinsel Bali mit ihren 20.000 Tempeln war im 15. Jahrhundert ein Zufluchtsort. Die große Nachbarinsel Java, damals ein hinduistisches Königreich, wurde von muslimischen Heeren erobert. Der hinduistische König nahm sich das Leben, viele seiner Untertanen flohen nach Bali. Später entstand der Mythos vom paradiesischen, freizügigen Leben auf Bali, wo die Frauen noch bis in die 30er-Jahre barbusig ihrer Arbeit nachgingen. Künstler wie der deutsche Maler Walter Spies siedelten sich in Ubud an. Die Kunde vom moralisch freizügigen Künstlerleben auf Bali verbreitete sich über den ganzen Globus und zog den Jetset von damals an: Charlie Chaplin kam, die Schriftstellerin Vicki Baum, die Woolworth-Erbin Barbara Hutton, die Anthropologin Margaret Mead. Sie alle jagten dem Traum vom Paradies auf Bali nach.
Dem Zauber und der Schönheit von Bali kann man sich tatsächlich nur schwer entziehen. Wenn man frühmorgens auf schmalen Pfaden entlang grüner Reisterrassen spaziert oder abends dem Singsang der Gamelan-Orchester lauscht. Aber die Dämonen des Geldes erobern Bali gerade. Zu viel Verkehr, zu viele Gebäude, zu viel Müll, zu viel islamische Einwanderung, zu viele Touristen: 1969, als der Flughafen in Denpasar eröffnet wurde, waren es gerade einmal 30.000, 2018 werden es sieben Millionen sein.
Schwerer Abschied
Der Abschied von Bali fällt schwer. Das war schon so, als hier im 16. Jahrhundert das erste holländische Schiff ankam. Die Matrosen wähnten sich im Paradies. Ganze zwei Jahre benötigte der Kapitän des Schiffes, um doch noch ein paar Männer zu finden, die bereit waren, die Segel nach Hause zu setzen. Mal sehen, ob die Besatzung der Seabourn schon an Bord ist.
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