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Bye-bye, beautiful London: Eine Liebeserklärung

Großbritannien steuert auf einen harten Brexit zu. Doch die meisten Londoner würden lieber in der EU bleiben.

Überblick

Währung

Pfund Sterling (GBP)

Einwohner

8,9 Mio.

Vorwahl

+44 020

Anreise

ca. 2,5 Std.

von Karl Riffert

Auf der teuersten Videowall Europas ergießt sich gerade ein mächtiger Schwall Coca Cola auf glitzernde Eiswürfel so groß wie ein Kleinwagen. Wer hier werben will wie der Konzern es seit 1955 tut, muss zwanzig Jahre auf eine Gelegenheit warten und dann pro Jahr 4,6 Millionen Euro berappen.

Willkommen in London, Europas einziger echter Metropole mit fast neun Millionen Einwohnern. Die Videowall hängt  am berühmten Piccadilly Circus, über den jährlich 72 Millionen Menschen wuseln. Zahllose rote Doppeldecker-Busse rollen ebenso durch dieses pulsierende Herz der City wie die legendären schwarzen Londoner Taxis, von denen es trotz Uber über 20.000 gibt.

©Karl Riffert

London ist eben Europas einzige wirkliche Weltstadt. Einer von drei Londonern ist im Ausland geboren. Hier leben 270 Nationalitäten. London, die globale City, in der rund zwei Millionen Menschen in der Finanzbranche arbeiten und 100 Konzerne ihren Hauptsitz haben, ist eine Ansammlung von Dörfern. Man lebt lokal und denkt global. Vielleicht ist auch dies ein Grund dafür, dass die Mehrheit der Londoner in der Europäischen Union bleiben wollten.

©Karl Riffert

Fast sechzig Prozent der Hauptstädter stimmten gegen den Brexit, in den Weiten der ländlichen Midlands war es  umgekehrt. London, so scheint es, ist in vielem wie eine kulturelle Insel. Das Alte und das Neue mischt sich  unentwegt.

London mix: St Paul's Cathedral und moderne Architektur

©Getty Images/coldsnowstorm/Istockphoto

Baden am Piccadilly Circus

London ist auch voller Überraschungen. Wer hätte  gedacht, dass man ausgerechnet am Piccadilly Circus, dem Herz der Metropole, auf ein Badeparadies stößt? Wenn man das nötige Kleingeld hat. Genau hier, unter dem Luxushotel Café Royal, findet man einen 18 Meter langen Pool mit allem Komfort. Das Hotel ist  Epizentrum des fashionablen London und das eigentliche Kaffeehaus im Café Royal berauscht die Sinne: Wer hier seinen Afternoon Tea mit Scones, Clotted Cream und Gurkensandwiches nimmt, tut dies in einem Mix aus Goldrausch, Barock, Rokoko und Moderne und vielleicht auch mit etwas Respekt vor früheren Teetrinkern an diesem Ort.

©The Set Hotels

Sherlock-Holmes-Schöpfer Arthur Conan Doyle, Science-Fiction-Autor H.G. Wells, Dschungelbuch-Erzähler Rudyard Kipling, George Bernard Shaw, Graham Greene, Winston Churchill, Brigitte Bardot, Prinzessin Diana, Mick Jagger und die Beatles waren da. Oscar Wilde war Stammgast, trank mit Vorliebe gefährlichen Absinth und machte im Café Royal Lord Douglas eine Liebeserklärung.
Welch herrliche Ironie in Brexit-Zeiten, dass diese legendäre Londoner Institution ausgerechnet von einem Einwanderer, noch dazu einem Frosch-Esser, gegründet wurde. Ein französischer Weinhändler und Pleitier namens Nicholas Thevenon war vor seinen Gläubigern mit nur fünf  Pfund in der Tasche nach London geflohen und eröffnete 1865 das erste Café Royal.

Reizvolle, aber teure Liebe

Trotz des drohenden baldigen Brexits trifft man in Londons Restaurants und Hotels immer noch vorwiegend junges, sehr engagiertes Personal aus Osteuropa, von dem die meisten in Wohngemeinschaften leben, denn Wohnen ist in London sündhaft teuer. Die statistische Durchschnittsmiete der Themse-Stadt liegt bei 670 Pfund. Pro Woche.

London ist eine reizvolle, aber teure Liebe. Keine Stadt hat mehr indische Restaurants. Wir aber tauchen jetzt in den Untergrund ab, um mit Hilfe der U-Bahn, die praktischerweise einfach „The Underground“ heißt, eines der rund 7.000 Londoner Pubs zu besuchen. Unser Ziel heißt „Star Tavern“ und liegt in einem der teuersten Viertel Londons, in Belgravia.

©The Star Tavern

Selbstverständlich bestellen wir das britische Nationalgericht Fish and Chips.

©Getty Images/iStockphoto/Shaiith/iStockphoto

Der Fischklassiker hat übrigens mit den sehr populären Curries schwere Konkurrenz bekommen. 300 Jahre lang war Indien ja britisch und das blieb auch in England selbst nicht ohne Folgen. London ist jetzt die Welthauptstadt feiner indischer Küche und es gibt über 2.000 indische Restaurants – mehr als in Mumbay oder Delhi.

Curry-Küche am Camden Market in London

©Getty Images/iStockphoto/VictorHuang/iStockphoto

Aber so wie die Londoner nach wie vor ihre Fish and Chips lieben, lieben sie auch neue Food-Trends, selbst wenn diese im ersten Moment gewöhnungsbedürftig scheinen wie zum Beispiel „Cross-sushi“, Sushi also eingebacken in einem Croissant.
 

 Kimtschi, der würzige koreanische Mix aus eingelegtem Rotkraut, Rettich und Paprika,  ist in London inzwischen auch als Belag auf Burgern und Pizzen und in Suppen zu finden. Vegan ist natürlich auch in London ein Trend; eine halbe Million Veganer soll es in der Hauptstadt geben. Das ist erstaunlich in einer Stadt voller fleischlicher Gelüste und wir meinen hier die Edel-Gastronomie, die an der Themse dank zahlungskräftiger Gäste floriert.
Über Geld spricht man nicht Nach der letzten Zählung leben derzeit 357.200 Millionäre in der Stadt und – Heiratswillige aufgepasst – immerhin 20.000 von ihnen sind unter 35. Da bestellt man schon gerne mal Beluga-Kaviar zur Pekingente.  
 

Unser nächster Gesprächspartner  heißt Neil Millington und er sieht täglich, wie viel Geld genussvoll in Rauch verwandelt wird.

Neil Millington

©Karl Riffert

Neil ist der Zigarrenmeister in Londons teuerstem Hotel, dem Lanesborough. In dieser  eleganten Luxusherberge liest das aufmerksame Personal seinen Gästen jeden Wunsch von den Lippen ab. Über Geld spricht man hier nicht, man hat es einfach.  Die Royal Suite im Lanesborough kostet 26.000 Pfund pro Nacht – das Frühstück nicht inbegriffen. In der Library Bar findet man 200 Jahre alte Cognacs, und in der Zigarrenlounge, dem sogenannten Garden Room, hütet Neil Millington seine Zigarrenschätze. „Unsere Gäste wollen nur das Beste, Geld spielt dabei keine so große Rolle“, meint Neil. Die teuersten Zigarren im Angebot, eine Sonderedition der kubanischen Marke Cohiba, kosten unfassbare 10.000 Pfund. Pro Stück.

Was heißt ritzy? Stinkvornehm

Es gibt einen Ort, der sich rühmt, eine britische Tradition zu pflegen wie niemand sonst. Die Rede ist vom Afternoon Tea und dem Ritz. Das berühmte Hotel ist weniger Betuchten als Filmkulisse für „Notting Hill“ oder „Downton Abbey“ bekannt. Als der legendäre Hotelier César Ritz, der später dem Wahnsinn verfiel, es  1906 eröffnete, galt es als bestes Hotel der Welt. Im Englischen gibt es sogar ein Wort, dass sich von der Edelherberge ableitet: ritzy, was so viel bedeutet wie stinkvornehm.
 

Luxus & Architektur im Ritz

©The Ritz London

Das Ritz ist nach wie vor in englischer Hand und gehört den Brüdern David und Frederick Barclay, deren Vermögen auf 7,2 Milliarden Pfund geschätzt wird. Die beiden sind nebenbei auch Medienmagnaten und besitzen unter anderen den Daily Telegraph und den Spectator.
 

The Ritz

©The Ritz London

Im Palmcourt des Ritz wird täglich fünfmal Afternoon Tea zelebriert – so groß ist die Nachfrage. Für stolze 58 Pfund gibt es nicht nur ein Kännchen Tee, sondern scones mit clotted cream, Sandwiches (das wichtigste: das Gurkenbrötchen) und ein kleines Orchester.

Teatime!

©The Ritz London

Die Gäste sind dank strikter Kleiderordnung stets gut angezogen. Für zu legere Herren warten kostenlose Leihkrawatten vom Nobelschneider Turnbull & Asser.

Wo kann man Stars treffen?

Die meisten „Celebrities“ zählt ein anderes Londoner Hotel, in dem noch vor einem Vierteljahrhundert Spione ein und aus gingen, quasi die Vettern des besten Geheimagenten Ihrer Majestät, Herrn James Bond. Im ehemaligen Hauptquartier des militärischen Nachrichtendienstes befindet sich heute das fashionable Corinthia-Hotel, das – welch eine Ironie – von einem deutschen General-Manager geführt wird.

Johnny Depp, Beyoncé, Rihanna oder George Clooney, sie alle huschen hier durch den Eingang, zuweilen von kreischenden Fans und wild entschlossenen Paparazzi belagert. 

Manche Stars baden auch gerne im Jubel. Jeff Goldblum gab  hier erst unlängst ein kleines spontanes Jazz-Konzert in der Lobby. Das Corinthia hat kürzlich sein etwas steifes Haute-Cuisine-Restaurant durch ein sehr spezielles Edel-Pub ersetzt. Hier kocht jetzt einer der derzeit angesagtesten Chefs der Stadt, der wilde Michelin-Sterne-Koch Tom Kerridge, der jedem, der es hören will, sagt, er sei keiner dieser abgehobenen Michelin-Sternekocher.

Die Welt in Handarbeit

Vielleicht ist es der Mix aus Tradition und Weltoffenheit, aus strengen Konventionen und verrückten Ideen, der London so anziehend macht. Ein gutes Beispiel ist ein Mann, der täglich die Welt in seinen Händen hält. Sein Name ist Peter Bellerby. Lange Jahre jettete Peter Bellerby hoch bezahlt rund um die Welt und verkaufte Programme des Fernsehsenders ITV. Irgendwann verlor er seinen Top-Job. Bellerbys Vater, ein ehemaliger Schiffsingenieur, stand da kurz vor seinem 80. Geburtstag. Sein Sohn wollte ihm aus diesem Anlass die Welt schenken: einen modernen, aber handgemachten Globus.

Weltenschöpfer Bellerby

©Karl Riffert

Zu Bellerbys Überraschung gab es so etwas nicht, sondern nur Industrieware oder antike Stücke. Also beschloss er, bestärkt von einem Experten von Sotheby’s, diese Marktlücke zu nützen. Aus einer verrückten Idee wurde eine Vision, dann eine Obsession.
 Zwei Jahre dauerte es, bis Bellerby wusste, wie man eine Erdkugel fachgerecht bastelt. Zehn Jahre später hat der „Weltenschöpfer“ schon 2.000 Globen verkauft. In seiner Werkstatt arbeiten 24 Spezialisten und bauen, zeichnen, bemalen einzigartige Erdkugeln in verschiedenen Größen. Die Kunden sind reiche Araber, amerikanische Filmproduzenten oder deutsche Industrielle wie der Schraubenfabrikant Reinhold Würth. Das jüngste Stück, das gerade fertig wird, hat einen Durchmesser von 127 cm, kostet 79.000 Pfund und ist eine Auftragsarbeit für Barack Obama. Der Brexit gefällt Peter Bellerby nicht, aber er macht ihm auch keine Angst. Seine Welten gehen in die ganze Welt.

©Katjana Lacatena/carolineseidler.com

London-Tipps

1. The Shard (Die Scherbe)
Blick vom höchsten Gebäude Westeuropas,  310 Meter.
www.theviewfromtheshard.com

2. Borough Market
Londons Naschmarkt. Der
perfekte Ort für einen Lunch.
Boroughmarket.org.uk

3. Coca-Cola London Eye
Das höchste Riesenrad Europas. 26 Pfund Eintritt.
www.londoneye.com
 
4. Skygarden
In  Londons höchstem Park kann man  auch essen. Im Fenchurch.
https://skygarden.london/

London Eye leuchtet zu Ehren des Babys, aber noch Warten auf den Namen

London Eye

©APA - Austria Presse Agentur

5. Sherlock Holmes Museum
Klar hat er ein eigenes Museum,  Baker Street 221.
www.sherlock-holmes.co.uk

6. Madame Tussauds
Gleich ums Eck: die berühmte Madame Tussauds mit ihren Wachsfiguren.
www.madametussauds.com
 
7. Harrods
Shopping? Shopping.  Londons berühmtestes Kaufhaus.
www.harrods.com

 8. Outlaw’s at the Capital
 Ganz nahe:  Londons bestes Gourmet-Fischrestaurant.
 www.capitalhotel.co.uk

9. Tours of Parliament
Z.B. eine Tour  plus Afternoon Tee.
56,50 Pfund. Online-Booking:
www.parliament.uk/visiting/

10. The British Museum.
Weltklasse. 13 Millionen Stück Kulturgut.
www.britishmuseum.org
 
11. The National Gallery.
Besuchen Sie Vincent van Goghs Sonnenblumen.
www.nationalgallery.org.uk
 
12. The Saatchi Gallery
Das Kultmuseum für neueste Kunst in Chelsea.
www.thesaatchigallery.com

13. Chelsea Physics Garden
 Londons ältester botanischer Garten. Nettes Restaurant.
 www.chelseaphysicgarden.co.uk
 
14. Teatime im Ritz
Hier hat der klassische Afternoon Tea Stil und seinen Preis. 58 Pfund.
www.theritzlondon.com
 
15. Electric Cinema 
Unvergleichliches Kinoetablissement in Notting Hill.
www.electriccinema.co.uk
 
16.  Globe Theatre
400 Jahre nach Shakespeare wiederaufgebaut. Für Theaterfans!
www.shakespearesglobe.com

17. Café Royal
Luxuspalast der Leading Hotels am Piccadilly Circus.
www.hotelcaferoyal.com
 
18. Hotel Corinthia
Promi-Hotel im Regierungsviertel Whitehall, nahe Trafalgar Square.
www.corinthia.com

19. The Lanesborough
Londons teuerstes Hotel.
Blick auf den Hyde-Park.
www.oetkercollection.com

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