Auf den Spuren der unbekannten Tante aus Australien
Eine ehemalige Magd aus dem Burgenland ist ausgewandert. Manfred Horvarth auf Verwandten-Besuch in Adelaide und auf einer Insel.
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Mai bis Oktober
25,7 Millionen
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Australischer Dollar (AUD)
Manfred Horvath
Eigentlich wollte ich nur meine Tante Tschank in Adelaide, Australien, besuchen. Aber dort angekommen, war der Gesprächsstoff mit der alten Dame bald ausgegangen. Was soll man mit einer Achtzig-plus-Jährigen reden, die man noch nie vorher gesehen hat und von der man nur verkratzte Silbergelatine-Fotos mit Wellenrand kennt?
Ihr Leben als burgenländisches Mädel vom Land hatte einen ziemlichen Drive bekommen, als sie vom Leithagebirge den Sprung über den großen Teich wagte. Nach dem Krieg fuhr sie wöchentlich nach Wien, um an ein Wirtshaus in der Neustiftgasse Eier zu liefern. Im Beisel lernte sie De Livera kennen. Er war Arzt. Malaye, aus Kuala Lumpur. Stammte aus einer Kautschukdynastie. Er nahm Tante Tschank mit. Zuerst Ceylon, dann Australien. Wegen ihm blieb sie dort.
Die ehemalige Eiermagd aus Stotzing sitzt unter ihrem schattigen Illawara-Flammen-Baum auf der Veranda ihres weißen Holzhauses. Ein Kolibri steht in der Luft vor einer Krotonblüte und taucht seinen Schnabel in den Nektar. Papageienpärchen busseln in der Baumkrone. Es riecht frisch nach Öl-Aufguss in der Finnensauna. „Angenehm ist das Klima, hier im Süden. Kaum mehr als 25 Grad im Sommer und nie unter 10 im Winter“, sagt Tante Tschank und nimmt einen Schluck Eistee. „Ja, Tante, super.“
Am dritten Tag kommen Freunde von Tante Tschank vorbei. Das Paar Jane und Rick, sie eine großgewachsene, schlaksige Hebamme, er ein bärtiger, muskulöser Steinmetz. Sie laden den Besucher aus dem Land des „Sound of Music“ ein zu DEF FX. Die australische Surf-Rock-Band gibt morgen ein Open Air-Konzert. „Cya this arvo“ – See you this afternoon, kommt der Gruß in lokalem Slang. Sounds great. Das Konzert ist leider verregnet. Die Kanaldeckel werden durch den Wolkenbruch aus ihren Rahmen gehoben und liegen in der Straßenmitte. Am nächsten Tag sind sie wieder auf ihren Plätzen. Die Straßenbrigade war in der Nacht fleißig. Unsere Adelaide-Tour kann bei strahlend blauem Himmel beginnen.
Die Stadt ist nicht groß. Alle Sehenswürdigkeiten sind an einem Tag erlebt. Inklusive Gruppenbild mit Tante vom Lofty Lookout. Von hier sieht man auf das handlich kleine Adelaide mit seinem Parkring, der das Zentrum wie die Reibflächen eine Zündholzschachtel umgibt. „Siehst du den Ozean hinter der Stadt – und die Insel davor? Morgen fahren wir nach Kangaroo Island da vorne“, sagt Jane. Es gibt dort drüben sehr schöne Wohnmöglichkeiten. Wir setzen jedes Jahr mit der Fähre einige Male über. Es sind nur ein paar Meilen vom Festland. Warum die Insel nach dem Wappentier Australiens Kangaroo Island benannt ist, will sie mir nicht sagen.
Wir fahren auf einer Serpentinenstraße durch dichten, saftigen Eukalyptuswald. Grüntöne in allen Schattierungen. Das Asphaltband scheint durch die vielen Knicke in den Horizonten der rollenden Landschaft abzureißen, aber es trägt uns wie eine Hochschaubahn bis zum Ende. In Port Breda endet die Straße im Meer. Beim Leuchtturm liegt ein Walskelett als Parkplatz-Einteilung. In die Spalten der Barten haben Teenager ihre Zigarettenstummel gesteckt. Die Sonne steht tief und hellt die Dunstglocke über dem Südozean auf wie eine Purpurglorie. Die Lichtsignale perlen von den Schaumkronen. Vor uns muss Tasmanien sein, noch weiter die Antarktis.
Rick macht eine Bewegung in Richtung Leuchtturm. „Schau, die beiden boxenden Kängurus“, meint er und wuchtet sich wieder in den alten Kombi. Wir müssen noch eine Weile bis zu unserer Bucht fahren. Der Wagen ist vollgeräumt mit Campingzeug. Ich sitze zwischen Gaskocher und Klappstuhl. Warum habe ich die Liste mit Janes netten Quartieren auf Kangaroo Island ignoriert – sie hätten mich jetzt abgesetzt in Flinders Chase Farm oder Ficifolia Lodge und morgen nach dem Frühstück und einer Runde im Pool wieder zu einer Tour abgeholt. Stattdessen schlage ich jetzt Heringe ein und blase meine Luftmatratze selber auf. Gut, dass Tante nicht mitwollte.
Versöhnung mit dem Gaskocher
Wir sind die einzigen an der Vivonne Bay. Die Bucht umschließt unser Camp schützend wie ein Hufeisen. Windstille, das Meer so farbenfroh wie Lapislazuli. Zwei Delfine schlunzen im Gleichklang durch das spiegelglatte Meer. „Time for breakfast!“, ruft Rick durch meine Reißverschlusstür. Ich versöhne mich mit dem Gaskocher, der mir bei der Anreise einen blauen Fleck am Unterarm verpasst hat. Jane beherrscht den Caffè Macchiato mindestens genau so gut wie der Kaffeesieder vom Tirolerhof bei der Albertina. Sie hat sogar einen Milchaufschäumer mitgebracht. Die scrambled eggs mit einem Schuss Chili sind real great tucker, wie der Australier zu einem Superessen sagt. „Als Dessert wollen wir das Wahrzeichen von Kangaroo Island ansehen“, sagt Rick und empfiehlt, die Schlapfen gegen Wanderschuhe zu tauschen.
Nach zwei Stunden bestaunen wir eine Laune der Natur. Sie ließ vor über 500 Millionen Jahren die Remarkable Rocks (bemerkenswerte Felsen) aus Granit entstehen. Wir stehen unter einem Elefantenrüssel aus Stein, der durch Wind, Regen und Wellen geschliffen wurde. Skurril. Die orange Farbe der Formation entsteht durch Flechtenbewuchs. Jane schlägt vor, bei Sonnenuntergang noch einmal wiederzukehren. In der Zwischenzeit könnten wir eine kleine Tour durch die Nationalparks machen.
Vor der Eukalyptus-Farm Emu Ridge liegen Obstplantagen, die mit Vogelabwehr-Netzen überspannt sind. Dazwischen grasen Kängurus. Für die Gewinnung des Eukalyptus-Öles werden die Bäume fachkundig zurückgeschnitten. Eine ausgediente gelbe Caterpillar-Raupe schiebt die Äste mit den lanzettenförmigen Blättern in einen ebenerdig eingegrabenen überdimensionalen Kocher, wo das Gebräu einige Zeit siedet.
Bierkunde auf Australisch
Mit einer Destillierkolonne kann aus den aufsteigenden Wasserdämpfen das ätherische Öl gewonnen werden. An diesem warmen Sommertag kommen die Arbeiter gehörig ins Schwitzen. Das Herdfeuer gibt den Rest. Die Kühltasche wird im Schatten einer Scheune konsultiert. Es folgt eine Einführung in die Bierkunde Australiens: Emu Export, Fourex XXXX, Victoria Bitter und Fosters stehen zur Auswahl. Schwer zu sagen, welches Bier am besten schmeckt. Jane fällt in nachdenkliche Stimmung, weil sie die Knabber-Erdnüsse vergessen hat.
Weißer Fleck auf der Landkarte
Kangaroo Island ist 145 km lang, etwa 50 km breit und hat 500 km Küstenlinie. Sie ist mit einer Fläche von 4.400 km² ungefähr so groß wie das Burgenland. Die höchste Erhebung ist ein moderat hohes Granitplateau im Norden mit 307 Metern. Auf der Insel leben nur etwa 4.300 Menschen. Funde von Steinwerkzeugen lassen vermuten, dass die Insel schon vor 11.000 Jahren besiedelt war. Die damaligen Ureinwohner verschwanden um 200 v.Chr. – Krankheiten, Stammesfehden, Klimaveränderung oder Abwanderung. Der britische Entdecker Matthew Flinders nannte den weißen Fleck auf seiner Landkarte Kangaroo Island. Die Crew landete am 2. März 1802 auf der menschenleeren Insel. Man war hungrig und aß sich satt an Kängurufleisch. „In Dankbarkeit für die gerade rechtzeitig eingetroffene Verpflegung benenne ich diese Südinsel Kangaroo Island“, schrieb Flinders in das Logbuch.
Ein Jahr nach der Entdeckung landete eine Gruppe amerikanischer Robbenfänger unter Captain Pumberton und siedelte sich am American River an. Sie blieben vier Monate, um so viele Robbenfelle wie möglich zu erbeuten und ein neues Schiff zu bauen. Als die Amerikaner mit ihrem 35-Tonnen-Schoner abreisten, war Kangaroo Island nicht nur für Walfänger ein idealer Platz, sondern auch für Deserteure, entflohene Häftlinge, Bauern und andere Siedler. Die verwilderten Männer entführten gewaltsam Aborigine-Frauen von Tasmanien und dem Festland auf ihre Insel. Mit der Zeit errichteten sie Häuser und ernährten sich von Landwirtschaft.
„Man ist nicht in Kangaroo Island gewesen, wenn man nicht unser billabong (Wasserloch) gesehen hat“, sagt Rick als wir uns zu Boden drücken und über den Grat eines Hügels schielen. Eine Handvoll Kängurus stehen am Ufer des Sees und trinken sich satt. Mit ihrem muskulösen Schwanz und den Hinterbeinen haben sie einen sicheren Dreipunkt-Stand und die Vorderbeine sind frei. „Weißt du, warum die Kängurus eigentlich so heißen?“, frage ich Rick. „Es kommt aus der Sprache der Aborigines“, sagt Rick.
„Kangaroo bedeutet in ihrer Sprache: Ich weiß nicht.“ Viele australische Begriffe haben das „roo“ am Ende. Jackaroo ist der australische Cowboy. Jillaroo ist ein Sporttrainer. Jackaroo war aber auch ein legendäres Auto der australischen Marke Holden. Under-roos sind Unterhosen und hooroo heißt goodbye. Bei meiner Abreise von Adelaide, als ich bei Tante Tschank noch einmal auf der Veranda unter ihrem prächtig blühenden Baum sitze, bleibt es beim Abschied zwischen uns aber trotzdem beim „Leb wohl!“
Infos
Wohnen
Acacia Apartments
acaciaapartments.com
Cape Borda Leuchtturm / Leuchtturmwächter-Suite
environment.sa.gov.au
Nicht versäumen
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! Nationalpark Flinders Chase
! Delfin- und Walbeobachtung: „Ocean Safari“ / Penneshaw oder Kangaroo Island Marine Adventures / Kingscote
! Eukalyptusöl-Destillerie „Emu Ridge“
! Kangaroo Island Quad Bike Tour / Vivonne Bay, Kangaroo Island- Seal Bay Conservation Park (Seelöwenkolonie)
! Kelly Hill Conservation Park and Caves (Tropfsteinhöhle)
! Kangaroo Island Spirits / Cygnet River (Edelbrand-Herstellung)
! Seddon Wildlife Park (Koalas)
Flug
Direktflug Wien-Adelaide und retour, z. B.
mit Quantas aktuell um € 1.297,- und dann mit
dem Mietauto vom Flughafen ca. 2 Stunden auf der Straße B23 zur Hafenstadt Port Jervis.
Mietauto
z. B. Budget Australia Adelaide Airport (ADL), www.budget.com.au/en/locations/au/sa/adelaide
Überfahrt nach Kangaroo Island / Penneshaw von 6 bis 21.45 Uhr stündlich, Tickets vor Ort, Fahrtdauer ca. 30 Min.
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