Schöne Aussichten: Eine Winterreise ins Ausseerland
Ein Besuch im steirischen Salzkammergut, auf der Suche nach dem schönsten Dachsteinblick. Eine Geschichte von Bergen und Bond.
Überblick
Steirisches Salzkammergut
Umgeben von Bergmassiven der Nördlichen Kalkalpen, dem Dachsteinmassiv, dem Toten Gebirge. UNESCO-Welterbe-Region
Von Manfred Horvath
Spiegelschwarz liegt der Elmsee im Trog des Kalksteines und der runden Gipfel. Der große runde Mugel, der in den Himmel ragt, ist der Salzofen. Es scheint, als hätte er mit einem Soleguss aus Salz die Landschaft mit einer weißen Schneeschicht überzogen. Das Laichkraut, das im Sommer noch einen fleischigen grünen Gürtel um den winzigen See gebildet hat, liegt nun wie eine braune Manschette flach am Ufer.
Wir gehen den weißen Weg mit knirschenden Schritten von der Pühringerhütte zum augenförmigen kleinen Wasser des Lahnsees. Kleine Saiblinge schwimmen von uns weg mit sparsamen Flossenbewegungen. Sie haben sich hier oben auf über 1.600 Metern perfekt an das kalte Leben angepasst und leben nur von Plankton. Wenn der Winter es will und den See mit einer Eisschicht bedeckt, existieren die Fische am Seeboden auf Sparflamme weiter. Und das monatelang. Ein Paragleiter vor uns lässt seinen Adrenalinstau mit einem langgezogenen Schrei frei und rennt über die Kuppe Richtung Abgrund. Sein Gleitschirm strafft sich schon und seine Beine zappeln kurz danach in der kalten Luft.
Die Seen und Flüsse des Ausseerlandes sind gute Marken zur Orientierung. Selbst für einen Vielbesucher, der schon öfter als 40 Mal im steirischen Salzkammergut gewesen ist, kann es jederzeit Überraschungsmomente geben. Zum Beispiel ein Holzgestell eines Trojanischen Pferdes im Schnee – es ist ein Gerüst für die Blumen beim Narzissenfest und überwintert hier.
Am Ufer des Grundlsees
Oder ein Bauer namens Schachner, der vor seinem einschichtigen, wunderbar gepflegten Hof Holz hackt. Er fuchtelt mit seinem Beil zum Gruß durch die Luft und will wissen, woher die Wanderer kommen. Die Buchenscheite hat er schon exakt bis zur Fensterbrettunterkante geschlichtet. Aus dem Brennmaterial entsteht so eine neue Wand. Dekorativ, wärmedämmend und schön anzusehen. Der Schachnerbauer schwitzt bei der Arbeit. Sein gefrorener Atem hat sich schon in winzigen Eiskristallen in seinen Bart genistet. Man spürt, er ist froh, hier zu leben, am Ufer des Grundlsees. Beim Wegfahren ruft er noch nach: „Bis zum nächsten Mal – wennst deine eigene Axt mitnimmst, können wir gemeinsam Holz machen!“ Zu Hause denkt man dann noch oft an den schönen Hof mit den grünen Fensterläden und den riesigen Birnbaum, der an der Fassade als Spalierobst lehnt und dem Wetter trotzt.
Eine abgelegene Stelle im Ausseerland, quasi der Antipoden zum Altausseersee, ist der Ödensee. Die Zufahrt über den einzig möglichen engen Weg führt durch feuchte Wiesen und abgeerntete Getreidefelder. Die Strohstoppeln stehen nach der Mahd wirr aus der Schneetuchent. Grob gezimmerte Holzschober säumen den Weg zum Ödensee. Ein neugieriger Blick in das Innere eines Schobers zeigt ein rotes Sportboot mit Außenbordmotor.
In Zeiten von plastikumwickelten Strohballen wird der Platz frei im Stadel und schon gibt es ein Bootshaus mehr im Feld. Der Schnee dämpft alle Geräusche. Am Seeufer gibt es noch eine Steigerung der Stille. Der Nebel ist so effektiv schallschluckend wie Eierkartons in einem Musikproberaum. Es legt ein Fischer mit seiner Zille an und stellt einen roten Plastikkübel auf den Steg. Während er seine Sportgeräte und eine Styroporbox auslädt, zerreißt er über eine externe Handybox mit einem Gangster-Rap die Stille. Wahrscheinlich hätte die Nummer A Whiter Shade of Pale von Procol Harum besser gepasst.
Das Höchste für den Steirer
Was dem Schweizer das Matterhorn ist, sich sogar in einer Kette von abbrechbaren Gipfeln als Honig-Nuss-Schoko verkauft, ist dem Ausseer der Dachstein. Ja, es gibt hier schöne Berge: den Loser, der aussieht, als würden zwei Hähne darum buhlen, wer den schöneren Kamm hat, den Monolith des Grimming an der Einfahrt vom Ennstal her, den Kulm mit der imposanten Skiflugschanze und das raumgreifende Hochplateau der Tauplitz. Aber der Dachstein ist eben das Höchste für den Steirer. Und weil das Dreieck sich so gut im Wasser von Grundlsee und Altausseersee spiegelt, wird der ganze Berg von den Ausseern wohl zu Recht als der Ihrige reklamiert. Zumindest gibt es beinahe in jeder Bäckerei ein Dachsteinbrot mit kantigen Vollkörnern und ebensolcher Außenform.
Es scheint eine allgemeingültige Meinung unter den Hiesigen zu geben, wenn man sie nach dem schönsten Blick auf ihren Berg fragt: von der Seewiese aus. Bei Sonnenaufgang, wenn er golden beschienen wird. Im Abendrot des Alpenglühens. Wenn das gespiegelte Vexierbild eingerahmt wird von den weißen Seerosen im Juli und August. Wenn man auf der Terrasse des Jagdhaus Seewiese sitzt, mit einer ehrlichen Speckjause vom Eichenbrett.
Da konnte es schon vorkommen, dass Daniel Craig am Tisch sitzt, in einer Drehpause zu Spectre, als vor einigen Jahren Altaussee wegen der hunderten Menschen Filmcrew und etlichen Trucks kurzerhand zur Sperrzone erklärt wurde. Mit einer Plätte kreuzte Bond den Altausseersee und traf mit gezückter Pistole auf aufgeschreckte Möwen in der Stube und auf Mister White. Im sinisteren Keller fiel dann nur ein Schuss und die Jagdhütte wurde nicht gesprengt.
Schießen und rauchenAuch die privilegierte Schützengesellschaft Alt-Aussee ist ein sehr spezieller Ort. Anfänglich war dieser Schießstand ein verbotener, wie ein Ansuchen aus dem Jahr 1790 zeigt. Um die Jahrhundertwende 1900 wurde das Gasthaus Schießstätte gebaut und 1913 von Fürst zu Hohenlohe das heute bestehende Heim der Schützen. Mit abgerissenen Kartons, die zwischen Stirn und Hutkrempe geklemmt sind und ein Auge zum besseren Zielen abdecken, sitzen die Männer in ihren Lodenjankern und Knickerbockern in ihren Kojen und zielen auf die 125 Meter entfernte Scheibe mit Kleinkalibergewehren 22 longrifle und der Achterin Kaliber 8,15 x 46 mm.
Den derzeit besten Tiefschuss mit 4 Teilern erzielte am 14. 6. 2014 eine Frau: die Elektrodenwerkspensionistin Josefa Schilcher mit 88 Jahren. Beim Rauchen der Pfeife wird der Tabakbeutel zum Stopfen auf den Tisch gelegt. Ein archaisch anmutendes Stück Leder mit Stickarbeit verziert. Nur im Beutel aus zart gegerbter Saublase – es werden Dinkelkörner eingefüllt und damit die feine Haut weich massiert – hält der Tabak sich länger feucht und saftig. Ein Zug aus der Pfeife zeigt, wie gut es schmeckt. Zum Faschingsumzug der „Flinserl“ wird die Saublase dann ganz anders eingesetzt. Mit Luft befüllt und an einen Stock gebunden zum Einschlagen auf die Besucher, wenn es deftig zugeht. Manchmal tut gelebte Tradition ein bisschen weh.
3 kuriose Fakten. Wussten Sie, dass …
… das bekannte, kostbare „Flinserl“Faschingskostüm, in dem kleine Spiegelstücke eingestickt sind, seinen Ursprung in Zeiten des Salzhandels mit Venedig hat? Das Schneidern des Kostüms braucht 400 bis 500 Stunden
… sich im Salzbergwerk Altaussee mitten in den tiefen Stollen die Barbarakapelle befindet, die aus Salzsteinen gebaut ist?
… Hugo von Hofmannsthal hier das „Das Dorf im Gebirge“ schrieb?
Die Berge stehen schützend wie Wächter um die Seen. Ein letzter Blick zur erhabenen Loserwand am Morgen. Das Abschiedsritual vom Ausseerland ist stets ähnlich. Es muss als letztes Mahl ein Saibling aus einem hiesigen See sein. Gewürzt nur mit Bergsalz aus den umgebenden Salinen. Vor etwa zehn Jahren wurde das Angebot an Saiblingen allerdings immer mehr reduziert. Die Fischer der Bundesforste sind seither damit beschäftigt, die Räuber der Saiblinge, nämlich Barsche und Hechte zu dezimieren. Teils durch Nadelgehölz, das in der Laichzeit der Barsche in das Wasser gehängt wird, um den darauf anhaftenden Fischlaich zu filtern, teils durch Jagd mit Angeln auf die Hechte. Sogar die kleinen Überlebenskünstler-Saiblinge vom Lahnsee aus den Höhenlagen wurden zu den Fischen vom Grundlsee übersiedelt, um die Genstruktur der schwächelnden Talkollegen wieder aufzubessern. Es ist den Altausseern eben wichtig, dass die Natur im Einklang ist.
… ein Fernglas zum Reinzoomen in die winterliche Tierwelt, um Gämse zu beobachten – und dem Dachsteingipfel näher zu kommen.
… Schlittschuhe für Abkürzungen über das Natureis der vielen Seen, wenn es hoffentlich klirrend kalt und das Eis dick genug ist.
… den Ausseerland-Romankrimi „Die Villen der Frau Hürsch“. Geschrieben vom Bad Ausseer Alfred Komarek, der die Gegend kennt wie seine Westentasche.
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