Kurven als Schönheitsideal: Kommt Schlanksein aus der Mode?

Ob auf Instagram, am Strand oder in der Werbung: Kurvige Frauen sind so sichtbar wie lange nicht.

Wer dieser Tage in Geschäften oder Online-Shops nach einem Badeanzug für den Sommerurlaub sucht, dem begegnet erstaunlich viel Normalität: Cellulite, Narben, Dehnungsstreifen und Speckröllchen sieht man nicht mehr nur im Spiegel der Umkleidekabine, sondern auch an Models auf Plakaten und in Magazinen.

Ein ähnliches Bild zeigt sich im Freibad, wo junge Frauen ihre Kurven und Dellen in knappen Bikinihöschen selbstbewusst zur Schau stellen. Der Trend ist selbst an Victoria Beckham nicht vorübergegangen: „Möglichst dünn sein zu wollen, ist eine veraltete Vorstellung“, konstatierte die Modedesignerin und Vierfach-Mutter kürzlich in einem Interview mit dem Magazin Grazia. Junge Frauen würden heutzutage „gesund und kurvig“ aussehen wollen – „sie wollen Brüste haben und einen Hintern“.

Die Analyse des Ex-Spice-Girls schlug Wellen, galt doch ausgerechnet sie in den Nullerjahren als Ikone der viel kritisierten Size-Zero-Ästhetik. Dann begann der Siegeszug von Instagram, die Generation Y entdeckte den gesunden Lebensstil für sich und eine reiche Anwaltstochter namens Kim Kardashian machte den dicken Po zum Statussymbol.

Ist Dünnsein mit den Spice Girls und Skinny Jeans aus der Mode gekommen?

In einem Punkt hat Beckham recht, beobachtet die Wiener Psychologin Brigitte Moshammer-Peter. „Bei immer mehr jungen Erwachsenen ist es out, sich einem Diktat zu unterwerfen. Sie wollen sich nicht einer Norm anpassen, sondern in der Form inszenieren, die ihrer Persönlichkeit entspricht.“ Das gelte für die Statur ebenso wie für die Überwindung von Geschlechtergrenzen.

Kurven vom Chirurgen

Die gelockerten Schönheitsbilder sind ein Resultat der Feminismus- und Body-Positivity-Bewegung im Netz, wo Influencerinnen höchst erfolgreich ihre Dehnungsstreifen und andere Makel zelebrieren. Dazu kommt der Diversity-Trend, der Minderheiten eine Bühne gibt. Marken von Calzedonia bis Germany’s Next Topmodel schmücken sich damit – allerdings müsse man genau hinschauen, ob die neue Vielfalt nicht nur als Marketinginstrument bedient wird, sagt die Soziologin und Körperbildforscherin Tanja Kubes. „Ich würde nämlich nicht davon sprechen, dass Schlanksein generell out ist.“ Aus Studien wisse man, dass dicke Frauen in der Berufs- und Datingwelt nach wie vor benachteiligt sind und im Netz häufiger Bodyshaming erfahren.

Auch die erfolgreichsten Social-Media-Stars seien immer noch Menschen, die dem Ideal entsprechen, erklärt Kubes: jung, schlank, trainiert. „Ihr Aussehen ist häufig durch kosmetische Eingriffe verändert, die die klassischen Schönheitsnormen spiegeln.“ Die heikle Botschaft: In Zeiten von Instagram und Tiktok kann jeder ein Star werden, wenn er oder sie seinen Körper nur genug optimiert.

Tatsächlich nimmt die Nachfrage nach Beauty-OPs nicht ab. „Fettabsaugungen sind beispielsweise nicht weniger geworden, allerdings werden sie mittlerweile anders durchgeführt“, berichtet Christian Wolf, Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie. „Wo früher nur Fett abgesaugt wurde, wird heute Body Contouring gemacht, also mehr wert auf schöne Rundungen gelegt. Gesäß und Brust sind seit dem Auftauchen von Kim Kardashian ein immer größeres Thema in meiner Ordination geworden.“ Rundliche Formen sind also erwünscht – aber an der richtigen Stelle. Das Sanduhr-Ideal setzt Frauen erst recht unter Druck, bestätigte kürzlich eine britische Umfrage.

Wer das Skalpell scheut, quetscht seine Fettröllchen daher mit Shapewear in Form: Die Halt gebende Unterwäsche ist beliebt wie nie und wird neuerdings als feministisches Modestatement für Körper jeder Größe angepriesen. Ein zweischneidiges Schwert, weiß Soziologin Kubes. „Natürlich ist es großartig, wenn fülligere Körper gezeigt werden. Allerdings ist Shapewear, also Unterwäsche, die den Körper in eine bestimmte Form zwängt und straff wirken lassen soll, im Zusammenhang mit weiblicher Selbstermächtigung eigentlich ein Hohn an sich.“

Wie schnell sich die Definition vom perfekten Körper ändern kann, zeigt ein Blick auf die Beauty-Ikonen des vergangenen Jahrhunderts. Der Chirurg ortet in naher Zukunft trotz Gelassenheit bei den Jungen kein Ende von Schönheitsidealen. „Irgendwann werden sich die Menschen am Look der Kardashians sattgesehen haben“, glaubt Wolf. „Welche Körperform danach gefragt ist, bleibt abzuwarten.“

Glossar

Body Positivity
Gegenbewegung zum Perfektionswahn, die sich über  Influencer in den  sozialen Medien verbreitet hat. Das Motto: Jeder Körper ist schön und muss geliebt werden

Body Neutrality
Der Nachfolgetrend fordert eine neutrale Einstellung zum Thema Schönheit: Der eigene Körper wird akzeptiert, aber weder positiv noch negativ gewertet

Tokenismus
Immer mehr Marken setzen auf Models mit diversen Hautfarben, Körperformen oder Behinderungen. Dient dies nur dem eigenen Image, spricht man von  einem Token (Person, die eine Alibifunktion erfüllt)

Size Zero
Die US-Kleidergröße „0“ entspricht einer deutschen Größe 32 und galt ab den 90ern als Ideal. Sie ist nicht die kleinste: Es gibt sogar „00“

Plus Size
In diese Kategorie fällt ein Model, wenn es eine größere Konfektionsgröße als in der Branche üblich (32 bis 36) trägt. Die Einstufung ab Größe 38 wird kritisiert. Das Model  Stefania Ferrario (Größe 40) startete daher die Kampagne #DropThePlus

Maria Zelenko

Über Maria Zelenko

Seit 2015 beim KURIER. Schreibt seit über einem Jahrzehnt über alles, was die Mode- und Kosmetikwelt bewegt.

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