Kunst oder Mode? Die Couture-Kleider von Viktor & Rolf sind im Museum
Lady Gaga, Kate Moss – Stars lieben die subversiven Mode-Entwürfe des Künstlerduos Viktor&Rolf. Jetzt zeigt eine Ausstellung in München ihre glamouröse Haute Couture.
Sie schneiden Tüllkleider mit der Kettensäge in Form, entwerfen Roben, die als Skulptur um den Körper zu schweben scheinen. Sie schaffen Stücke, die man wie Gemälde an die Wand hängen kann, und lasern Texte in ihre Stoffe. Aber wer dem Designer-Duo Viktor Horsting und Rolf Snoeren die Frage stellt, ob ihre extravagante Haute Couture Kunst oder Mode sei, muss sich mit einer Gegenfrage zufriedengeben.
Und diese kommt schnell: "Warum kann es nicht beides sein?" Sie selbst bezeichnen sich nämlich gerne als "Fashion Artists" und möchten mit ihrer Arbeit Widersprüche vereinen. Kunst zieht ja bekanntlich Künstler an. Deshalb tragen Lady Gaga, Madonna, Björk oder Tilda Swinton die visionäre Haute-Couture-Kunst des niederländischen Mode-Duos privat wie auf der Bühne.
Jetzt widmet die Münchner Kunsthalle den Designern die Retrospektive "Viktor&Rolf. Fashion Statements". Ausgestellt sind Arbeiten der vergangenen 30 Jahre: Videos, Skizzen und Fotografien der besten Modefotografen, von Herb Ritts bis Andreas Gursky oder Ellen von Unwerth sowie Porzellanpuppen, die in handgefertigte Couture der Designer gekleidet wurden.
"Unsere zeitgenössische Mode auf altertümliche Puppen zu übertragen, war wie das Einfrieren oder Auslöschen der Zeit", so Viktor&Rolf. International bekannt wurden die Designer für ihren Purismus, die Farbe Pink, das Besticken von Kleidungsstücken mit Statements und Sprüchen, Recycling, ihre Liebe zu Schleifen und den Kultduft Flowerbomb.
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Mode mit Humor
Schönheit ist zwar ein Ziel der beiden Modedesigner, aber gleichzeitig sollen die Trägerinnen ihrer Mode damit auch gesellschaftliche Statements abgeben. Deshalb verarbeiten Viktor&Rolf gerne überspitzte Zitate in Haute Couture, setzen ihre subversiven Ideen in überzeichnete Silhouetten um und schneidern soziale Fragen mit Ironie, Kunst und Poesie zu Kollektionen. "Es ist in der Tat lustig, dass unsere Arbeit oft als humoristisch angesehen wird, was natürlich toll ist! Aber für uns ist sie eigentlich ziemlich ernst, zutiefst ernst“, sagten die beiden zu Kurator Thierry-Maxime Loriot.
"Es geht nicht um Humor, sie finden es oft nicht lustig, klug ist eher das richtige Wort, auch wenn ihre Mode die Menschen zum Lächeln bringt", so Loriot.
Kein Wunder also, dass ihre Defilees, inszeniert als Kunstperformances, zu den Highlights der Pariser Fashionweek zählen. "Für uns ist eine Show eine Möglichkeit, eine Geschichte zu erzählen", sagen Viktor&Rolf. "Unsere Kollektionen, von den Kleidungsstücken bis zur Präsentation, sind Ausdruck unserer persönlichen Ängste, Frustrationen, Interessen und Faszinationen."
Thierry-Maxime Loriot kuratierte auch Ausstellungen zu Jean Paul Gaultier, Thierry Mugler sowie eine Retrospektive von Peter Lindbergh für die Münchner Kunsthalle. "Ich brenne für Mode. Als Kind fand ich es eher langweilig, mit meinen Eltern in Kunstmuseen zu gehen", erzählt der Kurator, der die beiden Modekünstler vor über zehn Jahren in einem Pariser Restaurant kennenlernte. "Haute Couture ist spektakulär, aber man bekommt sie sehr selten zu sehen. Heute ist es einfacher, einen Picasso in einem Museum zu betrachten als ein Kleid von Viktor&Rolf. Die beiden sind Konzeptkünstler, ihre Mode unterliegt keinen Trends, das macht sie so zeitlos."
„Da Viktor&Rolf keinen Trends folgen,
ist ihre Arbeit zeitlos und man kann sie
nicht einordnen.“
Thierry-Maxime Loriot, Kurator
Wer ihre Defilees gesehen hat, dem bleiben sie unvergessen. Wie auch dem Wiener Designer Hermann Fankhauser. "Viktor&Rolf sind ein interessantes Duo. Sie belebten 1999 die damals absteigende Haute Couture wieder, als sie in der Winterkollektion 'Russian Doll' dem Model Maggie Rizer neun Kleider, Schicht für Schicht, übereinander anzogen, bis sie am Ende wie eine Babuschka-Puppe aussah und über 70 Kilogramm Kleidung am Körper trug“, erzählt der Designer des Modelabels "Wendy&Jim". "Hinter jedem Entwurf steckt ein klares Konzept. Viktor&Rolf haben ein großartiges Gefühl für Farben, Stoffe und Silhouetten."
"Russian Doll" ist auch einer der Höhepunkte der Münchner Ausstellung. "Dass ich hier zum ersten Mal die russische Puppenkollektion sehen konnte, ist mein persönliches Highlight. Damals hatten die beiden kein Geld, um weitere Models zu engagieren, deshalb entwickelten sie eine Modeschau mit nur einem Model. Rizer stand auch auf einer sich drehenden Plattform, als Symbol für das Modekarussell."
Kettensägen-Couture
Um dem Modekarussell der Ready-to-wear zu entkommen, beendeten sie diese und widmen sich seit 2013 nur noch der Haute Couture. "Wir hatten beschlossen, mit Ready-to-wear aufzuhören. Da entstand die Wearable-Art-Kollektion, in der sich ein Kleid in eine aufhängbare Leinwand verwandelt. Um die Einzigartigkeit der Couture als Gegensatz zu Ready-to-wear zu betonen, setzten wir Kunst als Mittel ein“, erzählte das Designer-Duo Kurator Loriot. So wurden bei der "Cutting Edge Couture"-Kollektion 2009, die Lady Gaga auf der Bühne trug, Ballkleider als Zitat zu Finanzkrise und Weiblichkeit zerstört und dafür kurzerhand die Kettensäge eingesetzt. Bei der Kollektion "Late Stage Capitalism Waltz“ 2023, setzten sie auf 3D-Druck und ließen die Kleider um die Körper der Models schweben.
„Als Viktor&Rolf in der Jury des Festival international de Mode et de Photographie Hyères saßen, bei dem wir einen Workshop machten, haben sie uns sehr unterstützt“, so Fankhauser. Er ist auch Senior-Artist der Modeklasse der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien, wo Viktor&Rolf 1999 unterrichteten. Das Festival war 1993 selbst der Karrierestart für Viktor&Rolf, die damals dort gleich drei Preise einheimsten.
Trotzdem dauerte es Jahre, bis sie ihren Stil gefunden hatten. 1998 brachten sie ihre erste Haute-Couture heraus, stellten diese nach zwei Jahren wieder ein und konzentrierten sich lieber auf Ready-to-wear und Parfüms. Glamouröse Duft-Kampagnen hatten es ihnen seit jeher angetan.
Ihr legendärer Duft Flowerbomb wurde bereits 2004, bei der gleichnamigen Ready-to-wear-Kollektion, bei der Models zu einem Heavy-Rock-Soundtrack über den Catwalk liefen, kreiert. Die Parfümkampagne, fotografiert vom Künstlerpaar Inez van Lamsweerde und Vinoodh Matadin, wurde sogar mit dem FiFi Award als beste internationale Werbekampagne ausgezeichnet. Auch dieses Parfum erweist sich bis heute als zeitloser Bestseller, genau wie ihr Männerduft Antidote.
Dass Viktor&Rolfs Mix aus Mode und Kunst nichts an Aktualität verloren hat, zeigt sich in der Münchner Ausstellung. In geschichtsträchtige Kleider schlüpften Tilda Swinton, Kate Moss oder Julia Roberts, in Szene gesetzt von Cindy Sherman, Andreas Gursky, Mario Testino, Ellen von Unwerth oder Steven Meisel. Und Herb Ritts lichtete Model Esther Cañadas 1999 für die Pariser Vogue im "Atomic-Bomb"-Kleid ab.
Viktor&Rolf kritisieren Konsumverhalten und Modediktat und setzten auch das Thema Nachhaltigkeit bereits 2016 um. So wurden Balenciaga-Stoffe der "Atomic-Bomb"-Kollektion und Vintage-Stoffe von Yves Saint Laurent zur "Recycling-Kollektion" Vagabonds oder ein Pucci-Kleid zu Taschen eines Kleides der Kollektion "Boulevard of Broken Dreams". "Uns gefällt die Idee, etwas zu verwenden, das bereits existiert“, so die niederländischen Designer.
„Da Viktor&Rolf keinen Trends folgen,
ist ihre Arbeit zeitlos und man kann sie
nicht einordnen.“
Thierry-Maxime Loriot, Kurator
Die Ausstellung „Viktor&Rolf. Fashion Statements“ ist bis 6. Oktober in der Münchner Kunsthalle zu sehen.
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