Wie entsteht ein Klassiker? Auf den Spuren des Kults

Ob ein Produkt einmal Kultstatus erlangen wird, weiß man vorher nie. Was einen Klassiker ausmacht und welcher Flair ihn umgibt.

Sie trägt den Geruch des Rebellischen, des Nicht-Konformen:   Als James Dean 1955 als Jim  Stark das erste Mal in die rote G9-Jacke schlüpft, verwandelt er sich vom braven Sohn, der Mama für das Lunchpaket ein Küsschen gibt, in einen rebellischen jungen Mann, dessen Handeln später schwere Konsequenzen haben sollte. Wenn man heute jemanden  mit Jeans, weißem T-Shirt und rotem „Windbreaker“ sieht, erscheint der blonde Jüngling vor dem inneren Auge. Die Jacke wirkt bis heute so lässig wie damals. 

Die „G9" wurde 1937 von den Brüdern John und Isaac Miller entworfen, den Gründern des englischen Labels Baracuta. Das leichte Design wurde schon damals in mehreren Farben produziert, darunter Olivgrün, Dunkelblau, Beige und eben Rot. Eigentlich handelt es sich dabei um eine Golfjacke (daher  die Namensgebung nach den neun Löchern eines Golfplatzes). Arbeiter brachten sie nach dem 2. Weltkrieg in die USA, wo sie es schnell ins Kino schaffte: Elvis Presley prügelte sich in ihr durch die Handlung von „King Creole“, James Dean raste in ihr mit einem 1949 Mercury auf der Leinwand ins Verderben. Später war sie die Lieblingsjacke von Steve McQueen, der sie sowohl am Set als auch privat in mehreren Farben trug und damit in seinem Jaguar XK-SS unterwegs war.

Die „G9“ wurde von jeder Generation aufgegriffen: Ihren Weg zurück in die Heimat fand sie in den 60ern, als die Londoner Mods etwas lässiger wirken wollten, in den 70ern und 80ern wurde sie von Punks und Hooligans getragen. Ab 1990 war sie auf den Schultern der Britpop-Helden Damon Albarn von Blur oder Liam Gallagher von Oasis zu sehen. Und dann trug sie auch noch Daniel Craig als James Bond. Kurz und gut: Sie ist ein absoluter Klassiker.

Jaguar widmet der Baracuta-Jacke eine eigene E-Pace-Sonderedition

©Jaguar

Damit der Kultstatus des Teils erhalten bleibt, ruft uns Jaguar mit einer Hommage das legendäre Teil in Erinnerung: Das britische Motorhaus widmet der Jacke mit der klassischen Schottenkaro-Fütterung eine Sonderedition des Jaguar E-Pace. Dem Jahrzehnt entsprechend inszenieren sich  heute Dutzende Influencer auf Instagram, Youtube und TikTok mit Jacke und Auto – wie einst Steve McQueen. Natürlich wird der Stil heute neu interpretiert: Die Jacke wird aufwendig mit Hip-Hop–Motiven bestickt oder kurzerhand besprüht, um individueller zu wirken und in der Masse der Influencer herauszustechen. Aber auch das sollte die „G9" überleben. 

Steve McQueen in einem Jaguar XK-SS 1956

©CBS via Getty Images/CBS Photo Archive/Getty Images

Doch was macht einen Klassiker tatsächlich aus? Ikonische Designs ziehen sich nicht nur durch mehrere Generationen, sondern auch soziale Schichten.   Bestes Beispiel: Pablo Picasso in seinem Bretonshirt. Das weiße T-Shirt mit Streifen wurde im Alter zu Pablo Picassos Lieblingsstück, doch er trug es schon als junger Mann:  Man vermutet, dass  es  ein Geschenk von Gerald Murphy war, der in den 1920ern mit seiner Frau Sara die „Villa America“ an der französischen Riviera zum Hotspot der  elitären Kreativität machte. Die sogenannte Lost Generation ging hier ein und aus, nutzte die Villa als Rückzugsort und Atelier – und natürlich wurde hier zwischen den Weltkriegen viel gefeiert.   Um 1925 kaufte Murphy viele der Breton-shirts in einem Bootsbedarf an der Küste und verteilte sie an seine Freunde und Gäste, darunter auch Picasso. Es entstand eine Art Uniform: Wenn ein Künstler oder Schriftsteller an der Riviera mit dem Shirt gesichtet wurde, signalisierte dieser die Zugehörigkeit zur Villa America. Pablo Picasso trug das T-Shirt auch als Symbol für seine „Klassenlosigkeit“ – er wollte damit ein Zeichen setzen, zeigen, dass er sich auch mit dem „einfachen Mann“ identifizierte – trotz seines Ruhms und Reichtums. 

Pablo Picasso in einem T-Shirt mit Breton-Streifen, ursprünglich die Uniform von Seemännern.

©Popperfoto via Getty Images/Paul Popper/Popperfoto/Getty Images

Kultprodukte finden ihre Wurzeln nicht selten in Uniformen oder populären Accessoires der Arbeiter- und Mittelschicht. Oft ist der eigentliche Urheber nicht ausfindig zu machen. Der heute legendäre Horsebit-Loafer von Gucci wurde vermutlich von einem lokalen Schuster in New York kreiert, dessen Namen heute niemand mehr kennt. Nach dem mysteriösen Tod seines Vaters Guccio flog Aldo Gucci 1953  im Zuge einer Dienstreise in den Big Apple, er hatte vor Kurzem das Lederunternehmen seines Vaters übernommen. Dort angekommen bemerkte er, dass amerikanische Männer in großer Zahl einfache Loafers zum schnellen Hineinschlüpfen trugen. Zurück in den italienischen Ateliers ließ er die Loafers nachbauen – natürlich nicht, ohne das hauseigene Markenzeichen auf die Front nähen zu lassen: Das goldene „Horsebit“ ziert bis heute die Designs von Gucci (darunter auch zahlreiche Damenhandtaschen). Der Loafer trat daraufhin seinen Siegeszug in Europa an und wurde wiederum von vielen Marken kopiert. Man schrieb also ungeniert voneinander ab – wo kein Kläger, dort kein Richter.

Die Horsebit-Loafers von Gucci werden seit den frühen 50ern produziert

©Hersteller

Und was wäre der Loafer heute, wenn Michael Jackson ihn nicht mit weißen Glitzersocken auf der Bühne getragen hätte? Der „King of Pop“ trug die Schuhe (übrigens nicht die von Gucci) erstmals 1979 auf dem Cover seines Albums „Off the Wall“ 1983 performte er darin „Billie Jean“ für das „Motown 25“-TV-Special, in dem er das erste Mal den Moonwalk machte. Der Auftritt brachte den Loafers auch den Spitznamen „Magische Schuhe“ ein. Jackson schenkte die Schuhe  dem Tänzer und Choreografen Lester Wilson, der sie 2018 versteigern ließ. Der erzielte Preis: 80.000 US–Dollar. 

Damit ein Design wirklich Kultstatus erlangt, muss es den Test der Zeit bestehen. Einfache Trends überleben in der Regel nicht lange genug. Ein Kultobjekt hat immer Geschichte, Wiedererkennungswert und ist mit Ruhm und Nostalgie behaftet. Es schafft Begehrlichkeiten, im Idealfall für alle Generationen und soziale Schichten. Daher lässt sich nur schwer vorhersagen, welches neue Design heute schon ein zukünftiger Klassiker ist. Aber Hand aufs Herz: Ein Mann ist immer gut angezogen, wenn er sich an bereits etablierten Looks orientiert. Wer einige Klassiker im Kleiderschrank hat, ist ohne Mühe immer gut gekleidet.

Sandra Keplinger

Über Sandra Keplinger

Seit Sommer 2021 im KURIER Medienhaus, zuerst als Digital Producer für die Freizeit, jetzt im Audience Development tätig. Sie arbeitete als Foto- und Modechefin beim WIENER, schrieb über das Mode-Business in der DIVA und war CvD bei Falstaff.

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