
Muskel, Macht & Männlichkeit - wie viele Muckis braucht der Mann?
Vom Barockbauch zur Betonplatte: Nie war der Männer-Körper stärker im Fokus. Eine Spurensuche zwischen antikem Ideal, TikTok-Bizeps und Fitnessstudio-FOMO.
Ein paar junge Männer spielen Basketball im Park. Nicht wirklich gut, aber wirklich cool. Slides mit Socken, Headphones und Sonnenbrillen in jeder nur denkbaren Variante auf dem Kopf, nur nicht über den Ohren oder vor den Augen. Wer sich's leisten kann, spielt oben ohne. Und: Alle können es sich leisten. So viele Sixpacks, dass einem vom Anschauen schwindlig wird.
Szenenwechsel: Der Bizeps des Postbeamten, der einem älteren Herrn mit freundlichem Lächeln einen RSB-Brief aushändigt, droht den Ärmel seines Kurzarmhemds zu sprengen, als er die 17 Gramm schwere Sendung anhebt.
Oder der Kassier im Supermarkt: Kleiderschrankschultern, die direkt bei den Ohren in einen Hals übergehen, wie man ihn früher höchstens von NFL-Profis gesehen hat.
Was ist da los?
Eine Körperrevolution in Zeitlupe – die allerdings so langsam auch beim Letzten angekommen ist. Und das Kuriose: Es geht nicht etwa darum, stark zu sein, sondern so auszusehen, als wäre man stark. Nicht Kraft ist gefragt, sondern Definition. Muskelberge allein reichen nicht – die Adern sollen sichtbar sein, der Trizeps scharf wie ein Schwert.
Und wer denkt, das war doch immer so, der sollte sich mal alte Filme anschauen.

John Wayne - ein g'standenes Mannsbild. Des vergangenen Jahrhunderts ...
©Paramount Pictures / PhotofestNehmen wir etwa John Wayne. Mitte des 20. Jahrhunderts DER Inbegriff des kantigen Mannes. Er trug seinen Colt mit Selbstverständlichkeit, warf Sprüche wie andere Lassos, und wie man hört, war er tatsächlich eine echte Naturkraft, mit der man sich nicht anlegen sollte. Aber unterm Cowboyhemd? Eher Fass als Fasson.
Oder Kirk Douglas, einer ...
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Die Gewaltigen hieß der Film mit John Wayne und Kirk Douglas. Ihre Muskeln waren es nicht. Also gewaltig.
©NBC UniversalOder Kirk Douglas, einer der härtesten Jungs seiner Zeit. Aber in „Spartacus“ wird’s deutlich: kein Gramm Fett, vielleicht ja – aber auch keine Spur von dem, was heute schon bei 17-jährigen TikTok-Helden zum Standard gehört.
Selbst Bruce Willis in „Stirb langsam“ wirkte höchstens wie jemand, der vielleicht zwei, maximal drei Mal im Monat ins Fitnessstudio geht – und das auch nur wegen des Rückens.
Körperkult & Antike
Natürlich gab’s im alten Jahrhundert auch Sylvester Stallone, Dolph Lundgren, den hyperdefinierten Jean Claude van Damme, „unsere“ steirische Eiche Arnold Schwarzenegger. Aber das waren erklärte Sonderformate.
Kein Mensch erwartete vom Nachbarn oder Lehrer, dass er so aussah. Heute ist das anders: Der Druck zur Definition ist längst im Alltag angekommen.
Und das beginnt früh. Psychologe Leander van der Meijden von der Universität Amsterdam spricht von einer „ästhetischen Überforderung“ junger Männer: „Soziale Medien vermitteln ein Ideal, das nie ruht – der perfekte Körper ist heute dauerpräsent. Was früher Covermodell war, ist jetzt dein Schulkollege oder dein Barista.“
Das führt laut Studien nicht nur zu wachsendem Körperstress, sondern auch zu einem drastischen Anstieg bei jungen Männern, die Anabolika oder „Legal High“-Supplements einnehmen.
Dabei ist der Kult um den männlichen Körper kein Phänomen von Proteinpulver und Pump-Up-Musik. Schon die Minoer – frühe Bewohner Kretas vor rund 4.000 Jahren – hatten ein Faible für athletische Körper. Ihre Wandmalereien zeigen junge Männer beim Stiersprung: drahtig, sehnig, mit taillierten Wespensilhouetten und langen Locken – eine Art antiker Boyband-Style in knappen Lendenschurzen.
Die Griechen führten diese Idee des Idealen Körpers zur formvollendeten Obsession. Muskeln wurden zur Metapher für moralische Stärke: Apoll, Theseus, Achilles, alle in ursprünglich lebensecht bemaltem Marmor, oft nackt, meist heldenhaft. Kalokagathia nannte man das Ideal: die Einheit von Schönheit und Tugend.
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Weder Kirk Douglas als Odysseus noch eines seiner Crewmitglieder entsprach dem muskulösem Ideal der alten Griechen ...
©MDR/ColosseoAuffallend dabei ist die Unterscheidung zwischen den jugendlichen Heldenkörpern und den reifen Männerkörpern der Götterväter. Während der junge Krieger durchtrainiert und idealproportioniert war, durfte ein Zeus ruhig mal Love-Handles tragen. Macht, so die Botschaft, braucht keine Diät.
1.500 Jahre Wampe
Dieses Körperbild blieb für gut 1.000 Jahre in Stein gemeißelt, da die Römer das Schönheitsideal der Hellenen praktisch 1:1 übernahmen.

Für die nächsten 1.500 Jahre war dann wieder Schluss mit Muckis, weil Germanen mehr an echter Kraft als an Optik interessiert waren, da störte ein wenig Fett kaum. Ausgewiesene Mittelalter-Legenden wie Karl der Große sollen sogar einen richtigen Ranzen gehabt haben.
Außerdem war im frühen Christentum der Körper ohnehin ein Tempel des Lasters, das Fleisch eine moralische Bürde. Heldenhaft war der Ritter nur in Rüstung, keinesfalls nackt.
Und auch wenn in der Renaissance die Ideale der klassischen Antike wiederentdeckt wurden und die Statuen wieder jede Menge nackte Muskeln zeigten, ließen sich Männer, die etwas auf sich hielten, davon keine Flausen in den Kopf setzen. Stattlich sollte er sein, der Mann, aber nicht definiert. Also eher Curd Jürgens als Herakles.
Daran änderte sich auch weiterhin nicht viel, egal ob Barock oder Biedermeier, Romantik oder Realismus: Während Frauen mit Vorgaben zu Taille und Dekolleté kämpften und sich später um Bauch, Beine, Po sorgten, galt für die Herren der Schöpfung lange Zeit Tante Joleschs Wahlspruch: „Alles, was ein Mann schöner is wie ein Aff, is ein Luxus.“
Muskeln waren was fürs Museum, später dann für den Jahrmarkt und nur in Ausnahmefällen fürs Kino. Die erste echte ästhetische Herausforderung, zumindest für junge Männer, war in den 1960ern und 1970ern ganz anderer Natur: Die frühen Posterboys der Rockszene wogen mit nassen Haaren höchstens 57 Kilo, da war’s dann vorbei mit stattlich und dem g’standenen Mannsbild.
Erst jetzt schlägt das Pendel wieder zurück und fordert tatsächlich kräftige Körper, die einem griechischen Ideal entsprechen. Und das nicht mehr nur von Aristokraten und Sportlern, sondern von uns allen.

Wie viele Muskeln braucht der Mann denn nun eigentlich? Weniger, als gemeinhin angenommen wird. Denn mal ehrlich – die wenigsten Männer müssen im Kolosseum gegen einen Löwen kämpfen. Und auch wenn es mitunter so wirkt: Niemand ist verpflichtet, seine Bauchmuskeln täglich der Welt zu präsentieren.
Natürlich sind Muskeln nicht nur Dekoration. Sie schützen die Gelenke, verbessern die Haltung, helfen beim Tragen von Bierkisten und können – in Maßen – auch auf Partys Eindruck machen. Aber sobald sich der Alltag um Makronährstoffe, Spiegelselfies und den optimalen „Cut“ dreht, lohnt es sich, innezuhalten. Trainiert man noch für das eigene Wohl – oder längst für ein unsichtbares Publikum?

Psychologen empfehlen, den Fokus wieder auf Funktion statt auf Form zu legen. Was soll der Körper können? Schwere Dinge heben? Eine Nacht durchtanzen? Zehn Kilometer laufen? Ein Kind stundenlang auf den Schultern tragen? Dann sollte man dafür trainieren. Der beste Körper ist schließlich der, der einen zuverlässig durchs Leben bringt – nicht der, der ständig davon abhält, es zu genießen.
Wie viele Muskeln braucht ein Mann also wirklich? Genau so viele, dass er sich in seinem Körper zuhause fühlt – und dabei nicht vergisst, wie schön es ist, einfach mal durchzuatmen.
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