Es scheint, als gäbe es einen sehr hohen Selbstverwirklichungsanspruch. Jeder möchte noch mehr aus dem Leben herauskitzeln. Noch toller, noch intensiver, noch lebendiger!
Ja, wir haben derzeit einen Zwang zur Selbstverwirklichung und Selbstoptimierung. Da muss sich das Fitnessstudio unbedingt ausgehen, man darf mit 53 nicht ausschauen wie über 50. Das sind hohe Ansprüche, und sie sind fast stärker als der Anspruch an Dauerhaftigkeit, Commitment und Durchhaltevermögen. All das hat weniger Wert in unserer Gesellschaft. Wenn es nicht passt, geht man. Man kündigt oder verlässt Beziehungen. Das stresst zusätzlich.
Haben Sie mehr Anfragen rund um die Weihnachtszeit?
Zuletzt stieg das Bedürfnis nach Paartherapie sehr. Wir haben viele Menschen, etwa im Gesundheits- und Sozialbereich, die am Rande der Erschöpfung unterwegs sind. Das schlägt sich auf die Partnerschaft nieder. Und es tun sich jede Menge Konflikte auf: Wie präsent bin ich? Kann ich noch kommunizieren oder falle ich tot ins Bett? Rund um die Weihnachtszeit kommt es deshalb schnell zu Arbeitsteilungskonflikten, etwa: „Du hast gesagt, du besorgst den Christbaum, aber er ist immer noch nicht da“. Und zu Wertekonflikten im Sinne von „Was ist wichtig, was weniger wichtig?“ Wie gehe ich mit den Kindern und ihren Spannungen rund um Weihnachten um? Es ist nicht zu unterschätzen, dass wir nicht mehr das beschauliche Warten auf das Christkind erleben, sondern die meisten Kinder in Hochspannung sind.
Mit einem Blick auf das „System Familie“: Welche Rolle spielt die Herkunftsfamilie in Bezug auf das Konfliktthema Tradition?
Traditionen sind die größte Problemquelle rund um Weihnachten. Traditionen, in denen man aufgewachsen ist, die man gut kennt – sie alle werden nicht mehr hinterfragt. So war Weihnachten immer, so muss es sein. Paare verabsäumen, das zu besprechen: Was ist deine Tradition, was ist meine, was davon ist uns wichtig, wie machen wir das zu unserer gemeinsamen?
Das Thema „Patchwork“ ist – wie bereits kurz angesprochen – auch nicht zu unterschätzen.
Wenn es neue Partnerschaften in der Elterngeneration gibt, kommen neue Menschen ins Familiensystem und noch mehr Traditionen. Da wäre es wichtig, sich unserer Rollen klar zu werden, weil wir oft unbewussten Aufträgen folgen, die sich durch die Familie ziehen oder die man sich selbst gegeben hat: So gehört sich das und so ist das schön. Das sind Werthaltungen, die sich manifestiert haben. Wo ich mutig sein müsste, zu sagen: Heuer schaffe ich es nicht, dass alle dabei sind, ich kriege das energetisch nicht hin. Ich empfehle: Mehr Mut zur Lücke!
Wie können Paare ein entspannteres Modell von Weihnachten entwickeln?
Indem man miteinander spricht, sich also „auswickelt“ und sich zeigt. Statt miteinander zu wickeln, sollten wir neugierig darauf sein, was wir dabei entdecken. Neugierig, aber nicht wertend. Dann geht es um die Frage, was wir miteinander entwickeln können: Was ist mir, was meinem Partner wichtig? Was soll bleiben, was darf gehen, was kann anders sein?
Und wenn trotzdem gestritten wird?
Streiten gehört dazu. Durch Streit und Konflikt entsteht Reibung, das könnte im besten Fall Wärme erzeugen. Zwei Menschen können leichter mit Streit umgehen, wenn sie Resilienz als Paar entwickelt haben. In Analogie zur Selbstfürsorge gibt es auch Paarfürsorge: Welche Ressourcen und Schutzmaßnahmen brauchen wir? Wo tanken wir Kraft? Was gibt uns Mut? Wenn ich darauf achte, kann ich Konflikt und Streit eher tanzen als kämpfen, indem ich Muster erkenne und achtsam damit umgehe. Wozu ich auch ermutige: Wenn es leidvoll ist, probiert was anderes! Mehr vom selben ist nie gut und hilfreich, beharren ist schlecht.
Zum Abschluss bitte Ihre wichtigsten Präventivmaßnahmen, wie man als Paar Weihnachten „meistert“.
Als Paar sollte man sich mutig zeigen, das Eigene zu entwickeln, um dabei auch den Bruch mit der Familientradition zu wagen. Schon Wochen vor Weihnachten könnte man im Rahmen einer gemütlichen Adventjause mit der erweiterten Familie besprechen, wie sich das Fest gestalten sollte. Was ist gut, was war schlecht, wie machen wir es heuer anders und besser? Wie wäre es, jedes Jahr die Verantwortung für die Festgestaltung wechseln zu lassen? Der „Weihnachtsmanager“/die „Weihnachtsmanagerin“, mit dem Mut zur Unterschiedlichkeit. Die anderen helfen, akzeptieren die Vorschläge und unterlassen das Kritisieren. Ein Mittel gegen den Geschenk-Overload: Engerl-Bengerl statt Geschenke für alle. Auch das reduziert oft Konfliktpotenzial. Und schließlich Komplexität reduzieren: Es darf auch Essen bestellt oder die Nachspeise gekauft werden.
Drei neue Aha-Erlebnisse in Sachen Liebe - Neues aus der Wissenschaft
„Happy Wife, happy Life“? Lange hieß es: Wenn die Ehefrau glücklich ist, verläuft das Beziehungsleben gut, was sich wiederum auf die Langlebigkeit einer Ehe auswirkt. Frauen galten als verlässlicher „Beziehungsbarometer“. Eine kanadische Studie von der Carlton University zur Zufriedenheit in Beziehungen zeigt, dass dieses Mantra überholt ist. Denn auch das Glück der Männer ist ein maßgeblicher Indikator dafür, wie sich eine Beziehung entwickelt. Die Psychologin Cheryl Harasymchuk schlägt daher einen neuen Spruch vor: „Happy spouse, happy house.“ Übersetzt: „Glücklicher Partner, glückliches Zuhause.“
Danke, mein Schatz! Die Praxis der Dankbarkeit liegt im Trend – sie tut auch Beziehungen gut, wie eine Studie der University of Illinois unter Allen W. Barton zeigen konnte. Über 15 Monate hinweg studierte er die Effekte von Dankbarkeit auf die Beziehungen von insgesamt 316 Paaren. Und da zeigte sich die große Kraft eines „Dankeschöns“: Wenn Partner Dankbarkeit ausdrücken können, sind sie zufriedener, bekennen sich eher zu ihrer Liebe und verhindern so typischen Beziehungsstress.
Michelle Obamas Tipps. In ihrem neuen Buch „The Light We Carry: Overcoming in Uncertain Times“ geht es unter anderem viel um Beziehungen – zu ihren Kindern, zu ihrem Mann, den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama. Die beiden sind seit 30 Jahren zusammen. Das Geheimnis ihrer Liebe liegt unter anderem darin, dass in ihrer Ehe immer jemand mehr nachgegeben hat. Michelle musste etwa Opfer bringen, um der Karriere ihres Mannes Priorität einzuräumen. Aus ihrer Sicht gibt es das Fifty/Fifty-Prinzip nur bedingt, sie schreibt: „So sind Beziehungen. Für alle, die sich für eine Partnerschaft entscheiden, wird es niemals jenen magischen Punkt geben, an dem sich alles ausgeglichen anfühlt.“
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