Endlich mal nichts tun: Deshalb ist Langeweile gut für den Sex

In die Luft schauen, nichts tun, sich gehen lassen – die wenigsten Menschen halten Langeweile aus. Dabei hat gerade sie das Zeug für ganz Großes.

Langeweile: Ein Begriff, der im Kontext von Sex häufig erwähnt wird – vor allem im negativen Sinn. Kommt gar nicht gut. Sind zwei Menschen länger zusammen als drei, vier Jahre, droht allerlei Verdruss im Schlafgemach. Die viel zitierte „Sex-Flaute“ hat sich in der Beziehung niedergelassen – das Prickeln von einst ist perdu. Eine Vorstellung, die beharrlich kultiviert wird und ausschließlich das Problem in den Fokus rückt, statt mögliche Alternativen und Lösungsansätze. „Problemhypnose“ nennt Autor und Sexualtherapeut Ulrich Clement dieses Phänomen in seinem Buch „Guter Sex trotz Liebe“: „Das Problem erzeugt einen Benebelungszustand … Wie in einem tranceartigen Zustand können die Partner kaum etwas anderes mehr denken als an ihr Problem … Das Problem hat sie.“

Ungünstig: Denn wo permanent erotische Langeweile thematisiert wird, hat sie allerbeste Chancen, sich tatsächlich zu einem mächtigen Libidokiller auszuwachsen. Flugs gerät sie zur Realität – während alle Beteiligten zu dem werden, was sie denken (und woran sie glauben): fad und gelangweilt. Eine Form verzweifelten, erotischen Stillstands, der vor allem dann entsteht, wenn Paare aufhören, sich sexuell weiterzuentwickeln, statt sich Alternativen zum Immergleichen auszudenken. Aber ja: Vielleicht haben sie verlernt, mit Erotik zu spielen – mit sich, als Duo, mit Gedanken, Träumen und Ideen. Vielleicht folgt alles einem starren Muster, weil man sich im selbst verordneten „So-muss-das-sein-so-war-das-immer-schon“-Korsett festgezurrt hat. Vielleicht ist da einfach nur zu viel vom Alltag – Arbeit, Kinder, Familie. Möglicherweise aber fehlt es schlicht an einer wichtigen Zutat, die nicht nur das Leben, sondern auch das Lieben bereichern kann: Nichtstun. Langeweile. Pause – endlich wieder einmal nichts tun als ausatmen, einatmen, da-sein, sich sein und sich gehen lassen.

Zweckfreier Stillstand

Langeweile: Ein Begriff, der im Kontext von Sex noch viel häufiger erwähnt werden sollte –  und das durch und durch im positiven Sinn. Warum? Ganz einfach: Weil darin viel von dem steckt, was das erotische Wesen Mensch dringend auch braucht: innere Bilder, Tagträume, Fantasien und Fühlen. Wertvolle Zutaten, um im Kontakt mit sich selbst und  lebendig zu bleiben. Aber nein, stattdessen: Sorry, keine Zeit, immer ist was zu tun, zu denken, zu checken: im Netz surfen, in diversen Social-Media-Threads nach Neuem stöbern, fernsehen, telefonieren, putzen, herumwurschteln.  Non-Stop-Reize, und zwar 24/7, einmal abgesehen vom Faktor „Arbeitsalltag“. 

Und auf einmal liegt man da, sieht den Wolken und Gedanken beim Ziehen zu. Stille. Müßiggang. Empfindungen im Körper und Kopf – sonst nichts. 

Doch gerade die scheinbar zweckfreien Stillstände sind es, in denen sich in uns – auf unbewusster Ebene – am meisten tut. Langeweile macht  kreativ, sagen Neurobiologen. In Sachen Lust sehr förderlich. Und auf einmal liegt man da, sieht den Wolken und Gedanken beim Ziehen zu. Stille. Müßiggang. Empfindungen im Körper und Kopf – sonst nichts. Wer sich auf Momente wie diese und die darin verborgene Langeweile einlassen kann, statt sich erneut abzulenken, wird Aufregendes erleben. Weil er wieder einmal zu sich kommt und Zeit findet, sich all seinen Gefühlen, Wünschen, Träumen und Begierden zu widmen. Endlich wieder Körper-Gespür: Was magst du? Worauf hast du Lust? Wo und wann willst du berührt werden? Auf welche Weise? Hart, zart, wild, gemächlich? Keine Sorge, die Antworten sind immer da! Das lang-weilige Nichtstun hilft, in einer Wahrnehmung zu bleiben, um endlich wieder jene sexuellen Impulse zu entdecken, die im Alltagsgewusel und Tunmüssen verloren gegangen sind. Mögen die Spiele wieder beginnen.

Buchtipp

Sex ist omnipräsent und leicht verfügbar, gleichzeitig scheinen vor allem junge Menschen unter 30 immer weniger davon zu haben.  Wie ist es nun wirklich? Wer will  mehr davon? Hat Sex an Wert verloren?  Diesen Fragen geht die Autorin Juliane Burghardt  aus sexualwissenschaftlicher Sicht nach – in ihrem unterhaltsamen Sachbuch „Alles kann, nichts läuft. Warum wir immer weniger Sex haben“, Hirzel-Verlag. 

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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