Sober Sex: So reizvoll ist das Liebemachen ohne künstlichen Kick

„Sober Sex“ heißt ein neuer Trend – er steht für sexuelle Begegnungen ohne stimulierende Zusatzstoffe wie Drogen, Pornos, Sex Toys. Da lohnt sich auch der – ernüchternde – Blick auf die Liaison „Sex und Alkohol“.

Sich locker machen: Das funktioniert mit Alkohol. Ein bisschen Sprudel, ein schönes Glas Rotwein, das dritte oder vierte Achterl – wenn es darum geht, für die Horizontale vorzuglühen, spielt Zielwasser eine nicht unerhebliche Rolle.

Alkohol gilt als „soziales Schmiermittel“, weil er gesellig macht – kein Wunder also, dass so manche Liebe oder Affäre mit einem hübschen Schwipserl beginnt und vernebelt im Bett endet. Großes Bier, große Gefühle, vor allem aber: geringere Hemmschwelle. Wer einen leichten sitzen hat, sieht die Welt um einiges bunter. Männer werden mutiger, Frauen lockerer. Und der Witz vom „Schönsaufen“ hat auch eine gewisse Berechtigung. Aktuelle Forschungen zeigen zwar, dass Alkohol die diesbezügliche Wahrnehmung nicht verändert, aber das Vertrauen in Interaktionen stärkt. Er verleiht Männern den nötigen Mut, jene Frauen kennenzulernen, die sie am attraktivsten finden.

Der Promilleeffekt klappt sogar mit sich selbst, wie französische Forscher anhand von angedüdelten Barbesuchern feststellen konnten. Wer was intus hat, fühlt sich unwiderstehlicher, attraktiver und witziger – verbunden mit dem Gefühl: Da geht was. Die Rolle des Alkohols als Mutmacher ist legendär, wer unsicher ist, kippt erst einen, um dann die Sau rauszulassen. Es wird ein Wein sein, und wir werden cooler sein, ab in die Cocktailbar des Vertrauens. Zumal die Ansprüche im Wisch-und-weg-Dating-Zeitalter höher wurden und viele Menschen das Gefühl haben, da nicht mehr mithalten zu können. Beschwipst geht’s dann leichter.

Geil und „im Öl“, das mag entrückt-verrückt klingen, kann aber auch schiefgehen. Sex und Rausch ergeben eine heikle Liaison. Denn was folgt danach? Die Ernüchterung.

Sex und Rausch

Geil und „im Öl“, das mag entrückt-verrückt klingen, kann aber auch schiefgehen. Sex und Rausch ergeben eine heikle Liaison. Denn was folgt danach? Die Ernüchterung. „Wir wachten in der Küche auf, sagten ,Zum Teufel, wie konnte diese Scheiße passieren?’ Oh Baby, die ganze Nacht waren wir nur betrunken verliebt“, heißt es etwa in der Übersetzung des Songs „Drunk in Love“ von Beyoncé. Eine Frage der Dosis. Kleine Mengen Alkohol können angenehm anregend, enthemmend oder euphorisierend wirken – das steigert sogar die Lust. Mit Vollrausch zu vögeln endet meist desillusionierend, als Absturz ins Tal des Versagens und Vergessens. Dann wacht man auf und hat keine Ahnung, was vergangene Nacht passiert ist. Nicht nur: Wer immer auf „Droge“ ins Bett hüpft, gewöhnt sich womöglich daran, Sex vernebelt das Erleben. Ohne Rausch geht dann gar nichts mehr, weil: langweilig und farblos.

Schade, zumal die sexuelle Begegnung mit einem anderen Menschen im besten Fall Verbindung, Vertrauen und Tiefgang erzeugen kann. Diese Intensität funktioniert am besten nüchtern. „Sober Sex“ heißt der Spaß – ein relativ neuer Trend. Dabei wird nicht nur auf Alkohol und diverse andere Substanzen verzichtet, sondern auch auf weitere Einflüsse, die vom Eigentlichen und der anderen Person ablenken. Motto: Nur du und ich, zwei Körper und vier Hände, sonst nichts. Keine weitere Stimulation. Pornos sind ebenso verpönt wie das Spiel mit Sextoys. Sogar beim Masturbieren – denn auch da ist Unverfälschtheit angesagt. Man hat Spaß mit sich selbst, ohne sich mit irgendwelchen Tools hochzujazzen. Das mag nach der knochentrockenen Antithese zum Sexual-Wellness-Mainstream im Sinne der Lust-Optimierung klingen, die Reduktion auf das Wesentliche hat trotzdem ihren speziellen Reiz. Weil sich so auch die Chance ergibt, sich „pur“ zu spüren und neu kennenlernen, mit allen Licht- und Schattenseiten, die damit verbunden sein können. Eine andere und sehr ungewöhnliche Erfahrung einer Intimität ohne künstliche Zusatzstoffe.

Pornofrei

In Deutschland gehen Experten von rund 500.000 Pornosüchtigen aus, die Dunkelziffer ist hoch. An der Justus-Liebig-Universität in Gießen nimmt man an, dass zirka drei Prozent der volljährigen Männer eine Pornografienutzungsstörung haben. Nun will man mit dem   Projekt „PornLos“ ein Leben ohne Suchtdruck ermöglichen.  300 Menschen können an der Studie teilnehmen, geplanter Start ist Anfang 2024.  Info: pornlos.de

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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