Date mit dem jüngeren Ich: Was ich mir über Sex erzählen würde

Angenommen, es käme eine Fee, und würde ein Treffen meines älteren Ichs mit dem jüngeren Ich ermöglichen: Was würde ich mir sagen wollen? Ein Gedankenexperiment.

Irgendwann, es ist schon lange her, ging es bei einem Workshop darum, meinem zukünftigen Ich einen Brief zu schreiben. Ich hatte damals viel um die Ohren, man nennt das „Stress“ – daher visionierte ich einen Menschen, der auf vielen Ebenen gelassener durchs Leben gehen darf.

Dieser Tage stand ich bei einer Straßenbahnhaltestelle und beobachtete eine Gruppe junger Frauen, die herzlich lachten und Spaß hatten. Lebensfreude, Leichtigkeit und Selbstverständnis – so schön zu sehen. In diesem Moment poppte im Geiste mein jüngeres Ich auf, ich sah mich, mit 15, 16, mit 17, mit all meinen Freuden, Sorgen und Ängsten von damals. Plötzlich verspürte ich einen starken Wunsch in mir: Dass ich verdammt gerne mit diesem Ich plaudern würde – aus heutiger Sicht und mit meiner aktuellen Lebenserfahrung. Vor allem in Bezug auf das Wahrnehmen des eigenen Körpers, auf die Lust, auf Intimität und Partnerschaft. Ein Riesenthema, das mich in jungen Jahren sehr verunsicherte und mich teilweise Dinge tun ließ, die ich nur tat, um anderen zu gefallen, dazuzugehören oder einfach, weil ich es nicht besser wusste.

"Sünde" Sex und heimlich "Bravo" lesen

Ich kam zu einer Zeit in die Pubertät, da lag die legendäre „sexuelle Revolution“ schon ein paar Jahre zurück, hatte aber für mich (noch) keine direkten Folgen. Sie verstaubte wohl in der Kredenz unseres Zimmer-Küche-Kabinett-Vorstadt-Haushalts. Also: Stillschweigen. Wenigstens gab es kein rigides Moralisieren, auch keine Drohungen und Warnungen in Bezug auf die „Sünde“ Sex, so wie bei anderen Freundinnen. Aufgeklärt wurde ich durch ein kleines grünes Buch, die Lektüre von „Bravo“ war verboten. Auch über die Menstruation wurde kaum geredet, wurde als etwas betrachtet, „das halt dazugehört“. Als ich in der Schule während des Unterrichts ein Beatles-Songbook las, wurde es mir von der Geschichtsprofessorin weggenommen und als „pornografisch“ angeprangert. Fortan galt ich in ihren Augen als „Flittchen“ – tja, Pech. Zurück zu „Bravo“: Gelesen habe ich sie trotzdem und mich daran orientiert, zum Beispiel an Storys wie „Wenn Mädchen verführen“. Rückblickend empfinde ich es so, als hätte ich ein Kochrezept gelesen: So geht das. So muss ich tun, damit ich „funktioniere“ wie dieses Mädchen in der Bravo. Doch über meine Gefühle wusste ich nichts, hat ja auch nie jemand darüber mit mir gesprochen. Auch nicht, wie man einen innigen Bezug zu seinem eigenen Körper aufbaut, spielerisch mit Bewegung, Empfindungen, umgeht. Ich war entweder zu dick, zu dünn, zu ungeschickt. Irgendwas war immer, das mir den Eindruck vermittelte, nicht okay zu sein. Dass ich mich mit 13 oder 14 verlieben könnte, schien denkunmöglich, Strafe lag in der Luft. Also schmuste ich heimlich und hielt ebenso heimlich Händchen. Das schlechte Gewissen begleitete mich permanent. Und dann niemand da, der mit mir über die Untiefen eines Liebeskummers sprach, damit wurde ich alleingelassen, einzig begleitet von Donovans Songs auf einer Kassette.

Daher würde ich mein jüngeres Ich in den Arm nehmen und sagen: Egal, was und wie du fühlst, es ist gut. Ich bin für dich da. Vor allem aber würde ich es ermutigen, in Beziehung zu gehen – zu sich selbst. Dass alles, was da ist, gut ist – jede Form von Lust, von Begehren, von Frage und Zweifel. Und dass dieser, mein einzigartiger Körper in seiner Schönheit, sinnlich sein darf, spüren darf, frei tanzen darf, statt rigide in ein Vorstellungskorsett gezwungen zu werden. Ich würde mich ermutigen, so sein zu dürfen, wie ich gemeint war. Dann hätte ich mir vielleicht den einen oder anderen Umweg erspart.

Hörbuch

Als junge, mutige Pastorin  hat Mira Ungewitter bereits einen Namen in Deutschland und Österreich. Jetzt hat sie ein spannendes Hörbuch herausgegeben: „Gott ist Feministin“. Darin plädiert sie für eine radikal neue und feministische Lesart der Bibel: Was für ein Typ Mann war Jesus? War Marias Schwangerschaft gewollt? Was haben Maria Magdalena und Britney Spears gemeinsam? Via Apple oder Audible.

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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