Warum es für einen Orgasmus besser ist, keinen Orgasmus zu wollen

Der sexuelle Höhepunkt ist mit vielen Mythen aufgeladen – vom multiplen Orgasmus bis zum Kommen im Duett, samt 1000 Tipps. Aber was ist wirklich förderlich?

"Ich komme“: Ein Satz – ein Glücksmoment namens Orgasmus. Diese Worte beschreiben, wie es im besten Fall ist: ein langsames Anfluten starker Gefühle, als wär’s eine Welle, gegen die man sich nicht wehren kann und möchte. Alles im Flow.

Ganz so einfach ist es nicht immer, vor allem Frauen tun sich mit dem Flow mitunter schwer. Das ist aber normal. Glauben Sie niemandem, der erzählt, er sei eine Orgasmusmaschine, die stets multipel kommt – schon bei zwei Minuten in der Missionarsstellung. Und da sind wir auch schon bei all den Missverständnissen und Glaubenssätzen rund um den besten Reflex der Welt. Reflex? Ja, richtig gelesen, der sexuelle Höhepunkt ist ein Reflex, der durch ein bestimmtes Maß an Erregung ausgelöst wird. Mythenumrankt, und mit ganz schön viel Blödsinn garniert. Da wäre etwa die ermüdende Idee des gemeinsamen Orgasmus: Symbiotisch vereint, hecheln sich Frauen und Männer ins genitale Duett. Punktgenau, als hätten beide da unten einen Timer eingebaut. Mag zwar manchmal vorkommen, doch sonst gilt: Wenn sie nicht gekommen sind, dann stöhnen sie noch heute. In der Realität handelt es sich dabei um ein äußerst rares tektonisches Ereignis, für das man dem Universum einen Batzen Geld zahlen müsste. Noch so ein Mythos entstand durch pornografisch aufgeladene Bilder: Dass sich eine Frau bereits nach fünf Minuten Verkehrsaufkommen orgasmisch winselnd auf dem Spannleintuch windet. Nur weil da ein Typ ein bisserl gebohrt und ein paar Mal „Ja, Baby, ja. Gib’s mir!“ gebrummt hat. Dazu: Barry White. Bedaure, aber das spielt’s nicht.

Der Höhepunkt - eine Leistung?

Auch nicht unproblematisch: die gedankliche Aufladung des Themas, im Sinne einer Erwartungshaltung: Ich vögle, also muss ich kommen. Weil es in der Bravo stand, 1978. Dadurch entsteht etwas, das kaum kontraproduktiver sein könnte: ein Fokus, eine Fixierung. Man konzentriert sich nur mehr darauf, dass endlich passieren möge, was passieren muss: Komm doch! Jetzt. Sofort. Vor allem Frauen setzen sich damit unter Druck – auch, weil sie damit etwas beweisen wollen. Als wäre der Orgasmus eine Leistung und der Nachweis für sexuelle Top-Performance. Ja, ich funktioniere! Das gilt auch für Männer – die den Orgasmus ihrer Partnerin häufig nicht nur als Belohnung, sondern als Beweis empfinden, im Best-of-besorg’s-ihr-Ranking ganz, ganz vorne zu liegen. Weltmeister! Und so passiert’s, dass Sex zur Show mutiert, in der niemand mehr echt ist.

Die Lösung? So erstrebenswert ein Orgasmus auch sein mag, so entspannt sollte man mit ihm umgehen. Je gechillter, desto besser – im Sinne eines Nicht-Müssens, Nicht-Erwartens, Nicht-Ansteuerns. Da ist keine Orgasmuspflicht, lassen Sie es sein. Der sexuelle Höhepunkt ist kein Ziel, dem man verbissen entgegenturnt. Es geht nicht um Punkte, Erfolge, Pokale. Je weniger Paare an ihr Reiseziel denken, während sie Sex haben, desto besser wird’s. Weil diese Art zu vögeln die Verbindung zueinander kappt: Man ist nicht mehr bei sich, auch nicht beim anderen, sondern verbissen damit beschäftigt, dass „es“ passiert. Die Forschung zeigt, was hilft: Achtsamkeit, Präsenz und Urteilsfreiheit. Stattdessen wird die Aufmerksamkeit auf das Miteinander oder die Freude des Partners gelenkt. Augenkontakt ist wichtig, Fantasien sind auch nicht übel. Man nimmt, was da ist, genießt Berührung, Nähe, Küsse, Kopfkino und tanzt sich auf diese Weise langsam in die sexuelle Trance. Ohne nachzudenken verlagert sich die Aufmerksamkeit vom rein sexuellen Tun mehr und mehr Richtung Intimität. Druck raus. Dann kann alles passieren – oder nichts. Und beides ist gut.

Sprache

Und immer wieder: das Jugendwort des Jahres, das keiner kennt und keiner versteht. Nach „fly sein“ oder „I bims“ ist heuer „Smash“ dran. Eine Uminterpretation des englischen Begriffs, das für „Zerschlagen“ oder „Zerschmettern“ steht –  nun aber eher als Verb benutzt wird („smashen“), das für „jemanden abschleppen“ oder „mit jemandem Sex haben“ steht. Auch das Objekt der Begierde kann ein „Smash“ sein. Gut zu wissen.

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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