Das "Ick"-Phänomen: Wenn eine Petitesse den Liebeszauber zerstört

Erster Kuss, erster Sex. Doch dann tut er/sie plötzlich etwas, das akute Abneigung auslöst. Ein aktuelles Datingphänomen, das „The Ick“ genannt wird, aber nicht neu ist.

Alles bekommt Namen, alles wird kategorisiert und „gehashtagt“ – so funktioniert das in sozialen Medien wie Instagram und TikTok. Manches davon mag aufregend klingen, sodass man aus dem Staunen nicht mehr herauskommt: WTF, was ist denn das schon wieder? Aber nur auf den ersten Blick. Genauer besehen, stellt sich heraus, dass das, was da als neues Dings daherkommt, ein alter Hut ist. Da denke ich mir oft: Hey, das habe ich doch schon selbst erlebt, als junge Frau, in den 80ern des vergangenen Jahrhunderts (oh, wie alt klingt das denn?). Das kam mir in den Sinn, als ich zum ersten Mal vom „Ick“ las. Richtig geraten, ein Datingtrend.

Zunächst etwas Sprachwissen: Der Begriff „The Ick“ kommt aus dem Englischen, und steht, ungefähr, für unser „Bäh“ oder „Wäh“ im Fall akuten Grausens. Also für Abstoßendes. Nicht auf den ersten Blick, sondern im Laufe des näheren Kennenlernens, knapp vor dem ersten Kuss, dem ersten Sex oder eine Spur später. Und dann, wie aus dem Nichts: Bäm! Jener entzaubernde Augenblick, in dem der eine am anderen etwas dermaßen Verstörendes wahrnimmt, dass es in der Sekunde für ein Erotik-Fiasko sorgt. Gerade war da noch magische Anziehung, jetzt ist da nur noch Ekel. Neu ist das keineswegs, viele haben das als Episode ihres Liebeslebens irgendwann durchgemacht, auch ich. Die Art, wie ein an sich nicht unfescher Typ seinen Burger aß und anschließend an seinen fetten Fingern herumschmatzte oder das falsche Wort zum falschen Zeitpunkt verwendete. Von einem Augenblick zum anderen – Reiz perdu. Anfangs vage, als seltsam-subkutanes Gefühl, dann immer konkreter. Und ja, es sind meist Nebensächlichkeiten. Nichts Großes, sondern das Ergebnis individuellen Empfindens, daher existiert auch keine ultimative Liste zur „Ick“-Vermeidung. Es passiert, einfach so. Eine Bekannte schilderte mir etwa, dass dieser Typ, mit dem es fein gelaufen war, ihre Vagina eines Tages in einer Textnachricht „süßes Mauserl“ nannte. Das war’s dann. Ein lustige Story zum Thema las ich im Online-Portal Vice, in der ein Mann folgendes schilderte: Ich chattete mit einer Frau auf einer App und schlug vor, dass wir uns am Leopoldplatz treffen, weil der in der Mitte von uns lag. Sie antwortete: 'Kein Problem, dann werde ich mal schön zum Leopoldplatz scharwenzeln.' Als wäre das nicht schlimm genug schrieb sie mir später: 'Ich genieße gerade einen deliziösen Vino und etwas Hummus. Und du so?' Ich habe sie sofort blockiert und gelöscht.

Ich halte „The Ick“ dennoch für ein Zeichen, dass etwas bereits davor nicht gestimmt hat. Und man sich einen Menschen vielleicht „schön“ malte, weil die Sehnsucht nach Beziehung immens war. Vielleicht flüstert da eine innere Stimme, dass es sich doch nicht um die/den Richtige/n handelt.

Illusion vom perfekten Partner

Ja, so banal kann’s sein. Jetzt könnte man sagen: Das ist nicht fair. Stimmt, es ist nicht fair. Aber es ist so. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob der Mensch da nicht einem Optimierungswahn erliegt, der die Illusion des perfekten Partners nährt. Mag sein. Ich halte „The Ick“ dennoch für ein Zeichen, dass etwas bereits davor nicht gestimmt hat. Und man sich einen Menschen vielleicht „schön“ malte, weil die Sehnsucht nach Beziehung immens war. Vielleicht flüstert da eine innere Stimme, dass es sich doch nicht um die/den Richtige/n handelt. Daher gilt es, achtsam zu sein, um auf sich und die Intuition zu hören. Ungerecht ist allerdings die Art und Weise, mit dem „Ick“ umzugehen. Wortloser Kontaktabbruch ist ungut, er lässt das Gegenüber ratlos und verloren zurück: Was ist nur passiert? Was habe ich falsch gemacht, was ist falsch gelaufen?

Sportlich und menschlich wäre hingegen, damit transparent umzugehen. Auch wenn es schwer fallen mag, die richtigen Worte dafür zu finden: Es ist eine Chance für den anderen, mehr über sich selbst zu erfahren.

Gipfeltreffen

Ein Tipp in eigener Sache, denn da darf ich als Kolumnistin dabei sein und vorlesen: Am 27. und 28.10.  findet erneut die „KOLUMINATION“ auf dem Schweizer Berg „Säntis“ statt – das  Festival der Worte. Geboten werden pointierte Gedanken, Welt- und Weitsichten, Humor und Wortakrobatik. Heuer u. a. mit Harald Martenstein, Elfriede Hammerl und Bettina Weiguny. Tickets und Info: kolumination.ch

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

Kommentare