
Modethema Overthinking: Wie viel Grübeln verträgt die Liebe?
Scheinbar immer mehr Menschen - Männer wie Frauen - leiden unter negativem Gedankenkreisen. Das kann die Beziehung erheblich belasten, warnt ein Experte.
Liebt er mich noch? Habe ich sie verärgert? Er wird mich bestimmt verlassen! Wenn alles hinterfragt wird und sich die negativen Gedanken im Kreis drehen, spricht man in der Populärwissenschaft von "Overthinking" (Deutsch: "Überdenken"). Das kann vor allem in der Liebe zum Problem werden, weiß der Beziehungscoach Phil Bolanz.
In einem neuen Ratgeber erklärt er, wie Overthinking entsteht und was man dagegen tun kann - als Betroffener und als Partner.
Seit Kurzem liest man überall von Overthinking. Warum ist das so?
Phil Bolanz: Overthinking ist ein aktueller Modebegriff, der durch die sozialen Medien in den USA präsent geworden und ca. 1 Jahr später komplett nach Deutschland "übergeschwappt" ist. Scheinbar endlos viele Gedanken im Kopf zu haben, die Menschen quälen – das gibt es schon lange. Nun hat das sprichwörtliche Gedankenkarussell einen neuen Namen bekommen und es wird endlich auch thematisiert, da es offensichtlich den Kern der meisten zwischenmenschlichen Probleme darstellt.
Worum handelt es sich dabei genau?
Zusammengefasst beschreibt der Begriff Overthinking Endlosschleifen negativer Gedankengänge. Diese führen zu Endlosschleifen negativer Gefühle. Im Grunde ist Overthinking nichts als einer der häufigsten Schutzmechanismen der Menschheit, um negative Emotionen zu unterdrücken.

Phil Bolanz ist Experte für gesunde Beziehungen
©PicturePeople-FotostudioWann wird Overthinking zur Belastung für die Liebe?
Overthinking ist immer ein Problem in Beziehungen. Denn es wirkt sich stets negativ auf mindestens einen Partner innerhalb dieser Beziehung aus. Die anhaltend negative Gefühlslage hat Folgen: auf das Verhalten gegenüber dem Partner sowie Körpersprache, Mimik, Gestik, Tonfall, Wortwahl etc. Die dadurch entstehende hohe Cortisol-Konzentration sorgt dafür, dass alle negativen Gefühle verstärkt werden und noch mehr negative Gedanken hervorrufen.
Was liegt dem Overthinking zugrunde - mangelnder Selbstwert?
Es gibt noch sehr viel mehr Varianten von Overthinkern, sie haben jedoch alle eines gemeinsam: Sie unterdrücken ihre Gefühle. Und dieser innere Druck wirkt sich immer auf Beziehungen jeder Art aus. Es mangelt Overthinkern an Selbstvertrauen im Bereich der Beziehungen. Denn in allen anderen Lebensbereichen funktioniert das System "Wert durch Leistung" hervorragend. Doch in Beziehungen geht es nicht um Arbeit oder Leistung.
In jedem Fall geht es darum, dass die Personen jedes Gefühl von Unsicherheit oder Angst vermeiden wollen. Auch Menschen, die sehr emotionskalt wirken, sind meist Overthinker, die versuchen, jedes Gefühl von Unsicherheit mit Logik, Analyse und Kontrolle zu vermeiden.
Tipps vom Profi
Die Systematik, um zwanghaftes Overthinking nachhaltig zu beenden, beruht immer auf 3 Kernkompetenzen:
1. Gedanken akut im Moment stoppen können – das geht rein methodisch.
2. Die Vergangenheit emotional loslassen – vergangene unterdrückte Emotionen verstärken die aktuellen um ein Vielfaches.
3. Selbstvertrauen innerhalb von Beziehungen aufbauen – dazu bedarf es eines klaren Verständnisses von Selbstverantwortung, gesunden Werten, gesunden Grenzen und gezielten Kommunikationstrainings.
Und wie sieht es mit People Pleasern aus? Sind das ähnliche Muster?
People Pleaser – also Menschen, die versuchen, es permanent all ihren Mitmenschen recht zu machen, ohne Rücksicht auf sich selbst – leben permanent in der Angst, dass jemand sie nicht mögen und verlassen könnte. Also Verlustangst. Um also das Gefühl der Unsicherheit zu vermeiden, versuchen sie die Reaktionen ihrer Mitmenschen zu kontrollieren, in dem sie möglichst viel für sie tun. Durch die permanente Angst sind folglich auch permanent negative Gedanken da. Und so entsteht eine statische Vermeidungsschleife zwischen Gedanken und Emotionen.
Kann man das ewige Überdenken auch wieder "verlernen"?
Overthinker haben gelernt, zu funktionieren und sich selbst zurückzustellen. Das ist in erster Linie eine Fähigkeit, die ein Mensch nicht mehr verlernt. So viel zu denken und sich selbst tausende Szenarien in irrsinniger Geschwindigkeit auszudenken, ist auch eine Fähigkeit, die dieser Mensch nicht wieder verlernt. Um Overthinking zu stoppen, habe ich 33 Methoden – darunter 2 bisher noch nie dagewesene – in meinem Buch beschrieben.
Wie soll ich mich verhalten, wenn ich merke, dass mein Partner zum Overthinking neigt?
Partner von Overthinkern dürfen unbedingt üben, mit ihrem Partner zu kommunizieren. 10-15 Minuten am Tag über emotionale Themen sprechen, hilft einem Overthinker, sich daran zu gewöhnen, dass es in Ordnung ist, über Gedanken und Gefühle zu sprechen und er bzw. sie nicht verurteilt, ausgestoßen oder bestraft wird.
Ein Overthinker hat ein schwaches mind-to-mouth Verhältnis, denkt also sehr viel und spricht diese Gedanken nicht aus. Zumindest die, die die eigenen Emotionen betreffen. Ein Partner kann also bewusst dafür sorgen, einen Raum zu schaffen, in dem per se erstmal alle Gedanken und Emotionen akzeptiert werden.
Buchtipp: "Overthinking Love. Wenn zu viel Grübeln deine Beziehung belastet. 33 Wege aus dem Gedankenlabyrinth" Goldegg Verlag, 200 Seiten, 19 Euro
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