Wie präventive Paartherapie den Sex und die Liebe verbessern kann
Vorbeugen ist besser als heilen: Warum die simple Weisheit auch für Beziehungen gilt, erzählt die Autorin Nicole Siller.
„So wie meine Eltern will ich es fix nicht machen“, lächelt der 33-jährige Bernd und nimmt seine Freundin Anna, 32, an der Hand. Heiraten will er sie – und sie ihn. Eines Tages. Davor gibt es aber noch einiges zu tun. Die beiden wollen ein Haus bauen – sinnbildlich. Das „Haus ihrer Beziehung“, wie sie es nennen - und es sollte so richtig schön und sorgsam eingerichtet sein. Die Ehen ihrer Eltern haben sie zwar nicht scheitern gesehen, aber so wie sie leben und lieben wollen sie keinesfalls. Dieses Nebeneinander, die unausgesprochenen, unterschwelligen Konflikte, die oft bleischwer in der Luft liegen und sich ihre Wege bahnen. Immer wieder sonntags, zum Beispiel wenn die Beiden bei den „Oldies“ eingeladen sind, wird das spürbar. „Nein. So nicht“, sagen Anna und Bernd.
Und so gehen sie seit einigen Monaten regelmäßig in Paartherapie. Präventiv. Weil sie rechtzeitig an ihrer Beziehung arbeiten wollen, bevor es sie womöglich aushebelt. Ein Phänomen, das an Bedeutung gewinnt und das auch Nicole Siller, Sexualcoach und Beziehungsexpertin, in ihrer Praxis beobachten kann: „Ja, ich erlebe eine Tendenz zu mehr Prävention. Menschen kommen zu mir, um ihre Beziehungsbiografie zu reflektieren. Um eigene Muster, Scheuklappen und Trigger zu erkennen, sodass sie sich nicht mehr wiederholen oder bewusster damit umgehen zu können.“ Sie arbeitet immer wieder mit Paaren, die sich bewusst vorbereiten möchten, um die „Fehler der Elterngeneration“ nicht zu wiederholen. „Das sind junge Erwachsene, die - als sie selbst Kinder waren - unter Dissonanzen oder Scheidungen der Eltern gelitten haben.“ So wie Anna und Bernd wollen sie bewusster mit der Haltung zur Beziehung und ersten Herausforderungen umgehen. Sie warten also nicht, bis erste Enttäuschungen aufgrund unbewusster Erwartungen zu Verletzungen führen und es dann womöglich zu spät ist. Nein, sie wollen mit mehr Sicherheit, Klarheit und „Agreement“ in die verbindliche Beziehung, Elternschaft oder Ehe gehen.
Von Erwartungen befreien
Das betrifft auch sexuelle Themen. „Hier gibt es ebenfalls mehr Offenheit und Mut, Vorlieben zu zeigen und zu teilen. Viele wollen sich von den eigenen Erwartungen und jenen ihrer Partner befreien. Da ist die Anerkennung von Lust und Unlust ein Riesenthema, genauso wie die Veränderung des Lebens per se. Viele fragen sich, wie sie Sexualität immer wieder neu lustvoll gestalten können“, erzählt die Expertin aus der Praxis. Denn natürlich bringt das Leben ja immer wieder neue Herausforderungen und Veränderungen mit sich, überhaupt, wenn Kinder kommen. Da kann man nur sagen: Möge die Übung gelingen! Laut Studien nimmt die Zufriedenheit in Partnerschaft in den ersten zehn Beziehungsjahren kontinuierlich ab, nach den ersten 15 gemeinsamen Jahren schlittern viele in eine veritable Krise. Viele trennen sich, manche arrangieren sich – in einer latent unglücklichen oder schal gewordenen Beziehung, garniert mit Affären.
Jede Menge Frustpotenzial liegt im Unausgesprochenen, also in der mangelnden Kommunikation. Spätestens ab dem Verschwinden der rosa Brille – meist nach einem Jahr – sollte man daher beginnen, zu reden. Und noch mehr zu reden. „Zum Beispiel über gemeinsame Werte, die Haltung zu Beziehung, Familie, Berufung. Um zu erkennen, wie man das gemeinsame Leben gestalten möchte, muss man die Fähigkeit haben, einander in die jeweiligen Bedürfniswelten einladen zu können“, so Siller. Dafür braucht es Raum und Zeit für Gespräche, für die Liebe, für das "Wir". Zumal die Unterschiede oft groß sind, speziell Sehnsüchte und Träume betreffend. Auch sie können sich im Laufe der Zeit verändern, beispielsweise durch die Elternschaft oder den Beruf. Das alles zu teilen, ist wichtig – ebenso wie mögliche Diskussionen und Dissonanzen darüber „Denn nur durch persönliche Erlebnisse und Gespräche, aber auch Auseinandersetzungen können die Partner miteinander wachsen“, sagt Nicole Siller. Das betrifft auch das Intimleben, denn gerade in der Sexualität herrscht oft Sprachlosigkeit, aus Angst vor Zurückweisung oder Verletzung.
Wie sich Singles auf die Beziehung vorbereiten
Singles suchen ebenfalls den Rat der Expertin, mit dem Ziel, besser vorbereitet in die nächste Beziehung zu gehen. Keine schlechte Idee, denn je besser ein Mensch sich selbst (er-)kennt, mit all seinen liebenswerten und herausfordernden Seiten und Aspekten, desto selbst-verständlicher kann er sein. „Und desto souveräner wirke ich und kann für meine Bedürfnisse einstehen“, skizziert Siller. Das wiederum führt dazu, dass man keine Märchenprinzessin bzw. keinen Märchenprinzen mehr braucht, der gute Gefühle und das große Glück für uns inszeniert. Im Gegenteil: Man ist sich selbst „Partner“, im Sinne freier Selbstfürsorge. Auch das hat viel mit Sexualität zu tun. „Sexuelle Kompetenz“ nennt Siller es, wenn sich ein Mensch klar ist, was er mag. Und was nicht. Dafür werden Vorlieben und Erregungsmöglichkeiten erkannt und erkundet, es wird probiert und gestaltet: „Hier geht es viel um die eigene Wahrnehmung. Und letztendlich auch darum, flirten und verführen zu können, indem ich Signale lesen kann, gut zu mir selbst bin, um mich gleichzeitig auf die Sexualität des Partners einlassen zu können.“ Sexuelle Kompetenz heißt also, sich nicht mehr nur auf Begierde, Lust und Geilheit zu verlassen, sondern auch, Sexualität gestalten, forcieren und inszenieren zu können. Und es bedeutet, sich selbst die Sicherheit zu geben, sich ganz hingeben zu können.
Drei typische Liebesfallen:
- Glauben zu wissen, was der/die andere meint/braucht/will… statt immer wieder zu fragen: Wie (genau) meinst du das? Kann ich etwas für dich tun?
- Den anderen ignorieren, manipulieren, bewerten oder bestrafen zu wollen, statt miteinander zu reden und die eigenen Grenzen, sowie jene des Partners zu wahren.
- Sich keine Wir-Zeit mehr als Paar nehmen.
Kommentare