Von der Kunst sich fallen zu lassen: Genuss statt Grübeln

Sex verlangt Präsenz und Aufmerksamkeit – doch viele Menschen denken zu viel, während sie Liebe machen. Nicht nur – sie sehen sich von außen zu, während der innere Kritiker herummotzt. Aber was hilft gegen das Kopfzerbrechen beim Koitus?

Manchmal passiert es, dass das Leben uns aushebelt, plötzlich, wie aus dem Nichts. Wie mich vor Kurzem, als ich  beim schlichten Walken vergaß, die Füße zu heben, über eine Wurzel stolperte und einen optisch eher ungünstigen und vor allem folgenreichen Bauchfleck hinlegte. Trümmerbruch, rechter Oberarm, OP, Vollbremsung. Postoperativ hatte ich dann viel Zeit über das "Wieso nur?“ nachzudenken. Eines ist fix: Ich war Madame "Guck in die Luft“, mental nicht geerdet, mit 8 km/h und 1.000 Gedanken im Schädel unterwegs. 

Und jetzt? Nun, ich übe mich demütig im Prinzip "Tun, was zu tun ist“. Hier, jetzt und nur das eine, im Moment. Wie soeben, mit der linken Hand Buchstaben in die Tastatur klopfen, sehr langsam, sehr bewusst. Danach schlendere ich zum Esstisch und schiebe mir klein Portioniertes in den Mund. 

Was das mit dem Thema dieser Kolumne zu tun hat? Abgesehen von der seltsamen Art zu schreiben, mehr als man ahnen würde. Denn auch beim Sex kommt es vor, dass die Gedanken so laut wie ein Vibrator surren und man gar nicht mehr   wahrnimmt, was da ist – das Prickeln beim Kuss, die Gänsehaut, jede Berührung, die Macht der Geilheit. Stattdessen schleudert das Hirn allerlei Kram ins Geschehen, 1.001 Gedanken, die ablenken und irritieren. Und ja, Frauen sind darin wahre Meisterinnen. Dann vögeln und grübeln sie ohne Ende: Wie sehe ich aus? Wie mein Bauch? Hängen meine Brüste? Rieche ich schlecht? Wann muss ich das Auto zum Service bringen? Mache ich alles richtig? Bin ich eh Mrs. Supersexy? Und was koche ich morgen? 

Ein Phänomen, das auch "Spectatoring“ genannt wird – im Sinne von Selbstbeobachtung. "Die US-amerikanische Sexualwissenschaftlerin Emily Nagoski beschreibt es als „Kunst, sich über Sex Gedanken zu machen, während man ihn hat. Anstatt auf die angenehmen und prickelnden Dinge zu achten, die dein Körper erlebt, ist es, als würdest du über dem Bett schweben und beobachten, wie deine Brüste fallen oder wie der Hüttenkäse auf der Rückseite deines Oberschenkels zerdrückt wird oder wie sich dein Bauch zusammenrollt, oder du machst dir Sorgen über den Sex, den du hast, anstatt den Sex zu genießen, den du hast.“

"Grübeln ist wie schaukeln, du bist zwar beschäftigt, kommst aber keinen Schritt weiter“, heißt es. Bye-bye, Orgasmus.

Dieses "Overthinking“ ist ziemlich unerotisch, vor allem aber lustfeindlich. "Grübeln ist wie schaukeln, du bist zwar beschäftigt, kommst aber keinen Schritt weiter“, heißt es. Bye-bye, Orgasmus. Aufdringliche Gedanken sind nichts Exotisches, jeder kennt sie. Sie kommen beim Meditieren ebenso wie beim Lernen, manchmal formieren sie sich zu gigantischen Szenarien oder Verkettungen des Kopfzerbrechens. Störbilder, die vom lustvollen Fühlen ablenken (außer es handelt sich um prickelnde Fantasien). Männer kennen das ebenso, meist in Form von Leistungsangst. Sorgen sind das Gegenteil von Erregung, Angst bremst Lust und Erektion.

Sexbox

Untreue

Es heißt oft, dass eine Affäre die Beziehung verbessert. Daten aus einer Studie des Beziehungs- und Familienpanels "pairfam“ zeigen, dass das nicht zutrifft. Oft führte Unzufriedenheit und Entfremdung in die Untreue, danach wurde die Beziehung nicht noch schlechter, aber die ursprüngliche Zufriedenheit stellte sich nicht mehr ein. Bei Paaren, die von Untreue betroffen waren, gab es mehr Trennungen.

Sex braucht – geschlechterunabhängig – ein gewisses Maß an Präsenz, Intimität bedeutet, sich auf den Partner und auf den Moment einzulassen. Mitunter ist es am schönsten, sich im Nichttun zu verlieren, ohne Absicht, ziellos geil. Wie es ist, ist es gut. Es ist gut. Ich bin gut. Mehr braucht’s nicht. Aber was unterstützt, wenn sich der Kopf durchsetzen mag und die Gedanken laut plappern? 

Die Erste Hilfe heißt A wie Achtsamkeit und Atem. Der Körper flüstert: "Hör mir zu!“ Also lauschen wir. Und atmen. Und kommen "da oben“ zur Ruhe, während es "da unten“ jubelt. Ein erster Schritt, probieren lohnt sich – auch jenseits des Schlafzimmers, zum Beispiel beim Walken.

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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