Hilfe, ich will endlich gelassener werden - aber wie geht das?

Entspannt bleiben, innehalten, lassen: Wie wir zu mehr Seelenruhe finden, verrät eine Expertin für Stressreduktion.

Seelenruhe in unruhigen Zeiten: Danach sehnen sich die Menschen mehr denn je. Gelassen bleiben zu können, ist eine Kunst - aber es ist möglich, sie zu üben und zu lernen. Jeden Tag von Neuem. Dazu brauchen wir Selbstreflexion und eine Entscheidung zum Innehalten, um den Moment zwischen Impuls und Tun zu nützen.  Indem wir durchatmen und den nächsten Schritt reflektieren, jenseits von Reiz und gereizter Reaktion. So schaffen wir Raum für neue Handlungsmuster. Im Vertrauen darauf, dass alles richtig ist, statt eines hektische Rufs nach einer schnellen Lösung. Was wir tun können, um gelassener zu werden, verrät die Wiener Mentaltrainerin und Expertin für Stressreduktion Elisabeth Gonano.

Jeder sehnt sich danach, die wenigsten schaffen es: Warum ist es so schwierig, gelassen zu bleiben?

Elisabeth Gonano: Es ist ein Zeichen unserer Zeit, dass wir zu wenig und bewusst im Moment sind. Das im „Hier und Jetzt“-sein, das bewusste Erleben ist etwas, das durch das schnelle Lebenstempo verloren gegangen ist. Genau das ist aber eine wichtige Voraussetzung, um mit sich selbst in Kontakt zu sein und mit offenen Augen und offenem Herzen nach draußen zu gehen. Um etwas auf sich zukommen zu lassen, im Vertrauen, dass es gut wird. Das ist der Kern einer gelassenen Haltung. Es ist nichts, was wir sind oder nicht sind. Es ist etwas, das wir im Grunde alle können, das aber Übung und Kultivierung benötigt.

Gelassenheit hat wohl viel mit „lassen“ zu tun.

Zum „Lassen“ gibt es mehrere Aspekte, es bedeutet vieles: Zum einen: lassen können, loslassen können. Etwas gut sein lassen können, es lassen, wie es ist. Etwas hinnehmen, annehmen – die Akzeptanz dessen, was ich nicht ändern kann und außerhalb meines Einflusses liegt.  Und schließlich: sich auf etwas einlassen können. Auf das, was mir mein Leben bringt und in jedem Moment auf mich zukommt. Dazu braucht es Bewusstsein, eine Haltung, dass ich tatsächlich im Hier und Jetzt mit allen Sinnen bei mir zu Hause bin.

Aktuell wird die Gelassenheit sehr auf die Probe gestellt, weil wir permanent mit neuen Lebensumständen konfrontiert werden. Das alles hat uns nicht ruhiger gemacht. Nehmen Sie das in Ihrer Praxis auch so wahr?

Mehr denn je. Viele Menschen entwickeln daher den Wunsch, ihre Seelenruhe neu zu entdecken, weil es die einzige Möglichkeit ist, mit dem Leben zurechtzukommen. Wir haben wenig Einfluss, können aber dennoch immer Stellung nehmen und überlegen, wie wir mit den Lebensumständen umgehen. Das ist, was wir in der Hand haben, es ist unsere Freiheit. Das Schöne daran ist, dass die Pandemie auch viele Chancen eröffnet und ermöglicht, genau das wieder zu entdecken und uns diesem Problem zu stellen. Das ist dann etwas, was uns auch für die Zeit "danach" helfen kann.

Was passiert, wenn wir gelassener werden?

Wenn ich Gelassenheit entwickle, entwickle ich auch mehr Resilienz. Ich schule mein mentales Immunsystem. Das macht krisenfester und kann ich für die Zukunft als wertvolle Ressource nützen.

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Eine Harvard-Studie beschäftigte sich damit, Gelassenheitsmomente in den Alltag einzubauen. Erwähnt wird etwa der Panoramablick, der schweifende, weite Blick.  Und das erleichternde Seufzen. Welche Anregungen haben Sie?

 Ich arbeite gerne mit der Atmung, als bewusstes Verbinden mit dem Körper. Das funktioniert wunderbar. Also einfach einmal die Augen schließen und sich mit dem Körper verbinden, im Sinne: Ich spüre, was ich gerade spüren kann. Ich möchte nichts verändern, sondern nur kurz auf mich und meinen Körper hören. Was tut sich da gerade? Das beobachte ich im ersten Schritt. Die Atmung ist ein großartiges Instrument, um diese Verbindung herzustellen. Ich kann das auch mit einer Art Genusstraining üben, indem ich mir zum Beispiel ein Duftöl nehme oder eine Mandarine - etwas, das ich riechen kann. Dann versuche ich mich bewusst auf den Duft zu fokussieren. Das funktioniert auch gut mit Schmecken. Weiters: die Stoppübung. Stopp. Take a breath. Observe. Proceed. Übersetzt: Stopp. Nimm einen Atemzug. Beobachte. Mache weiter. Indem ich eine Pause zwischen Impuls und Handlung einbaue, schaffe ich einen Augenblick der Pause, in dem ich Dinge hinterfragen kann. Ein Schlüsselmoment, wo die Freiheit zur Entscheidung liegt, verbunden mit der Frage: Wie möchte ich mit einer gewissen Situation oder einem gewissen Thema umgehen? Es ist jene Chance, mit der ich endlich einmal etwas anderes tun kann. Ich reagiere dann anders auf einen Reiz. Und das ist genauso eine Übungssache wie das Training meiner Muskulatur.

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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