Der Bergschneckkk! Besuch bei der Tiroler Weinbergschneckenzüchterin

Im Bergdorf Ellmau am Wilden Kaiser hegt Simone Embacher ihre Nutztiere: Die Tirolerin ist passionierte Weinbergschneckenzüchterin. Auch wenn sich bei uns viele vor dem Weichtier ekeln, gilt die proteinreiche Delikatesse als Superfood der Zukunft. Ein herbstlicher Besuch zur Erntezeit.

Simone Embacher betreut mehr als fünfzigtausend Nutztiere. Sie als Großbäuerin zu bezeichnen, täte ihr aber unrecht. Denn die Tierchen muss man auf ihrer kleinen Farm suchen: Steht man mitten auf der abgelegenen Wiese, die Embacher im Tiroler Ort Ellmau (etwas oberhalb der aus dem Fernsehen bekannten „Bergdoktor“-Praxis) gepachtet hat, blicken Gäste zuerst auf die beeindruckende Kulisse des Wilden Kaisers. Und erst dann auf die einfach zusammengezimmerten Beete, in denen die Weichtiere im Gras und auf Holzbrettern kriechen. Und als Superfood enden.

Embacher ist Tirols erste Weinbergschneckenzüchterin.

Vor gut drei Jahren hat sie ihre Passion für die Weichtiere entdeckt, ein Seminar beim Wiener Schneckenpionier Gugumuck besucht und mit der nachhaltigen Freilandhaltung begonnen. Ihre ersten fünfhundert Exemplare der Sorte Helix Aspersa Maxima hat sie bei einem Züchter gekauft. Das sei mengenmäßig nichts. „Mir war wichtig, dass ich langsam wachse, so die Ellmauerin. Vor Schneckentempo-Witzen hütet sie sich, Slow Food stimme aber.

©Simone Embacher, Theresa Aigner/TVB Wilder Kaiser

Anfangs habe sie Fehler gemacht, „es waren drei Lehrjahre“. Das Netz oberhalb und seitlich des Geheges halte natürliche Feinde wie Vögel ab. Sie erzählt aber von Nächten, die sie im Freien mit Stirnlampe verbracht hat, um ausgebüxte Schnecken einzufangen. Ein Elektrodraht habe zu wenig Wirkung gezeigt, „am besten hilft Salzpaste gegen die Flucht“. Salz entzieht den Schnecken Flüssigkeit, ist so eine natürlich Barriere. Auch das Tiroler Klima mit vielen Frostnächten sei herausfordernd. Der Vorteil hier: Der Wilde Kaiser gehört zu den nördlichen Kalkalpen – und Schnecken lieben kalkhaltige Böden.

Sobald sich der Tellerrand des Schneckenhauses biegt, ist das Zwitterwesen geschlechtsreif und wird „geerntet“. Auf einem der zahlreichen Holzbretter im Gehege kleben dann locker bis zu hundertfünfzig Schnecken. Jetzt im Herbst ist Erntezeit, dann fallen sie in den Winterschlaf. Für deren delikaten Geschmack muss das Futter passen: Je aromatischer die Kräuter, die sie frisst, umso besser schmeckt die Schnecke. „Viel Thymian, Spinat, Mangold, Spitzwegerich. Gras fressen sie nicht, da sind’s wählerisch.“

Küchenfertiges Superfood

Für ihre Kunden bereitet Embacher die Schnecken küchenfertig vor, das heißt, sie kocht sie und füllt sie in Gläsern ab. Eine Schnecke wiegt mindestens zwanzig Gramm. Ein halbes Dutzend gilt als Vorspeisenportion, ein Dutzend als Hauptspeise. Weinbergschnecken sind eine hochwertige Proteinquelle, Ressourceneinsatz und Platzverbrauch sind gering. Für Abnehmer, meist gehobene Tiroler Restaurants, ist auch die Regionalität mitentscheidend. Die Escargot, die Speiseschnecke, gilt wieder als salonreif. „Ein Superfood der Zukunft.“ Derzeit ist Schneckenzucht aber noch selten, wie eine Anekdote zeigt: Einmal sei ein Team vom Veterinäramt aufgetaucht, habe sich umgeschaut und gemeint, eigentlich haben sie keine Ahnung, was sie überprüfen sollen.

Wo man Kaiserschnecken isst

Auf der Schneckenfarm
Simone Embacher bietet Schneckenfarmführungen mit Verkostung an (ab 4 P. möglich, 19 € p. P., Kinder 10 €,  Tel. 0664/454 12 03, [email protected])

In der Gastronomie
Sonneck (beim Golfclub Wilder Kaiser), Dorf 2, Ellmau. Ab 18. 12. wieder geöffnet. restaurant-sonneck.at
Restaurant Oniriq (Zwei Hauben), Bürgerstraße 13, Innsbruck. oniriq.at
Restaurant Rauterstube (Zwei Hauben), Rauterplatz 3, Matrei in Osttirol. rauterstube.at
Juffing (4*s), Hinterthiersee 79, Thiersee. juffing.at
Mehr Lokale mit Schneckengerichten: kaiserschnecke.at. Wissenswertes zur Region gibt’s auf wilderkaiser.info

Die Frage nach Abscheu kennt sie gut, kontert: „Muscheln schmecken nach Meer, Schnecken nach Wald.“ Ganz einfach. „Ekel ist kulturell antrainiert“, sagt Embacher. Älter als der Ekel vor der Schnecke ist der Verzehr: In Österreich habe man im Mittelalter mehr Schnecken verspeist als in Frankreich. Weinbergschnecken waren bis nach dem Weltkrieg ein Arme-Leute-Essen, sie wurden in den Wäldern gesammelt, waren eine wertvolle Proteinquelle. Lieber ein Schneck als gar kein Speck. In Wien gab’s sogar einen Schneckenmarkt, daher der Begriff „Wiener Auster“. Das Einsammeln im Wald ist nicht mehr erlaubt, die Weinbergschnecke steht seit den 1970ern unter Naturschutz. Embacher hat schon als Kind Schnecken, die sich auf den Weg verirrt hatten, behutsam wieder auf sicheren Waldboden gesetzt.

Und eklig oder schlatzig war beim Verkosten übrigens gar nichts, die gingen butterweich runter.

Stefan Hofer

Über Stefan Hofer

Stefan Hofer ist seit 2009 beim KURIER. Schreibt für das Ressort Reise.

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