In der Wiener Küche hatten die Zwetschken einmal ein sehr gute Zeit

Is’ mir powidl- Die Geschichte hinter den eingekochten Zwetschken

Der dunkle, zähe Brei aus zu Tode gekochten Zwetschken ist zwei Dinge auf jeden Fall: erstens ziemlich osteuropäisch und zweitens definitiv keine Marmelade. Auch wenn Torberg vergaß, das zu erwähnen.

Früher, da hatten die Zwetschken eine gute Zeit. Sie waren das unproblematische Massen-Obst des kleinen Mannes: ertragssicher, formschön, ungewöhnliche Farbgebung.

Mit etwas Geduld waren sie sogar gar nicht so sauer und damit genießbar, wurden nicht so sehr von den Vögeln aufgefressen wie die Kirschen, nahmen nicht so viel Platz weg wie die Äpfel, ließen sich verhältnismäßig leicht ernten und mit etwas Glück wurden nicht einmal alle vom Wurm befallen. Und wenn doch, dann sah man den relativ leicht. Im Spätsommer, wenn sie massenhaft und alle auf einmal reif waren, kamen sie auf den „Zwetschkenfleck“ (für die Spätgeborenen: Dabei handelt es sich nicht um eine Verunreinigung, sondern um einen wunderbaren Blechkuchen), man umhüllte sie mit Topfen- oder Brandteig zu Zwetschkenknödeln oder garte sie mit Gewürzen zum Zwetschkenröster, einem dunkelwürzigen Fruchtkompott, ohne den ein Kaiserschmarren ja eigentlich sinnlos ist, wenn wir ganz ehrlich sind.

Und wenn die Zwetschken doch nicht mehr so okay waren, brannte man halt einen Haus-Schnaps draus, was wirklich keine große Kunstfertigkeit erfordert – ich weiß, wovon ich spreche (eine anonyme Anzeige bei der Finanzpolizei ist übrigens zwecklos, wir haben den einen Kübel Zwetschkenmaische vorschriftskonform angemeldet; abgesehen davon ist das längst verjährt …).

Reife Zwetschken können im Spätsommer geerntet werden

©FREMD/Gruber Franz

Was ist ein Kompott?

Ob der Zwetschkenröster ein Kompott ist oder nicht, darüber wurde in Wien früher übrigens hitzig diskutiert, wie eine der Anekdoten in Friedrich Torbergs unvergleichlicher „Tante Jolesch“ so wunderbar darlegt: „Es sind noch ein paar da, die sagen, Zwetschkenröster sind kein Kompott!“ drohte der Wirt Neugröschl mit erhobener Faust, nachdem er einen Gast hinausgeworfen hatte, der meinte, er wolle zum Kaiserschmarren ein Kompott, keinen Zwetschkenröster, „Aber ich kenn sie alle!“ Herrlich.

Ob Powidl eine Marmelade ist oder nicht, darüber wurde offenbar nie gestritten. Und wenn in Wien über etwas nicht gestritten wird, dann ist es entweder unbekannt oder einer der ganz, ganz seltenen Fälle von Einhelligkeit, die fast schon an Wahrheit grenzt. Und warum ist Powidl keine Marmelade? Weil man – zumindest im ursprünglichen Rezept – keinen Zucker und auch keinen Gelierzucker dazugab, sondern die Zwetschken unter permanentem Rühren so weit einkochte, bis ein zäher, dunkel-violetter Brei daraus geworden war, der mit nichts anderem zu vergleichen war.

Germknödel werden auch heute noch traditionell mit Powidl gefüllt

©Getty Images/iStockphoto/MaleneRauhe/iStockphoto

Nicht süß, nicht sauer

Powidl ist in seiner Originalversion zwar süß, aber nicht sehr. Powidl ist auch ein bisschen sauer, aber auch nicht sehr. Powidl schmeckt zwar eigentlich überhaupt nicht mehr nach Frucht, aber trotzdem sehr intensiv nach, nun ja, eigentlich schmeckt Powidl „dunkel“.

Powidl herzustellen war aufgrund des permanenten Rührens zwecks Vermeidung von Anbrennen körperliche Schwerarbeit, die natürlich – es braucht eine gewisse Sensibilität dafür und Kenntnis, wann etwas „gleich anbrennt“, „gleich anbrennen könnte“ oder „vielleicht gleich anbrennen könnte“ – nie von Männern, sondern nur von Frauen gemacht werden konnte. Natürlich mit passender Funktionskleidung, der „Kombinäsch“. Und weil die Massen von Powidl ja auch irgendwohin mussten, kamen sie in Powidltascherl, in Powidlgolatschen, Powidltatschkerln, in Buchteln und natürlich in Germknödel. Und wenn alle Marmeladen aufgebraucht waren, halt letztlich auch aufs Butterbrot … Aber was soll man sagen, die große Zeit der Zwetschke ist vorbei. Statt Zwetschkenfleck bäckt man heute „Tarte Tatin“, bei den Knödeln verfügt die Marille über eine unangefochten hegemoniale Position, zum Kaiserschmarren gibt’s Vanilleeis oder irgendwas mit hipper Tonkabohne und zum Slibo greifen heute nur mehr Jugendliche, wenn alles andere in Vatis Hausbar schon ausgetrunken, aber trotzdem noch nicht alle bewusstlos sind.

Und auch um den Powidl schaut’s eher traurig aus: Die Mühe, klein geschnittene Zwetschken stundenlang, oft tagelang einzukochen, tut sich heute keiner mehr an, dunkelviolett kommt auch auf Instagram ganz schlecht, muss man sagen. Bei der Golatsche hat der Topfen die Oberhoheit, Powidltascherl oder Liwanzen sind in freier Wildbahn rar geworden und wenn ein Wirt Buchteln heute mit Powidl statt mit Marillenmarmelade füllt, muss er damit rechnen, dass sie zurückgeschickt werden. Allein beim Germknödel scheint die Sache noch einigermaßen sicher, aber auch da drohen Heidelbeermarmelade und andere dunkle Füllungen mit größerem Hippness-Faktor.

Vielleicht glaubt man in zwanzig Jahren, dass „powidl“ ein Wiener Synonym für „egal“ ist. Das wär’ mir jedenfalls nicht powidl.

Florian Holzer

Über Florian Holzer

Florian Holzer ist Gastronomiekritiker, freischaffender Autor und FREIZEIT-Kolumnist. (Foto: Jürg Christandl)

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