Flaschenpost: Sturm im Weinglas
Während sich mancher Weinsnob die geschulte Nase nicht mit der klebrigen Brause verhunzen möchte, können andere nicht genug von dem Saft bekommen.
Jede Zeit hat ihre Gebräuche – das mag der Mensch, das ist ihm vertraut, da fühlt er sich geborgen. Rituale geben ihm die Gewissheit, dass es doch noch Dinge auf der Welt gibt, auf die Verlass ist. So wird halt im Herbst Sturm getrunken. Ob der gärende Traubenmost einem verwöhnten Weingaumen zuzumuten ist, bleibt eine ebenso langweilige wie müßige Diskussion. Sturm ist nicht satisfaktionsfähig, da erübrigt sich jeglicher Spott. Und doch spaltet er die Weinwelt: Während sich so mancher Weinsnob die geschulte Nase nicht mit der klebrigen Brause verhunzen möchte, können andere nicht genug von dem Saft bekommen. Naturgemäß kommen die Trauben nicht von Grand-Cru-Lagen. Es hilft auch nichts, Sturm statt in klobige Humpen in mundgeblasene Exponate zu füllen – das Aromenspektrum liegt so oder so zumeist unter der Wahrnehmungsgrenze.
Zumindest ist man beim Sturm-Genuss vor all den selbst ernannten Weinpäpsten gefeit, die sonst jedes noch so schlichte Gewächs mit ermüdender Degustationsprosa bedenken. Keine Rankings und Punktevergaben, keine kontrollierte Herkunftsbezeichnung, keine Prüfnummer, kein Terroirgefasel – weil es zumindest geschmackstechnisch nahezu wurscht ist, woher Sturm kommt. Es empfiehlt sich bloß, von Supermarktware Abstand zu nehmen und auch Sturm vom Winzer des Vertrauens zu erwerben, um sich nicht vollends den Magen zu verderben.
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