Absinth: Die Grüne Fee ist zurück

Absinth alias „Grüne Fee“ erfreute einst die Belle Epoque und Genies von Hemingway bis Van Gogh. Dann wurde sie verteufelt. Heute erfreut sie sich wieder neuer Beliebtheit.

Ein Staatsmann mit Schärpe, den rechten Fuß im Triumph auf einer vor ihm darnieder liegenden Frau abgestellt. Siegreich reckt er ein offizielles Dekret in die Luft. Zu seinen Füßen: die Grüne Fee, barbusig und tot, ein blutiges Messer in der Brust. Hinter der Szene geht glühend gelb die Sonne auf, überschrieben ist das Ganze mit: Vive la France!

Das Verbot des Absinths und das Ende der Grünen Fee am 16. März 1915 wurde, wie auf diesem gezeichneten Plakat martialisch dargestellt, ziemlich heftig bejubelt. Selbst wenn einige dagegen demonstrierten, sich den Genuss des Kräuterschnapses in Zukunft untersagen zu lassen: Die Wiederherstellung von Recht und Ordnung, nichts weniger erhoffte sich der französische Staat davon, aufgrund der Gräueltaten, Tragödien und Unglücke, die man der Wirkung des wohlschmeckenden Absinths zuschrieb. 

„Die wirkliche Eigenschaft von Absinth besteht darin, direkt ins Irrenhaus oder vor Gericht zu führen“, hieß es. Ein steiler Abstieg für eine Spirituose, die ursprünglich sogar als Heilmittel eingesetzt wurde. Und, auch das noch, ein Irrtum und eine bewusst kampagnisierte Verteufelung. Doch dazu später.

Hauptstadt des Absinths

Bis in die Antike reicht die Geschichte des Absinths, als man entdeckte, dass das Wermutkraut Artemisia absinthium in Tinkturen heilsame Wirkung entfaltet. Hippokrates, Theophrast oder Pythagoras empfahlen es etwa gegen Menstruationsschmerzen oder Rheuma. Im Mittelalter entdeckte es Hildegard von Bingen – als Entwurmungsmittel.

Ursprung: Die Wurzeln des Absinths liegen in der Schweiz

©Collage Bartosz Chudy

Und auch im Val de Travers des 18. Jahrhunderts, wo man die Wurzel des heutigen Absinths verortet, ahnte noch niemand Schlimmes. Der Landarzt Pierre Ordinaire verabreichte Absinth seinen Patienten, die Familie Henriod ließ es später in Apotheken verkaufen. 

Gesichert ist jedoch vor allem eines: Ein Major Dubied, der gern auf Sommerfrische in Val de Travers weilte und sein Schwiegersohn Henri-Louis Pernod, die das Rezept den Henriods abkauften, sperrten 1797 eine kleine Absinth-Brennerei in Couvet auf (1975 sollte daraus der berühmte Spirituosenkonzern Pernod Ricard werden).

Und bald auch, weil es der größte Absatzmarkt war, in Frankreich, im Städtchen Pontarlier – der Hauptstadt des Absinths.

25 Destillerien waren hier im Jahr 1900 beheimatet – heute kunden ein Museum und ein jährliches Fest davon. Aus Pontarlier kamen auch die Lieferungen für die Armee. Als Frankreich 1830 Algerien bekriegte, nahmen die Soldaten täglich Absinth, um sich gegen Magenkrankheiten zu schützen sowie zur Bekämpfung von Malaria.

Zaubertrank der Bohème 

Fortan begann der Absinth auch zuhause zu boomen: Die Kriegsheimkehrer, aber alsbald halb Frankreich, zogen sich zwischen 17 und 19 Uhr zur „l’heure verte“, der „grünen Stunde“ zurück. Die Bohème liebte Absinth, sie wurde großen Künstlern zur Muse, so heißt es, oder zumindest genossen sie die Rauschhaftigkeit, die er ihnen bescherte. Große Dichter wie Verlaine oder Rimbaud verehrten die Grüne Fee. Nicht zu ihrem Vorteil: Der eine schoss den anderen im Absinth-Taumel aus Eifersucht an. 

Baudelaire (der damit versuchte, die Schmerzen, die ihm die Syphilis bescherte, zu lindern) schwärmte von ihm als „Zaubertrank“, auch Hemingway sprach diesem selbstverständlich zu. Edgar Degas malte sein Gemälde „Der Absinth“ nicht ohne sich persönlich davon inspirieren zu lassen, dasselbe galt für Werke von Édouard Manet, Henri Toulouse-Lautrec, Paul Gauguin und Pablo Picasso. Und Van Gogh? Vom holländischen Genie heißt es, sein Ohr hätte er sich im Absinth-Rausch abgeschnitten.

Trinkritual: Zucker, Löffel, Wasser, Absinth 

©Getty Images/iStockphoto/Moussa81/iStockphoto

Absinth war berühmt dafür Halluzinationen zu erzeugen, Wahn und Angstzustände. Das hatte damit zu tun, dass Künstler ihn teils mit Opiumtinktur vermischten. Außerdem wurde oft minderwertiger Alkohol zur Herstellung verwendet und der Alkoholgehalt des Getränks war mit 50 bis 70 Prozent extrem hochprozentig. Absinth besteht aus Wermutkraut, Anis und Fenchel sowie je nach Rezept verschiedenen Kräutern wie Zitronenmelisse gegen die bittere Note. Diese werden in Alkohol eingeweicht und destilliert. Die grüne Farbe kommt vom Chlorophyll der Kräuter.

Spezielles Trinkritual

Gefährlich schien den Absinth aber Thujon, ein Hauptbestandteil des Wermuts, zu machen, dem man nachsagte, dass es in hohen Dosen wie Nervengift wirke und verheerende Schäden anrichte – wenngleich das nie ganz bewiesen werden konnte. Egal, denn der Schaden war angerichtet: ein grausamer Familienmord in der Schweiz, den man dem Absinth-Rausch zuschrieb, führte 1905 zum Verbot, der Rest von Europa und die USA taten es später gleich. 

Treibende Kraft im Kampf gegen den sogenannten Absinthismus, bei dem es sich in Wirklichkeit um Alkoholismus handelte, waren aber vor allem die Winzer: Diese fürchteten um ihren Absatz und kampagnisierten heftig gegen den Absinth – vorgeblich um der Gesundheit willen. Für Syphilis bis Blindheit sollte die Spirituose verantwortlich sein. Heute ist sie seit den Nullerjahren wieder erlaubt. Der Thujon-Anteil wurde begrenzt. Die Verbote befeuern den Mythos bis heute.

Fee aus dem Hahn: Absinthfontäne

©_Jean-Baptiste Strub

Chic war (und ist) das Trinkritual, mit dem der Kräuterschnaps genossen wird: à la Parisienne wird ein Stück Würfelzucker auf einem gelochten Absinthlöffel platziert, der auf einem Glas ruht. Aus einer antiquierten Apparatur (Absinthfontäne genannt) träufelt aus kleinen Hähnen langsam und stetig Wasser über den Zucker, bis dieser sich auflöst. Ein Genuss, der Zeit erfordert – und Stil. 

Nach dem Hype in den Neunzigerjahren wird Absinth auch heute wiederentdeckt. In London kann man ihn etwa in der Green Bar des Hotel Café Royal noch auf die klassisch französische Art, also per Absinthfontäne, genießen – und aufgeregt warten, bis sich im grünen Getränk weiße Schlieren bilden: das Erscheinen der Grünen Fee. Zudem erwarten einen hier spezielle Cocktails wie der cremige „Femme Au Café“ mit Zutaten wie Devil’s Botany London Absinth, Schokoladen-Absinth-Likör, Tabaklikör, Zimt und Espresso. Aber auch in Österreich bieten mehrere Brennereien ihren Absinth an: nach alten Originalrezepturen ebenso wie mit angepriesen hohem oder, als reines Destillat, sehr niedrigem Thujon-Anteil. Santé!

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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