90 Jahre Kardinalschnitte: Eine süße Sünde für seine Eminenz
Erfunden wurde das Backwerk einst in der Konditorei L. Heiner, die bis heute in sechster Generation als Familienbetrieb geführt wird.
Mit einem Mythos räumen wir gleich zu Beginn auf: Die rote Ribiselmarmelade, die angeblich die Kardinalswürde symbolisieren soll, hat in der Kardinalschnitte nichts verloren. Zumindest nicht im Original. Denn das ist – seit 90 Jahren – mit Marillenmarmelade gefüllt.
Wenn das jemand weiß, dann ist es Michael Stuller. Er führt die Wiener k.u.k. Konditorei L. Heiner in sechster Generation – und sein Urgroßvater gilt als Erfinder der zuckerlastigen Mehlspeise. Seit damals, in einer Woche werden es 90 Jahre, hat man die Kardinalschnitte durchgängig im Sortiment.
Stuller und sein Team machen sie (fast) täglich frisch – denn genauso muss sie auch gegessen werden. "Sie ist einen Tag, maximal zwei in der Vitrine.“ Denn: Manche Kunden "finden sie am zweiten Tag noch besser“.
Chefsache
Ab sechs Uhr in der Früh herrscht in der Backstube der einstigen Hofzuckerbäckerei also bereits reger Betrieb. 35 Mitarbeiter arbeiten hier in der Simmeringer Hauptstraße – das Stammhaus auf der Wollzeile wurde für die Produktion irgendwann zu klein – , damit die frische Ware ab 8 Uhr an alle Filialen ausgeliefert werden kann.
Die Kardinalschnitten sind dabei freilich Chefsache. Heute ist Patrick Harrer, stellvertretender Backstubenleiter, am Zug. Damit sie perfekt werden, braucht es nicht nur das richtige Rezept, sondern "viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl“, sagt Stuller und blickt in einen mannshohen alten Ofen. Nur in diesem findet das sensible Backwerk, das sich darin unablässig dreht, ideale Bedingungen vor.
Handarbeit
Davor und danach ist Handarbeit angesagt. Schon an der Frage, wie weit voneinander entfernt die Streifen der Baisermasse auf das Backpapier aufgespritzt werden müssen, damit sie am Ende die charakteristische "V-Form“ bilden, hat sich so manche Diskussion entzündet.
Zwischen dem Baiser kommt feiner Biskuitteig zu liegen. Sobald die Masse aus dem Ofen kommt, wird sie von Harrer gestürzt, noch warm mit den Händen in Form gedrückt ("Ein heikler Schritt, den sich so mancher daheim gar nicht trauen würde“) und in Papier geschlagen.
Kurz darauf folgen die Füllung aus besagter Marillenmarmelade und viel Staubzucker, bevor die Schnitte zwischen den anderen Süßspeisen – darunter neue Kreationen wie eine vegane Birnen-Mohn-Tarte oder traditionelle wie der Mokkakrapfen – in der Vitrine landet.
Das Originalrezept der Kardinalschnitte ist fast unverändert, aber es gibt Variationen – etwa mit Erdbeer- oder mit Kaffeecreme. Das gelb-weiße Farbenspiel von Baiser und Biskuit, das an die Flagge des Vatikans erinnert, ist unverhandelbar. Denn erfunden wurde die Schnitte 1933 von Ludwig Heiner anlässlich des "Allgemeinen Deutschen Katholikentags“, der von 7. bis 12. September in Wien stattfand – und zu Ehren von Kardinal Theodor Innitzer. Ein Auftragsarbeit? "Nein“, sagt Stuller. Eine Eigenkreation, getragen vom Geschäftssinn des Urgroßvaters.
Das Erzbischöfliche Palais liegt nicht weit entfernt vom Stammhaus, für geeignete Kundschaft war also gesorgt. Mehr Details sind nicht überliefert. Im Zweiten Weltkrieg schlug eine Granate ein, viele Unterlagen gingen verloren.
Beliebter Klassiker
Bei den Kunden ist die Schnitte noch hoch im Kurs. Gemessen an den Verkaufszahlen liege sie auf dem vierten Platz – nur geschlagen von Sachertorte, Esterházytorte und (klar!) dem Punschkrapferl. Beliebt ist sie vor allem bei Einheimischen.
Das Rezept, das ist übrigens nicht geheim. Auch die zahlreichen Lehrlinge, die man ausbildet, tragen es in die Welt hinaus – und das mit Stolz: "Die Wiener Konditoren sind ohnehin oft zu wenig selbstbewusst“, sagt Stuller. Er selbst ist es schon: "Die Kardinalschnitten aus unserer Backstube sind so schön hoch und gut, das gelingt zu Hause gar nicht.“
Wer sich davon überzeugen will: Ab dem 7. September feiert man bei L. Heiner den Geburtstag der Schnitte – mit einer Drei-plus-Eins-Aktion.
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