Buchtipp Wolf Haas: Bitte kein Knie in Wanne 4 werfen!

Der neue Brenner heißt „Müll“ und spielt auf einem Mistplatz, wo der frühere Polizist arbeitet und gar nicht mürrisch ist

Das Unangenehme, wenn ein neuer „Brenner“ von Wolf Haas erscheint, ist: Man muss sich zusammenreißen, um bei der Besprechung nicht die Peinlichkeit zu begehen und in die ganz eigene Haassprache zu verfallen.

So verlockend ist es zu schreiben, dass etwas ding ist oder nicht ganz ding. Man erspart sich damit so viel.

Und die fehlenden Prädikate in den Büchern ... befreiend ist das. Wenn es Wolf Haas macht.

Es ist das erste Mal seit acht Jahren („Brennerova“), dass er das macht.

Ablenken

„Müll“ ist der neunte Kriminalroman der Reihe. Es fällt diesmal nicht so leicht, sich Josef Hader in der (Film-)Rolle des ehemaligen Polizisten und Privatdetektivs vorzustellen. Brenner müsste auf die 65 zugehen, ist aber jünger. Corona gibt es noch nicht. Er ist nicht mürrisch. Richtig lebensfroh.

Brenner arbeitet auf einem Wiener Mistplatz.

Ist „Mistler“.

Wolf Haas wohnt in Wien in der Nähe vom Mistplatz Dresdner Straße – „ich war schon oft dort, wenn ich was wegwerfen wollte. Es hat mir immer gefallen, eine Oase der Ordnung mit nummerierten Wannen. Für alles gibt es den richtigen Platz. “

Und über die Bagger dort freut sich der Dreijährige in ihm.

Kaum begann er, „Müll“ zu schreiben und mit Klischees zu spielen, um sich vom Elend abzulenken, wurde der Mistplatz wegen der Pandemie zugesperrt.

„Das hab ich fast persönlich genommen.“

Lachen

Haas lässt wieder den oberg’scheiten Ich-Erzähler los, der schon einmal tot war, aber das macht doch nichts. Er redet weiter; und nicht nur in amputierten Sätzen.

Die Sprache macht noch andere Kunststücke:

Es lacht jemand „wie wenn ein Gespenst 200 ist und alle Geburtstagskerzen auf einmal ausblasen muss.“

Schön kann man sich das vorstellen. Sehr ding ist das.

Verschlafen

Über „Müll“ muss man kaum etwas sagen, um deutlich zu machen, dass der Roman willkommene Ablenkung nicht nur für seinen Autor bedeutet: Auf dem Mistplatz liegt in Wanne 4 ein menschliches Knie.

Große Aufregung, denn: Wanne 4 nur Sperrmüll!

Zitat: „Menschliches Knie wäre natürlich, wenn schon, Biomüll. Wanne 19. Oder zur Not, zur äußersten Not, von mir aus Kompost. Wanne 12.“

Auch andere Körperteile werden gefunden. Das Herz des männlichen Opfers aber nicht, es liegt noch in einem Kühlschrank.

Jetzt nur noch das hier:

Der Brenner ist Bettgeher. Er schläft in Wohnungen, die zeitweise leer stehen. Er hat etwas Nobles gefunden. Aber er hat verschlafen:

Die Frau eines Schönheitschirurgen kommt zu früh zurück, sie hat nämlich mit ihm im Urlaub gestritten. Sie fesselt Brenner, stopft ihm einen Socken in den Mund und legt sich zu ihm ...

Haas: „Ich hab mal in der Zeitung gelesen, dass es solche Leute gibt, die friedlich in fremden Haushalten leben, wenn gerade niemand dort ist. Quasi die inoffizielle Version von Airbnb.“

Ihm gefiel die Vorstellung, dass vielleicht jeder so ein friedliches Gespenst in seinem Haushalt hat. Das immer alles sauber hält, sodass nichts verdächtig ist, wenn es auszieht.

Frage: „Ist es schon so weit, dass Sie glauben, den Brenner gibt’s wirklich?“

Haas: „Sicher nicht. Er glaubt ja auch nicht, dass es mich wirklich gibt.“

Müll von Wolf Haas

©HOFFMANN UND CAMPE VERLAG GmbH

Müll

von Wolf Haas
erschienen im Hoffmann und Campe Verlag
erhältlich u.a. bei Amazon.at
 

KURIER-Wertung: *****

Peter Pisa

Über Peter Pisa

Ab 1978 im KURIER, ab 1980 angestellt, seit November 2022 Urlaub bzw. danach Pension. Nach 25 Jahren KURIER-Gerichtsberichterstattung (Udo Proksch, Unterweger, Briefbomben) im Jahr 2006 ins Kultur-Ressort übersiedelt, um sich mit Schönerem zu beschäftigen. Zunächst nicht darauf gefasst gewesen, dass jedes Jahr an die 30.000 Romane erscheinen; und dass manche Autoren meinen, ihr Buch müsse unbedingt mehr als 1000 Seiten haben. Trotzdem der wunderbarste Beruf der Welt. Man wurde zwar immer kurzsichtiger, aber man gewann an Weitsicht. Waren die Augen geschwollen, dann Musik in wilder Mischung: Al Bowlly, Gustav Mahler, Schostakowitsch und immer Johnny Cash und Leonard Cohen.

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