Vienna International Centre, Gemälde

Kunst an der Wand: Eines der größten Gemälde Europas gibt's in Wien

Sommer der Extreme: Ein brandneues Bild in Wien, das älteste der Welt in Indonesien. Seit gut 50.000 Jahren malen Menschen auf Mauern und Felsen – und machen die Welt ein bisschen bunter. Eine Spurensuche.

Ein Mann, ein Kran, hunderte Liter Farbe, gut 1.000 Quadratmeter Fläche – drei Wochen lang arbeitete der Australier Fintan Magee an der grauen Fassade des „Vienna International Centre“ in der Donaustadt. So entstand diesen Sommer in Wien eines der größten Wandgemälde Europas: „Woman with Dove“. 

Der 39-jährige Magee gilt als einer der wichtigsten Vertreter des Sozialrealismus und hat bereits monumentale Werke in seiner Heimatstadt Sydney, in Los Angeles, London, Dublin, Rom, Buenos Aires, Teheran und Kopenhagen geschaffen. Wien ist also durchaus in guter Gesellschaft. Und sein Wiener-  Werk überzeugt nicht nur ästhetisch, sondern punktet als Zeichen für Frieden und Gerechtigkeit auch mit seiner Message. 

Und ist der perfekte Anlass, einen Blick auf die unglaublich lange Geschichte von bemalten Wänden zu werfen. Wer jetzt in erster Linie an Street-Art und Graffiti denkt, liegt zwar nicht falsch, kratzt damit aber nur an der Oberfläche dieser faszinierenden Kunstform.  „Wandmalerei gehört zu den ältesten künstlerischen Ausdrucksformen der Menschheit“, sagt Maxime Aubert, Archäologe und Professor an der Griffith Universität im australischen Brisbane. 

Außerdem lest ihr in dieser Geschichte noch:

  • Kunst oder Kunsthandwerk?
  • Warum Leonardo da Vinci kein Maurer war
  • Street-Art Festival in Wien: Calle libre

Und der Mann weiß, wovon er spricht, immerhin hat er heuer auf der indonesischen Insel Sulawesi die bislang älteste menschliche Höhlenmalerei gefunden. Satte 51.200 Jahre sind die drei Menschen und das Schwein alt, die ein namenloser Künstler in der Höhle des fast senkrecht aufragenden Karampuang Hill im Süden der tropischen Insel gezeichnet hat. „Verewigt“ könnte man hier getrost sagen; wenn das Wort je eine Berechtigung hat, dann wohl hier.

Kunst oder Kunsthandwerk?

Damit sind die Bilder um etwa 20.000 Jahre älter als die berühmten europäischen Funde in Frankreich, in der Chauvet-Höhle etwa oder der von Lascaux.

Sulawesi, Höhlenmalerei

Unglaubliche 51.200 Jahre ist das bisher älteste Wandbild der Welt alt, das heuer auf Sulawesi gefunden wurde.

©APA/AFP/GRIFFITH UNIVERSITY/-

Und: „Wir können davon ausgehen, dass in Afrika noch ältere Bilder existieren. Die Frage ist nur, ob wir sie je finden“, sagt Chris Stringer, Paläoanthropologe und  Leiter der Abteilung zur Erforschung der Herkunft des Menschen  am „Natural History Museum“ in London. 
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Wobei, ganz ähnlich wie bei modernen Graffiti, immer wieder die Frage diskutiert wird, ob das, was unsere Altvorderen vor Jahrtausenden auf Wände malten, denn nun eigentlich Kunst sei. Es seien bloß praktische Gründe, die diese Zeichnungen inspiriert hätten, meinen die einen, Anleitungen etwa, wo Jagdwild zu finden und wie es zu töten sei. 

Der französische Prähistoriker Jean Clottes wiederum glaubt, dass die Bilder praktisch ausschließlich aus religiösen Gründen gemalt wurden, wobei die Höhlen als eine Brücke zwischen der realen Welt und dem Reich der Geister und Götter fungierten. Für andere Wissenschaftler sind die Gemälde reiner Selbstzweck, die Menschen der Steinzeit zeichneten eben, was sie so beschäftigte.

Höhle, Lascaux
©APA/AFP/PHILIPPE LOPEZ / PHILIPPE LOPEZ

Was auf den ersten Blick doch schon verdächtig nach Kunst klingt, nicht? L’art pour l’art und so. Während die Tatsache, dass Kunst religiös motiviert – und in vielen Fällen auch finanziert – wurde, zu den ganz großen künstlerischen Highlights seit der Renaissance geführt hat.

Wie auch immer, es klingt erstaunlich ähnlich wie die Diskussion, die oft noch immer um zeitgenössische Street-Art und die Sprayer dahinter geführt wird. Und ist doch  typisch für eine Gesellschaft, in der jede Art von Kunst noch immer beinahe verbissen in „U“- und „E“-Schubladen gezwängt wird. 

Old walls of Knossos near Heraklion. The ruins of the Minoan palaces is the largest archaeological site of all the palaces in Mediterranean island of Crete, UNESCO tentative list.

Im kretischen Palast von Knossos finden sich etliche "echte" Freskos

©Getty Images / Gatsi/IStockphoto.com

Da Vinci war kein „Maurer“

Die ebenso wie ihre steinzeitlichen Vorgänger namenlosen minoischen Künstler, die vor etwa 3.500 Jahren die geniale Idee hatten, ihre Farbpigmente auf den noch feuchten Putz der Mauer aufzubringen, und sie so untrennbar mit der Wand zu verbinden, waren in diesem Sinne wahrscheinlich Kunsthandwerker. Schufen aber Werke, die noch heute durch ihre Schönheit überwältigen. Ebenso wie später die Römer, die diese Technik des „Fresco“, also des Malens auf den „frischen“ Verputz, perfektionierten.

Die Römer perfektionierten die "fresco" Technik

©APA/AFP/PRESS OFFICE OF THE POMPEI ARCHA/HANDOUT

Denn, während wir heute ein wenig lässig jedes Wandgemälde gern als „Fresko“ bezeichnen, trifft das keinesfalls auf alle zu. Es ist nur die beständigste Art, Wände und Mauerwerk aller Art bunt zu gestalten. Weshalb wir heute leider nicht mehr sehen, wie bunt die Antike tatsächlich war, denn die Farbe von den Tempeln, Statuen und Reliefen, die ebenfalls alle bemalt waren, ist längst verblichen und abgewaschen. 

Und leider zeigen uns auch aktuelle Film-Großproduktionen wie „Those about to Die“ (amazon prime) und der mit Spannung erwartet zweite „Gladiator“ von Ridley Scott nicht, wie fantastisch diese Welt wirklich ausgesehen hat. Aber das ist eine andere Geschichte ...

Picture The Last Supper by Leonardo da Vinci

Kein Fresko: Leonardo da Vincis „Abendmahl“ ist das vielleicht berühmteste Wandgemälde der Welt. Aber der Meister mochte die Fresko-Technik nicht 

©Getty Images/TravelFlow/istockphoto

"Das letzte Abendmahl“, eines der berühmtesten Wandgemälde der Welt, ist also gar kein Fresko. Weil Leonardo da Vinci, schon Künstler und nicht mehr Kunsthandwerker, keine Geduld dafür hatte, sich vor dem Malen noch als Maurer zu betätigen und einen schönen Verputz anzubringen. Er verwendete einen Mix aus Tempera- und Ölfarben, was zur Folge hatte, das sein Gemälde seit inzwischen fast 500 Jahren praktisch kontinuierlich restauriert wird.

Frau mit Taube, Fintan Magee

Der australische Maler Fintan Magee bei der Arbeit an der Wand des Vienna International Centre

©UNIS Vienna

Street-Art-Festival in Wien

Auch Fintan Magee malte seine Frau mit Taube „secco“ an die Wand des International Centre. 1.000 Quadratmeter frisch zu verputzen wäre dann doch ein wenig zu weit gegangen. Es wurde aber natürlich genau analysiert, welche Acrylfarben auf dem Untergrund die bestmögliche Beständigkeit garantieren, wie Jakob Kattner vom Kulturverein „Calle Libre“, der das Gemälde gemeinsam mit der australischen Botschaft und dem „United Nations Office at Vienna“ möglich gemacht hat. 

Calle Libre Street Art Festival

120 graue Wiener Wände wurden dank des „Calle Libre Street Art Festivals“ schon verschönt. Wie diese in der Jägerstraße

©Kurier/Gerhard Deutsch

Ab 31. August organisiert der Verein das mittlerweile elfte „Street Art Festival“ mit Workshops und internationalen Größen der Graffiti-Szene. 120 Wände wurden im Lauf dieser Zeit in Wien  schon bemalt – zehn neue kommen heuer dazu. 

Denn Farbe bringt Freude in die Stadt – das wussten schon die alten Römer.

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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