Tradwives: Instagram-Hausfrauen am Herd – mit Millionenpublikum

Junge Frauen, die mit Hingabe für ihre Männer kochen, fluten soziale Medien. Dahinter steckt mehr als die Sehnsucht nach traditionellen Werten.

"Ich überrasche meinen Mann mit etwas Leckerem zu essen ...", säuselt die Mittzwanzigerin, während sie, ein Neugeborenes auf dem Arm, Getreidekörner in ihre kleine Mühle füllt. Das Mehl wird selbst gemacht, so wie alles andere: Butter, Frischkäse, sogar Zucker stellt Simha Lily, so nennt sich die Deutsche auf Tiktok und Instagram, in ihrer Landhausküche her – und Hunderttausende sehen zu.

Ihre "Reels", wie die kurzen, schnell geschnittenen Videos auf Instagram heißen, entsprechen dem "Tradwive"-Trend, der sich seit Beginn der Pandemie rasant in den sozialen Medien ausbreitet.

Junge Ehefrauen zaubern – adrett gekleidet und geschminkt – vor ihren Kameras Mahlzeiten für (den außer Haus arbeitenden) Mann und Kinder. Am besten "from scratch" und kommentiert mit samtweicher Stimme, sodass die Zuseherin vor dem Smartphone-Bildschirm rasch in einen tranceähnlichen Zustand verfällt.

Die Rollen sind klar verteilt: Sie ist der "Homemaker", er der "Provider". Kinder und Ehering sind für den häuslichen Lebensstil nicht zwingend notwendig, wie der Subtrend der "Stay-at-home-girlfriends" beweist. 

"Zuerst mach’ ich mich hübsch für ihn, räume die Wohnung auf und dann ist meistens auch schon Mittagszeit, also bereite ich ihm das Mittagessen zu und überleg’ mir noch, was ich für ihn backen kann", beschreibt die 27-jährige Carolina Tolstik, die sich online Malischka nennt, ihren Tagesablauf. Das mag auf den ersten Blick wie eine Parodie wirken (vor allem, wenn sie ihrem Freund Blinis mit Blattgold kredenzt), ist aber völlig ernst gemeint.

Was bedeutet ...

Tradwive?
Kurzform von "traditional wive", traditionelle Ehefrau. Konzentrieren sich auf den Haushalt, die Erziehung der Kinder und die Unterstützung ihres Ehemanns

From scratch?
Übersetzt "von Grund auf". Beim Kochen wird auf frische, rohe Zutaten zurückgegriffen anstelle von Fertigprodukten. Butter bis Senf werden selbst gemacht

Stay-at-home-girlfriend?
Der Mann ist Hauptverdiener, die (unverheiratete) Partnerin kümmert sich vor allem um sich selbst und den Haushalt 

Reizvolles Konzept

Aussagen wie diese polarisieren: Neidvolle Männer und bewundernde junge Frauen sind in den Kommentarspalten ebenso zu lesen wie Beschimpfungen und Vorwürfe des Antifeminismus.

"Tradwives werten unbezahlte Care-Arbeit durch die ästhetische Darstellung auf – sie sind Teil eines Trends zur Nostalgie, einer Sehnsucht nach Entschleunigung", erklärt die Soziologin Viktoria Rösch, die an der TU Dresden zu Genderrollen und rechten Influencern forscht, die Faszination. "Fehlende Betreuungsmöglichkeiten führen dazu, dass Frauen neben ihrer Lohnarbeit auch Care-Arbeit leisten. Sich wie Tradwives auf einen Bereich zu fokussieren, ist für viele junge Frauen eine Ausflucht aus der potenziellen Doppelbelastung."

Auch eine Nähe zu rechten Parteien wird den Tradwives immer wieder unterstellt. Kürzlich empörte die AfD mit einem Posting, in dem die "ideale Frau" beschrieben wird: sorgt sich um Mann und Kinder, hat keine Piercings und Tattoos, kocht und putzt und verzichtet auf eine stressige Karriere. "Tradwives passen mit ihrem Lifestyle in das politische Programm von Rechtspopulisten und extremen Rechten", weiß Rösch. "Sie selbst sind zumeist betont unpolitisch, doch bieten sowohl ideologische als auch personelle Überschneidungen zur extremen Rechten. Einige Tradwives in den USA haben auch ganz offensiv Donald Trump unterstützt."

Tradwive, Hausfrau, Unternehmerin

Die US-Amerikanerin Estee Williams, die optisch an eine Darstellerin der 60er-Jahre-Serie "Mad Men" erinnert, verknüpft ihren scheinbar harmlosen Weibchen-Content etwa mit Forderungen für ein Abtreibungsverbot. Hannah Neeleman alias @ballerinafarm, die vielleicht erfolgreichste Tradwive auf Instagram, ist bekennende Mormonin und hat mit 34 bereits acht Kinder. Ihre Videos, in denen sie sich als naturverbundene Überdrüber-Hausfrau inszeniert, werden millionenfach geklickt und sind zu einem lukrativen Geschäftsmodell geworden.

Auch Nara Aziza Smith, 23-jähriges Model mit Ehemann und drei Kindern, avancierte mit ihren Kochvideos in extravaganter Kleidung zum Social-Media-Superstar. "Insbesondere die erfolgreichen Tradwives stecken viel Zeit in das Erstellen ihrer Inhalte. Einige verdienen damit Geld und sind Unternehmerinnen", sagt Rösch. "Wir sehen also einen Widerspruch zwischen der Darstellung als reine Hausfrau und dem Dasein als erfolgreiche Influencerin." Auch Stay-at-home-girlfriend Carolina Tolstik verdient mit Instagram-Videos vom Kochen, Backen und Bügeln inzwischen eigenes Geld. In ihren erlernten Beruf als Lehrerin möchte sie nicht zurückkehren.

Christina Michlits

Über Christina Michlits

Hat Theater-, Film- und Medienwissenschaften studiert. Nach Kennenlernen des Redaktionsalltags bei Profil und IQ Style, ging es unter anderem zu Volume und dem BKF. Seit 2010 bei KURIER für die Ressorts Lebensart und Freizeit tätig. Schwerpunkte: Mode, Design und Lifestyle-Trends.

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