Schauspieler Thomas Schubert: "Plan B gab es nicht"

Für sein Debüt gewann er den Österreichischen Filmpreis. Jetzt spielt er im neuen Film von Josef Hader. Ein Gespräch über die Provinz, schiefgegangene Träume und seine steile Karriere.

Thomas Schubert kommt eine Stunde zu spät, aber das macht nix. Termin verschwitzt, dann Zahnarzt, egal: auf ihn wartet man gerne. Cool im Trenchcoat, Flinserl im Ohr, Halsketterl, wie gemacht für das legendär abgerockte Wiener Café Weidinger mit seinen Billardtischen. Doch wir sind da für ein Frage-Antwort-Spiel. Thema: "Andrea lässt sich scheiden", der neue Film von (und mit) Josef Hader

Birgit Minichmayr spielt eine Polizistin, die ihren Ex-Mann tot fährt und danach Fahrerflucht begeht. Und dann erlebt, wie ein anderer für sie bereitwillig die Schuld übernimmt. Eine Tragikomödie in der Provinz. Schubert gibt einen Polizisten. 

Vor elf Jahren nahm er zufällig an einem Casting teil und bekam die Hauptrolle in Karl Markovics’ "Atmen". Seitdem lieben ihn die Kritiker und er spielt für Top-Regisseure Christian Petzold (für dessen "Roter Himmel“ wurde er für den Europäischen Filmpreis nominiert) oder in Netflix-Serien wie "King of Stonks".

Thomas, Sie haben Mörder dargestellt und Hochstapler. Jetzt geben Sie den Normalo-Dorfgendarmen. Wie langweilig war es für Sie, das zu spielen?

Überhaupt nicht langweilig. Beim Lesen nahm die Figur für mich sofort Gestalt an. Es hat Spaß gemacht, einmal etwas ganz anderes auszuprobieren: nämlich so nah wie möglich ans Leben und echte Menschen ranzurücken.

Mussten Sie sich der Figur speziell annähern, wie an einen Charakter geschrieben von Christian Petzold, oder konnten sie die Rolle quasi frei von der Leber weg spielen?

Die Herangehensweise war völlig anders. Bei Petzold sind die Figuren literarisch. Wir hingegen imitieren das Leben und vergrößern gezielt einzelne Punkte und führen sie zur Pointe.

Der Film ist auch eine Art Psychogramm der österreichischen Provinz. Inklusive Dorfdisco, gottverlassenen Landstraßen, grantigen Menschen. Ist Ihnen die Enge der Provinz geläufig? 

Ich bin natürlich ein Stadtkind, bin im 22. Bezirk aufgewachsen. Österreich ist aber zu 90 Prozent Land. Der Bauer stand für mein Gefühl immer im Zentrum des kulturellen Geschehens, als Bauer war man wer. Das hat sich verändert. Es gibt einen Umbruch im Landleben. Austausch findet auch außerhalb des Hofes, der Familie, des Dorfes statt. So einen Ort sucht Birgit Minichmayr im Film.

Thomas Schubert über Josef Hader: „Es ist faszinierend, ihn bei der Arbeit zu beobachten“. Der Film „Andrea lässt sich scheiden“ läuft ab 23.2. im Kino

©KURIER/Jeff Mangione

Wie findet ein Kind aus der Donaustadt wie Sie Zugang zum Landleben?

Der 22. Bezirk in Wien ist bereits sehr ländlich. Die Familie mütterlicherseits ist zudem in Niederösterreich, meine Mutter selber in Wien groß geworden. Man sucht nach Ähnlichkeiten und findet sie. Auch in Wien ist fast jeder Bezirk eine eigene Subkultur. Wien ist eine Stadt, aber die Menschen führen oft völlig verschiedene Leben. Wir hingen als Jugendliche im Einkaufszentrum ab oder haben uns im Park besoffen. Im siebten Bezirk trifft man sich jeden Tag im Bobo-Café. Dasselbe Spiel, nur unterschiedliche Kulturen.

Das Land wird im Film gern als Schauplatz schief gegangener Träume und verpassten Glücks porträtiert. Zu unrecht oder eine plausible Bestandsaufnahme?

Kommt drauf an, wen man fragt. Viele gehen im Landleben auf und lieben es. Andere wollen weg. Ab dem Moment, in dem man sich etwas anderes für sein Leben wünscht, gibt es kaum Optionen. Außer eben wegzugehen. Wer bleibt und aus dem üblichen Verhaltensraster rausfällt, kann irre schnell vereinsamen. Das mag dazu führen, dass manche sich alleingelassen fühlen und immer sonderbarer werden. Es bringt aber auch besondere Charaktere hervor.

Ich wollte immer in die Wissenschaft. Das Problem ist, ich besitze gar kein Talent wissenschaftlich zu denken. Deswegen war das von Anfang an ein depperter Plan.

Die Frauen ziehen weg, die Männer werden komisch, heißt es im Film. Verursacht das Landleben unter Männern mitunter besonders große Beschädigungen? 

Die Männer erben oft den Hof oder den Betrieb. Sie sind verhafteter in den Traditionen und der Familie. Die Frauen sind im Durchschnitt gebildeter, finden weniger Arbeitsmöglichkeiten – und ziehen weg. Was es dagegen ausreichend am Land gibt, sind wahrscheinlich Waffen. Kürzlich habe ich gelesen, wie hoch der Anteil jener in Österreich ist, die eine Waffe besitzen. Ich war erstaunt. Fad im Schädel und ein Gewehr, eine explosive Mischung. In der Stadt gibt es ebenfalls Sonderlinge, sie fallen vielleicht früher auf. Dann kann auch früher interveniert werden.

Ein Auto ist das Um und Auf am Land. Wie identifikationsstiftend ist es Ihrer Ansicht?

Ich merke, wie das Auto als Persönlichkeitsmerkmal deutlich an Kraft verliert. Früher sagte es etwas aus, welche Automarke du fährst. Das interessiert heute kein Schwein mehr. Allein daran ob man elektrisch oder mit Verbrennermotor fährt, entzünden sich höchstens noch die Geister.

Der Film beginnt als Berlinale-typischer, tragischer Arthouse-Film, wird dann zur Tragikomödie. 

Die Tragikomödie hat lange Tradition in Österreich. Das macht unseren Humor aus, ganz nach dem Motto: Alles ist beschissen, aber ändern wird sich eh nix. Diese Haltung zum Leben ist auch eine Überlebenstechnik. Man akzeptiert die eigene Ohnmacht.

Wie ist Josef Hader als Regisseur? 

Es ist faszinierend, ihn bei der Arbeit zu beobachten. Er spielt im Film mit und ist gleichzeitig Regisseur, eine Mammutaufgabe. Er bleibt stets elegant dabei. Er ist sehr gut vorbereitet, jedoch gleichzeitig in der Lage, Kontrolle abzugeben und Improvisation zuzulassen. Er besitzt eine große Reife als Filmemacher.

Schubert: „Heute interessiert es kein Schwein mehr, welche Automarke du fährst“

©KURIER/Jeff Mangione

Sie haben einen Freund zum Casting begleitet, wurden so für Ihren ersten Film engagiert, bekamen den Österreichischen Filmpreis dafür und arbeiten seitdem erfolgreich als Schauspieler. Glauben Sie an Schicksal?

Ich wehre mich immer etwas gegen den Begriff, weil er ein wenig impliziert, dass einem Erfolg in die Wiege gelegt wurde – anderen hingegen Erfolglosigkeit.

Sie hatten nicht vor, Schauspieler zu werden. Wo hätte Ihr Weg Sie hingeführt? 

Ich wollte immer in die Wissenschaft. Das Problem ist, ich besitze gar kein Talent oder die Fähigkeit, wissenschaftlich zu denken. Deswegen war das von Anfang an wohl ein depperter Plan. Und Plan B gab es nicht. Das mit dem Schauspielen ist mir passiert. Aber ich wusste sofort, dass das der Menschenschlag ist, mit dem ich arbeiten will.

Billard um halb vier: KURIER Freizeit-Redakteur Alexander Kern und Thomas Schubert

©KURIER/Jeff Mangione

Wie böse ist Ihnen Ihr Freund, dass er Sie zu besagtem Casting gebracht hat, Sie nun aber die große Karriere machen?

Er ist mir gar nicht böse. Er hat seinen Weg anderswo gefunden und hat ein super Leben und einen super Job.

Es hagelt Kritikerlob für Sie. Warum läuft alles so am Schnürchen bei Ihnen?

Ich frage mich das selbst. Ich hatte auch das Glück, dass Regisseure und Regisseurinnen mit mir arbeiten wollten, die etwas Neues mit mir probieren mochten. So kam ich nie in die Schiene, Altbekanntes wiederholen zu müssen. Ich konnte mit den Regisseuren und ihren unterschiedlichen Arbeitsweisen mitwachsen. Ich habe wohl gut besetzt, was vorher gefehlt hat. Was immer das auch war.

Thomas Schubert

Thomas Schubert

Thomas Schubert wurde 1993 in Wien geboren. Als Laiendarsteller bekam er die Hauptrolle in Karl Markovics „Atmen“ und gewann den Österreichischen Filmpreis. Spielte in „Das Sacher“, „Das finstere Tal“, „Wilde Maus“, der Netflix-Serie „King of Stonks“ und der Verfilmung von Robert Seethalers „Ein ganzes Leben“.

Welche Schauspieler bewundern Sie?

Ich bin ein großer Fan von Nicolas Cage. Wie er spielt, das ist total mutig. Wie ein Jazzmusiker, ohne vorgefertigten Plan, der danach aber vollends aufgeht.

Und wohin soll Ihre Reise Sie noch führen?

Ich habe immer mehr das Verlangen, eigene Projekte zu starten. Es gibt in Österreich Bedarf nach Filmen fern jeder Förderung. Ich mag die New-Hollywood-Filme der Siebziger. Da wurden mit kleinen Budgets tolle Sachen gedreht. Das ist heute wieder möglich.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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