
Slim Aarons: Fotograf des Jetsets, Regisseur des ewigen Sommers
Schöne Menschen in schönen Momenten, meist im Sommer: Mit Bildern vom Müßiggang des Jetsets schuf Slim Aarons Ikonen. Dafür erfand er sich neu.
Sie sahen gut aus, sie wussten es – und sie ließen sich dabei fotografieren: „Attraktive Menschen, die attraktive Dinge an attraktiven Orten tun“, nannte der US-Fotograf Slim Aarons seine Sujets.
Er zog ab Ende der 1940er-Jahre mit der Kamera dorthin, wo der Jetset Champagner schlürfte, Sommersalat aß und sich in der Sonne aalte – ob in Acapulco, in der Karibik, auf Capri oder an der Croisette von St. Tropez.
Seine Bilder zeigten die damals neue globale Schickeria in ihrer natürlichen Umgebung: auf Jachten, am Pool, im Abendkleid auf der Terrasse. Politik, Film, Adel, Kunst – Hauptsache fotogen und vermögend.
Slim Aaron zeigte das unbeschwerte Leben des Jetset
Es war eine Ära, in der der Begriff „Lifestyle“ noch nicht sehr weit verbreitet war, aber gelebt wurde. Aarons Aufnahmen wurden zu visuellen Blaupausen für ein unbeschwertes Leben – und sind heute beliebter denn je. Regelmäßig tauchen sie in der heißen Jahreszeit auf. Schließlich wirken sie wie Urlaub fürs Auge: warm, cool, leicht, nostalgisch. Ein ewiger Sommer.

Urlauber auf Bora Bora (Mi.), aufgenommen im Mai 1989
©Getty Images/Slim Aarons/getty imagesAarons Erfolgsrezept? Sein Zugang zu den Menschen. „Er wurde nicht nur in ihr Leben aufgenommen, sondern als Freund betrachtet und hielt so einen Moment fest, wie es nur wenige andere taten“, sagt Künstler und Kurator Lee Wells, der über seine IFAC-Galerien in New York und Athen „Hunderte von Aarons-Drucken“ verkauft hat, einmal der Financial Times.
Poolside Gossip: Das Foto sieht nach Spaß aus
Dabei entstand vermutlich eine der ikonischsten Bilderserien, die jemals an einem Swimmingpool geschossen wurde: „Poolside Gossip“, aufgenommen 1970 in Palm Springs. Die Kulisse ist ein architektonischer Traum aus Glas und Geradlinigkeit – das berühmte Kaufmann Desert House, entworfen von Richard Neutra. Die Szenerie besteht aus perfekt frisierten Damen und gut gekleidete Herren. Alle sind auf Liegestühlen oder stehend im Gespräch vertieft. Der Pool glitzert, im Hintergrund thronen die San Jacinto Mountains – wie bestellt.

„Poolside Gossip“, 1970: U. a. mit Designer Raymond Loewy (Mi. stehend), Nelda Linsk (gelb), Frau des Kunsthändlers J. Linsk
©Getty Images/Slim Aarons/getty imagesGastgeberin war Nelda Linsk, Gattin eines New Yorker Kunsthändlers, hatte an diesem sonnigen Tag ein paar Freunde eingeladen. Jahrzehnte später wurde sie von der New York Times gefragt, warum gerade dieses Bild Kultstatus erlangt habe. Neldas Antwort: „Ich glaube, es lag an unserem Lebensstil. Die Berge, die Sonne, der Pool, die entspannte Atmosphäre – jeder konnte sich das Foto ansehen und denken: Oh, das sieht nach Spaß aus.“
Und Spaß wollte Slim Aarons auch bei seiner Arbeit haben. Ursprünglich war er Pressefotograf im Zweiten Weltkrieg. Er sah Elend, Zerstörung, Grauen. Nach seiner Rückkehr sehnte er sich nach dem Schönen und dem Luxus. „Ich war durch genügend Konzentrationslager und ausgebombte Dörfer gewandert. Ich hatte im Schlamm geschlafen und war beschossen worden“, sagte er. „Ich schuldete mir ein bequemes, luxuriöses Leben. Ich wollte auf der Sonnenseite der Straße leben.“

Eine Jetset-Lady und ein Papagei im August 1979 beim Sonnenbad im italienischen Positano.
©Getty Images/Slim Aarons/getty imagesEinen Auftrag des Life-Magazins, den Koreakrieg zu dokumentieren, lehnte er mit den Worten ab: „Ich fotografiere einen Strand nur noch, wenn eine Blondine darauf zu sehen ist.“
Aarons legte sich eine andere Vergangenheit zurecht
Und für die Sonnenseite ließ er sich einiges einfallen. Zum sonnigen Leben gehörte für Slim Aarons nicht nur die richtige Linse – sondern auch die richtige Legende. Und so erfand er sich kurzerhand selbst: Als charmantes Waisenkind von einer Farm im idyllischen New Hampshire, von rustikaler Herkunft, aber mit einem untrüglichen Sinn für Stil. Klingt gut, war aber glatt erfunden.
In Wirklichkeit stammte George Allen Aarons – so sein bürgerlicher Name – von der Lower East Side in New York. Er stammte von jüdischen Einwanderern aus Litauen ab. Der Vater verschwand früh, die Mutter wurde später in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Kein Stoff für Hochglanzmagazine, keine ideale Visitenkarte für Einladungen in die Sommerhäuser der High Society. Seine Erzählung zimmerte er dann so gut zurecht, dass selbst seine Tochter und seine Ehefrau erst nach seinem Tod im Jahr 2006 die Wahrheit erfuhren.
Der Fotograf war, wo das Leben war
Dem Life-Magazin half er Ende der 1940er beim Aufbau des römischen Büros. Von dort war es nicht weit zu den Refugien des internationale Jetsets. Immer dort, wo das Leben leicht und die Drinks kühl waren, drückte Aarons ab – und definierte nebenbei ein ganz neues Genre: die elegante Kunst, das schöne Leben zu zeigen, ohne es zu sehr zu hinterfragen.
Aarons lernte auf seinen Pressereisen Humphrey Bogart, Truman Capote, Tony Curtis und viele mehr kennen. Er gefiel durch seinen Charme – und das öffnete ihm die Türen. „Sie luden mich zu ihren Partys ein, weil sie wussten, dass ich ihnen nichts antun würde. Ich war einer von ihnen.“

Kirk Douglas beim Wasserskifahren
©Getty Images/Slim Aarons/getty imagesEs war ein System von Geben und Nehmen. Aber leben wollte er offenbar nicht wie diese Menschen: „Er hatte absolut kein Verlangen, am Ende des Tages mit seinen Motiven abzuhängen, und er erwartete keine Einladungen auf die Jacht oder in den exklusiven Club. Er arbeitete nach einem engen Zeitplan und wollte so schnell wie möglich zurück auf seine Farm“, sagte seine Assistentin Laura Hawk laut Guardian.
Erstaunlich, dass die Bilder trotzdem wie eine Bewunderung dieser Gesellschaft wirken. „Environmental Portraits“ heißen jene Bilder, die die Protagonisten in ihrem Wohlstand zeigen. Umgebung und Details sind so wichtig wie das Motiv.
Der Fotograf verteilte Punkte
Der englische Autor Nick Foulkes schrieb einmal in einem Beitrag für The Rake: „Aarons wirkte zwar lässig und charmant, ging aber mit fast wissenschaftlicher Disziplin an seine Arbeit heran. Er erzählte mir, dass er für die Bildkomposition ein Punktesystem hatte, das ungefähr so ablief: ein edles Modell (ein Punkt), bei häuslicher Beschäftigung, etwa beim Frühstücken (ein Punkt), mit einer schönen Gattin (ein Punkt), im höhlenartigen Inneren eines Schlosses oder Herrenhauses (ein Punkt). Andere Objekte brachten Bonuspunkte“. Das konnten ein Hubschrauber oder ein Hund sein.
Was bei all der Opulenz fast überrascht: Slim Aarons’ Welt war glamourös, aber nie grell. Wer in seinen Bildern Champagner trank, tat das aus simplen Gläsern – nicht aus goldenen Schampuskelchen. Schmuck blitzte dezent, Logos spielten keine Rolle. Kein Vergleich zur heutigen Inszenierungssucht der Influencer, Kampfsportler oder windigen Coaches, die sich so auf Ibiza, in Dubai und sonst wo tummeln. Aarons’ Jetset wirkte – zumindest im Bild – zurückhaltend. Man war reich, aber man protzte nicht so viel. Selbstinszenierung war auch damals ein Spiel, aber eines mit besseren Manieren und einem sicheren Gespür für Ästhetik.
Und bei aller Leichtigkeit auf den Bilden: „Er ist immer einen Tag früher losgefahren und hat recherchiert“, erklärte Slim Aarons' Tochter Mary. „Wenn es ein Shooting am Markusplatz war, hat er sich informiert, wann die Tauben gefüttert wurden. Er hatte keine Stylisten oder Lichttechniker – er hat selbst recherchiert.“
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