Der Schanigarten und warum es in Wien so wenig Psychiater gibt
Wiens Bevölkerung liebt die Tische und Sessel. Und daher gibt es auch allerhand Anekdoten aus den Schanigärten.
Man muss schon in Friedrich Torbergs „Tante Jolesch“ nachschlagen, um in Wien einen Gegner des Schanigartens zu finden: Den gebildeten Friedrich Eckstein, zu dessen literarischen Stammtischen im Café Imperial die Crème de la Crème der schreibenden Zunft kam. „Mochte die Luft draußen noch so erfrischend sein und drinnen noch so stickig – der alte Eckstein blieb hart und der Stammtisch blieb drinnen.“
Einmal stürzte ein Hotelgast aus dem dritten Stockwerk. Und „war auf einem der Terrassentische gelandet – glücklicherweise auf einem leeren, und überdies kam er mit dem Leben davon“, wie Torberg schrieb. Als Eckstein im Hotel eintraf und davon erfuhr, meinte er lapidar und wenig empathisch: „Ich hab ja immer gesagt, man kann nicht draußen sitzen.“
Dass Eckstein mit seiner Meinung ziemlich alleine ist, zeigt sich besonders bei den ersten Sonnenstrahlen – und seien sie noch so schwach. Die Schanigärten vor den Lokalen sind dann bestens gefüllt. „Das ist wie im Theater in der ersten Reihe sitzen“, meint Soziologe Roland Girtler. „Man sieht viel und wird gesehen.“ Ein Besuch bei diesen behördlich zu genehmigenden Tischen und Sesseln auf öffentlichem Grund habe eine ganz wichtige Funktion. „Der bringt Abwechslung vom Alltag. Man kommt viel leichter ins Gespräch mit anderen – etwa mit dem Ministerialbeamten, der gerade vorbeigeht.“
Eine Einschätzung, die wohl auch Wiens Alt-Bürgermeister Michael Häupl teilt.
Wo gemauschelt wird
Seine Auftritte zur Eröffnung der Schanigartensaison waren alljährlich ein kleines Spektakel. Wenn er mit Gastro-Vertretern vor einem Kaffeehaus aufmarschierte, erwarteten sich Wiens Kommunal-Journalisten launige Sprüche. Und Häupl lieferte. 2013 konstatierte er den Gärten südliches Flair. Aber sie brächten nicht nur ein gewisses Dolce Vita in die Stadt: „Es hat schon seinen Grund, dass die Anzahl der Psychiater in Wien relativ klein ist.“ Und überhaupt: auch für die Politik sei das Kaffeehaus essenziell. „Wo würden wir denn sonst mauscheln?“, scherzte er.
Laut Peter Friese, Patron des Schwarzen Kameel, war es Häupls Vorgänger Helmut Zilk, der Schanigärten in der Stadt forciert hat, um internationales Flair in das damals noch graue und – mit wenigen Ausnahmen – fade, wenig belebte Wien zu bringen. Es habe eigene Förderungen fürs Aufstellen gegeben. Der Schanigarten sei beim eleganten Publikum auch eher verpönt gewesen. „So wie man das noch in Portugal sieht, wo man sich drinnen wie die Sardinen zusammendrängt.“
Im Schwarzen Kameel wollte man damals draußen eigentlich Stehtische haben. Doch das war nicht erlaubt. „Wir haben trotzdem einen zusätzlich aufgestellt, dort ist Zilk gerne gestanden.“ Doch der Tisch war den Beamten ein Dorn im Auge, sie forderten das Lokal auf, diesen zu entfernen. „Einmal ist der Zilk mit dem Bundespräsidenten an diesem Tisch gestanden, da wurde ihm dieser Bescheid vorgelegt“, erinnert sich Friese. „Das geht gar nicht!“, habe der damalige Bürgermeister gepoltert, der dafür bekannt war, keine Angst vor Beamten zu haben. Beim Schwarzen Kameel wollte man den Konflikt aber lieber nicht austragen – und trug den Tisch weg. Die Gäste hat das wenig gestört – sie lieben das Sitzen. Der beliebteste Platz im Kameel? „An der Mauer, natürlich mit Blick auf die Straße“, sagt Friese.
Den Ursprung haben die Schanigärten um 1750. Kaffeehaus-Besitzer Gianni Taroni stellte bei seinem Lokal am Graben kleine Tische und Sessel auf und servierte eine Jause. Diese Idee kam bei den Wienern, aber auch bei ausländischen Besuchern gut an, wie die Historikerin Ingrid Haslinger herausgefunden hat. So berichtete der Deutsche Wilhelm Fischer in seiner „Reisen durch Österreich, Ungarn …“ im Jahr 1803 seinen Landsleuten: „Eine große Annehmlichkeit waren die Stühle, welche der Reihe nach vor einem Kaffeehaus, beim Taroni genannt, an den Häusern hin standen.“ Das Vergnügen war nur bestimmten Personen vorbehalten: „Da die angebotenen Getränke sehr teuer waren, konnten nur betuchte Leute diese Stätten aufsuchen“, erklärt Haslinger. Am Graben und am Kohlmarkt entstanden „Limonadehütten“, die neben Getränken aus Orangen und Zitronen auch Gefrorenes anboten.
Diese Häuschen waren damals so bekannt wie die Grabennymphen, Prostituierte, die in der Nähe auf Kundenfang gingen. Die Gäste saßen im Freien oder konsumierten die Erfrischungen im Gehen – einige Herren werden verschämt geschaut oder den käuflichen Damen verstohlene Blicke zugeworfen haben. Was wir sicher wissen: Zu den Besuchern der Limonadenzelte zählten Mozart und sein Lieblingssänger Michael O’Kelly. Was sie dort getrunken haben, ist nicht überliefert. Aber in seinen Memoiren hat O‘Kelly zumindest darüber berichtet, dass Mozart für Punsch schwärmte.
Als die Umgebung um die Ringstraße fertig war, war es en vogue, sich bei warmen Temperaturen nach draußen vor die Kaffeehäuser zu setzen. Und auch Gastgärten wurden immer beliebter. Viele waren schön gewandet, einige kamen in Galauniform. Aber das war nicht immer schön. Soziokulturelle Unterschiede haben sich mit einem Blick ausmachen lassen.
Joseph Roth notierte Ende des Ersten Weltkriegs im Essay „Eine Kaffeehausterrasse und noch eine“: „In der ersteren sitzen erwachsene Kriegsgewinner und schlürfen Eis und spielen Buki oder Tarock. Das ist die legale, anerkannte, gesetzlich geschützte Terrasse.“ So weit, so idyllisch. „Vor dieser Terrasse eine etwas elementare, improvisierte: deren Besucher ohne Bügelfalten, noch nicht erwachsene Kriegsgewinner, sitzen nicht auf Korbstühlen, sondern teils auf dem Pflaster, teils auf dem sehr schwindsüchtigen Rasen unter dem Schatten eines Ringstraßenbaumes.“
Die Künstler saßen im Kaffeehaus und den Schanigärten nicht nur, um zu denken und zu beobachten, manchmal entwarfen sie die Orte auch. 1911 wurde der Architekt Josef Zotti, ein Schüler des legendären Josef Hoffmann, mit der Gestaltung des Schanigartens des Café Museum am Karlsplatz beauftragt. Ästhetisch war das natürlich eins a.
Schweizerhäusllaubenzauber
Aber es gab auch Schanigärten, deren Gestaltung weniger auf Begeisterung stießen. Wie Historikerin Susanne Breuss herausgefunden hat, gefiel Architekt Clemens Holzmeister gar nicht, was da im öffentlichen Raum stand: „Da ist zum Beispiel das Café Sacher. Der so gut österreichisch klingende Name dieses Kaffeehauses ist hier mit einem Machwerk schlimmster Art belastet worden. Parfumierter, snobistischer Schweizerhäusllaubenzauber auf unserem guten Ring! Solche wahnsinnig gewordene ,Schanigärten’ mit schwülen Beleuchtungseffekten finden sich mehrere am Ring (...) ja sie sehen fast alle ähnlich aus, und die Menschen, meist solche, die besonders viel auf ihre eigene Fassade halten, fühlen sich recht wohl darin.“
Einer, der gerne sowohl am Ring als auch im Gastgarten des Schweizerhauses saß, war Arthur Schnitzler. „Gestern, mein Schatz, waren wir im Prater (wir vier: ICH, Loris [Hofmannsthal] – Salten – BeerHofmann) – haben wahnsinnig gedraht, sind nemlich im Schweizerhaus gesessen“, schrieb er an seine Geliebte Adele Sandrock. Dabei „ereignete sich auch nicht das geringste Stubenmädchen, und alle Backen blieben ungekniffen“.
Der Name
Die Herkunft des Begriffs ist nicht ganz geklärt. Eine Theorie besagt, dass viele Kellner in Wien Schani gerufen wurden, das sich von Jean ableitet. „Schani, bring den Garten hinaus“, sollen Wirte aufgetragen haben. Andere meinen, der Name geht auf den italienisch-stämmigen Johann Tarone zurück, der um 1750 im Freien Tische aufstellte. Man sprach von Giannis Garten.
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