Die Rückkehr der Schallplatte: 100 Jahre Musikgeschichte bei Gramola

Heute sind die Schallplattenverkäufe so hoch wie zuletzt in den 1990er-Jahren, und auch die Kassette feiert ein Comeback

Wirklich tot war die Schallplatte nie. Mit einem Marktanteil von unter einem Prozent verschwand sie aber für zwei Jahrzehnte fast in der Bedeutungslosigkeit. Heute liegen die Verkaufszahlen wieder auf dem Niveau der 1990er-Jahre und der Marktanteil bei über sechs Prozent.

Geschäft Gramola blieb erhalten

Den Anfang, das Beinahe-Ende und das jetzige Revival hat das Geschäft Gramola in der Inneren Stadt miterlebt. Während das gleichnamige Label die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre nicht überlebte, konnte sich der kleine Laden halten. Er existiert seit bald 100 Jahren am Graben 16 und wird in vierter Generation von der Familie Winter geführt.

„Zu Zeiten meines Großvaters musste noch ein Geschäftsdiener Schellackplatten zu den Kunden nachhause schleppen“, erinnert sich Inhaber Richard Winter. Inzwischen verkauft man Musik wesentlich kompakter, spezialisiert vor allem auf Klassik-CDs. Winters Sohn Roland ist im Familienbetrieb der „Anwalt“ der Schallplatten.

Schüler-Lehrer-Umkehr

Das Angebot an neu produzierten Platten hinke der Nachfrage aber hinterher, da viele Presswerke auf lange Zeit ausgebucht sind. Um die Nachfrage überhaupt decken zu können, hat man auch Second-Hand-Ware im Sortiment.

Zeitreise: Das Traditionsgeschäft von Richard Winter  für Klassik-Fans

©Daniel Jamernik

„Die Treiber des Booms sind junge Leute, zwischen 15 und 35 Jahren. Es findet eine Lehrer-Schüler-Umkehr statt. Die Älteren orientieren sich am Beispiel ihrer Kinder“, berichtet Winter. Stammkunden, die jahrzehntelang nur CDs kauften, würden nun wieder Schallplatten nachfragen. Für eine Plattensammlung der Mahler-Sinfonien geben manche auch gerne 300 Euro aus, statt 25 Euro für die CD-Sammlung.

Manche Cover wecken bei den Kunden alte Erinnerungen

©Daniel Jamernik

„Nur über einen Tonträger kann man sich Musik zu eigen machen: Mozart wird zu meinem Mozart, sobald ich ihn bei mir ins Regal stellen kann. Dann gehört er mir. Streaming ist immer nur ein Ausborgen“, erklärt Winter – er ist auch der zuständige Branchensprecher der Wirtschaftskammer – das Phänomen.

Musik aus der Kabine

Vor der Zeit der CD gab es im Gramola noch fünf Vorführkabinen. Manche Kunden verbrachten darin auch gerne zwei Stunden mit dem Hören von Platen. Wenn sich Sohn Roland durchsetzen kann, wird es im Shop bald wieder ein Vorführgerät geben.

Vinyl in Zahlen

Steigende Verkaufszahlen

Die heimischen Umsätze haben 10 Mio. Euro überschritten.
In den USA werden inzwischen mehr Platten als CDs verkauft

Beethovens CD-Standard

Sony legte laut Legende Beethovens 9. Symphonie (ca. 70 Minuten) als Maßstab für die Mindest-Spielzeit der CD fest

400.000 Vinyl-Schallplatten

wurden 2021 in Österreich verkauft

Ob der Betrieb weitere 100 Jahre bestehen kann, ist aber fraglich. „Das Mietrecht sieht bei einem Besitzerwechsel die Anhebung der Miete auf ortsübliche Preise vor. Diese sind durch den starken Zuzug internationaler Ketten in die Höhe geschossen.“ Der Weiterbetrieb würde sich dann nicht mehr rechnen.

Im März wird aus denselben Gründen Wiens älteste Parfümerie am Graben schließen. „Dann gibt es mit uns nur mehr zwei Traditionsgeschäfte. Wenn die weg sind, gehört der Graben vollständig den großen Ketten“, befürchtet Winter.

Vinyl und Kaffee

Neben rund 30 Tonträgergeschäften gibt es in Wien inzwischen Schallplatten-Cafés und die „Needle Vinyl Bars“. Noch einzigartig ist das „Beats & Beans“ in der Würffelgasse 4 in Rudolfsheim-Fünfhaus. Es ist Gasthaus und Plattenladen in einem.

Bei Daniel Wenko und Rene Herzog gibt es Live-DJs, Plattenverkauf und frische Küche

©Daniel Jamernik

Zur täglich frischen Küche gibt es Funk, Soul, Jazz und Hip-Hop. Dass Platten-Regale und DJ-Pult im urigen Gastraum nicht fehl am Platz wirkten, wäre sicher nicht jedem gelungen. „Das Lokal ist unaufgeregt und authentisch. Das schätzen die Leute. Zu unseren Gästen gehören 18-jährige Tiktoker genauso wie eine Gruppe von 70-Jährigen“, sagen die Inhaber Daniel Wenko und Rene Herzog.

Die beiden sind selbst Plattensammler und DJs, Herzog war zehn Jahre Küchenchef in Hotel Stephanie. Live aufgelegt wird im Lokal immer am Freitag und Samstag. Wer zum Stöbern kommt, findet bei „Beats and Beans“ sogar Musikkassetten. Auch sie feiern ein kleines Comeback – zumindest im Hip-Hop, wie die beiden Experten sagen: „Eine Platte oder Kassette zu hören, entschleunigt, weil man ein Album von Anfang bis zum Ende durchhört oder sich bis zur gewünschten Nummer vortastet.“

Als nächstes geplant sind Plattenflohmärkte im Schanigarten und ein DJ-Workshop als inklusives Sozialprojekt samt Silent Disco.

Verena Richter

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