Jane Campion im Interview: „Wie Frauen die Welt sehen, ist wichtig“

Starregisseurin Jane Campion drehte mit „Power of the Dog“ einen der meistprämierten Filme der Saison. Sie ist eine der erfolgreichsten Frauen im Filmgeschäft.

Mit ihrem Kommentar bei den Critics Choice Awards am 13. März setzte sie sich ordentlich in die Nesseln, als sie die Tennischampions Venus und Serena Williams lobte und dann hinzufügte: „… aber ihr müsst nicht gegen Männer antreten,“ – was natürlich falsch ist, denn die beiden spielten öfter gemischte Doppel. Campion entschuldigte sich sofort. Unbenommen ist, dass die neuseeländische Regisseurin, 67, die erste Frau ist, die den Hauptpreis in Cannes gewann, die Palme d’Or für „Das Piano“ im Jahr 1993.

Die meisten Ihrer Filme haben weibliche Protagonisten. Was zog Sie an diesem Film besonders an?

Jane Campion: Ich bin eine kreative Person. Ich kalkuliere nicht, ob eine Geschichte ein bestimmtes Geschlecht bevorzugt. Ich habe den Roman gelesen und gedacht, was für ein großartiges Stück Literatur. Seine Wirkung auf mich war stark, denn ich konnte dem Autor Thomas Savage die Welt, die er beschreibt, auch abnehmen. Ich glaubte ihm, dass er sie selbst erlebt hat. Dadurch konnte ich tiefer eintauchen. Vor allem der letzte Teil des Buches war ungeheuer spannend, und ich las bis zum Ende, was ich heutzutage eher weniger mache, weil mich die meisten Romane nicht so fesseln. Ich konnte danach die Geschichte nicht aus dem Kopf kriegen, sie grub sich in meine Psyche ein. Daher kaufte ich die Filmoption.

Sie sind bekannt für die Art, wie Sie Landschaften filmen, die auch immer eine sehr große Rolle spielen in Ihren Werken. Warum entschieden Sie, eine Geschichte, die im amerikanischen Westen stattfindet, in Neuseeland zu drehen?

Es gibt Teile in Neuseeland, die sehr leer und weit und unbewohnt sind. Ich glaube, das Montana von 1925 im heutigen Montana zu finden, ist sehr schwierig. Die neuseeländische Hawkdun Range und das Ida Valley sind wunderbare und vergessene Landschaften. Da kann man 360 Grad um sich schauen und null Zivilisation sehen. Das ist, wie wenn man auf einem Boot im Meer ist. Wir wählten eine Location, die den stärksten Wind hat, was etwas heißt, denn Neuseeland ist im Allgemeinen ein windiger Ort. Es war sehr schwierig, die Kulissen zu bauen und zu drehen. Manchmal hatten wir Probleme nicht umgeweht zu werden, aber der Wind sorgte auch für sehr ungewöhnliche Landformationen.

Jane Campion.

©REUTERS/MARIO ANZUONI
Es ist 12 Jahre her seit Sie Ihren letzten Kinofilm „Bright Star“ gemacht haben – Sie drehten seither TV-Serien wie „Top of the Lake“. Haben Sie überlegt, auch dieses Projekt als Serie anzulegen?

Ich arbeite sehr gern im Fernsehmedium, weil ich das Teamwork zwischen den verschiedenen Departments liebe, und dass ich sechs oder mehr Stunden Zeit habe, eine Geschichte zu erzählen. Aber ich habe hier entschieden, dass zwei Stunden perfekt und genug sind.

Außerdem ist mir aufgefallen, dass Netflix sehr viele Filme hat. Plus, die Disziplin, etwas in zwei Stunden zu erzählen nach meinen vielen Jahren im TV, war auch wieder spannend.

Ist nicht gerade ein Film, in dem die Landschaft so wichtig ist, ungeeignet für eine Streaming-Plattform, auf der sich die Leute alles auf dem TV-Bildschirm oder schlimmer, auf dem Laptop ansehen?

Netflix gibt Filmemachern wie mir ein Budget, mit dem ich meine Vision voll und ganz verwirklichen kann. Und glücklicherweise legen sie auf Kunst und Qualität wert. Und der Film läuft ja nicht nur auf der Plattform, sondern auch in Kinos. Mein Film ist weitläufig gedreht, aber er hat im Kern eine sehr intime Story. Ich hoffe, die Leute gehen dafür ins Kino. Kino ist mir wichtig, denn ich habe mich dort ins Filmemachen verliebt.

Jane, Sie sind die erste Frau, die vor 30 Jahren die Palme d’Or gewonnen hat, und nur die zweite Regisseurin – nach Lina Werthmüller – die für den Oscar nominiert wurde. Was ist noch immer zu tun, damit Frauen im Filmbusiness besser wahrgenommen werden?

Ich glaube, die Mädels machen sich ziemlich gut. Chloe Zhao hat vergangenes Jahr den Oscar gewonnen und Preise in Cannes und Venedig. Wenn man Frauen eine Chance gibt, dann sind sie nicht zu stoppen. Ich werfe das so in den Raum, aber ich weiß natürlich, dass die Statistik noch immer nicht gut aussieht. Es gibt immer noch nicht genug Regisseurinnen. Und der große Verlust hier ist, dass deshalb nicht genug Geschichten aus weiblicher Perspektive erzählt werden können. Dass wir die weibliche Stimme nicht hören, wenn unsere Welt beschrieben wird. Wenn beschrieben wird, wer wir sind. Und so hat sich dieses Denken eingegraben, dass wir in einer patriarchalischen Gesellschaft leben, was ja gar nicht stimmt. Frauen denken anders und das ist das Schöne und Interessante.

Gilt das nur oder vor allem für Film, aber nicht fürs Fernsehen? Im Fernsehbereich dominieren Frauen.

Deshalb ist ja TV inzwischen qualitativ besser und interessanter als Kino. Das begann gleichzeitig mit der MeToo-Bewegung. Das war wie der Fall der Mauer oder das Ende der Apartheid für uns Frauen. Wir unterstützen auf einmal nicht mehr nur einander, sondern werden auch von Männern unterstützt, und alle Menschen wissen inzwischen, wie ungleich und unfair wir lange behandelt wurden. Wir sind mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung, wir haben die Welt geboren! Wie wir sie sehen, ist wichtig.

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