Darum kritzeln Menschen Penisse auf Wände und Straßen

Auch im Schnee oder auf staubigen Autofenstern prangt oft ein stilisierter Phallus. Das steckt hinter dem Phänomen.

Schnee fiel in diesem Jahr in weiten Teilen des Landes wieder einmal wenig. Aber dort, wo er sich über Straßen und Auto legte, glänzte er nicht lange in unschuldigem Weiß. Stilisierte Penisse en masse waren in ihm eingeschrieben. Und man muss kein Wahrsager sein, um vorherzusagen, dass im Frühling dasselbe auf staubigen Windschutzscheiben der öffentlich geparkten Pkw passieren wird. Und selbst wenn der Regen die Geschlechtsteile abgewaschen hat, beglücken unzählige andere gekritzelte Exemplare an Wänden - besonders jene von Toiletten - die Betrachter.

Warum der Phallus so omnipräsent ist, hat viele Gründe. Ein maßgeblicher Grund ist ein ganz banaler: "Manchmal sind Penis-Graffiti einfach eine Art territoriale Markierung. Frei nach dem Motto: ‚Ich war hier‘", erklärt Lauren Rosewarne einmal laut der Zeit. Sie ist Doktor für Politik- und Sozialwissenschaften an der Universität Melbourne und forscht zum Penis-Phänomen. Das sei vor allem ein pubertärer Show-off, meint sie: "Der Penis ist ein Symbol der Stärke – ein Totem, wenn man so mag. Wenn man es irgendwo hinzeichnet, demonstriert und illustriert man einen Akt der Maskulinität." Daher würden die meisten Phallus-Graffiti von jungen oder junggebliebenen Männern stammen. Frauen als Penis-Artists sehe sie insgesamt eher in der Minderheit.

Die Journalistin Anne Waak teilt seit Jahren Fotos von an die Wand gesprühten Penis-Darstellungen bei Instagram. Auch sie vermutet meist Teenager dahinter, sagt sie einmal dem Monopol Magazin: "Wer sonst würde sich im Schutz der Nacht an Hauswände heranschleichen und Penisse malen?"

Aggressiv und infantil

Zweifellos sei das ein rabiates Reviermarkieren. Allerdings: "Ich finde es interessant, dass sie gleichzeitig aggressiv, im Vergleich zu anderen gängigen Verhaltensformen wie dem Beleidigen in Internetforen aber eigentlich auch wahnsinnig harmlos sind – nichts ist infantiler als ein gezeichneter Penis."

Andere wiederum bemühen das Innerste, das Unbewusste, die Psychoanalyse. Der Franzose Jacques Lacan hat in den 1950ern behauptet, Männlichkeit zeige sich durch ein subjektives (sexuelles) Begehren. Das wiederum treibe die Männlichen an, ihre Männlichkeit zu verbreiten. Und sei es nur mit einer Penis-Kritzelei.

Die Psychoanalytikerin Vanessa Sinclair sieht darin laut Vice die Macht als Triebfeder - wenn man den Penis als Metapher dafür sehe. "Im Grunde genommen versuchen die Leute, die immer und immer wieder Penisse malen, also sicherzustellen, dass sie Macht besitzen. Aus demselben Grund kaufen sich ältere Männer Sportwagen oder Motorräder, wenn ihre körperliche Gesundheit und Stärke zu schwinden beginnt." 

Banksy mit Penis-Rakete

Aber der Phallus auf der Wand muss nicht unbedingt ein Zeichen für Pubertät, Reviermarkierung oder Macht sein. "Zwar ist das Bild eines Penis nichts Besonderes, bietet jedoch immer eine gewisse Brisanz", sagt Sozialwissenschaftlerin Rosewarne. Ein wohl platzierter Phallus ist manchmal nichts anders als ein Akt der Rebellion: ein Protest, wie auch immer er geartet sei.

Zuletzt hat Street-Art-Meister Banksy mit einem Schüler-Klo-Exemplar gegen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine protestiert. Er hat einen Penis, der mutmaßlich schon auf der Mauer prangte, in einen Atomsprengkopf verwandelt, der auf einen gepanzerten Lastwagen geladen ist. Jegliche Interpretation erübrigt sich.

©EPA/ROMAN PILIPEY

Der Brite Banksy hat in seiner Heimat Konkurrenz bekommen. Und zwar von Wanksy - ein unschwer auf Banksy und autoerotische Praktiken anspielender Name. Dieser umrandet in Manchester seit einigen Jahren Schlaglöcher auf der Straße mit stilisierten Geschlechtsteilen. "Die Schlaglöcher werden einfach nicht repariert und bleiben für Monate", erklärte der Künstler der BBC. "Aber wenn man etwas Lustiges um sie herum malt, dann werden sie entweder gemeldet oder repariert." 

In Australien standen bei der Parlamentswahl 2016 auf vielen Wahlzetteln statt Kreuzerl Penisse. Für Rosewarne, die sich dem Phänomen annahm, ist das kein kindisches Gehabe. Viel mehr sei es ein herzhaftes: "Fickt euch", ein Ausdruck der Unzufriedenheit mit dem System. 

Secundinus war nicht amüsiert

Und natürlich zeugt so ein Penis auch von Unzufriedenheit mit einer Person, er kann auch als Symbol einer Beleidigung herangezogen werden. So schon geschehen vor 1.700 Jahren. Archäologen entdeckten im Vorjahr auf dem Gelände der ehemaligen Römerfestung Vindolana im heutigen England ein in Stein geritztes Geschlechtsteil. Daneben stand geschrieben: "Secundinus cacator". Übersetzt heißt das laut Experten: "Secundinus, der Scheißer!". Der Verfasser habe offensichtlich ein großes Problem mit Secundinus gehabt, sagt Andrew Birley, Leiter der Ausgrabungen laut damaligem Medienbericht. "Ich habe keinen Zweifel daran, dass Secundinus nicht gerade amüsiert gewesen war."

Manchmal liegen Beleidigungen und Glück nah beieinander. Ebenfalls in England fanden Archäologen der Universität von Newcastle und Mitarbeiter der staatlichen Denkmalpflegebehörde im Jahr 2019 das Felsbild eines geflügelten Penis in einem alten Steinbruch nahe des Hadrianswall. Sie vermuteten, römische Soldaten hätten das Stück 207 nach Christus eingeritzt. Und das gelte auch als Symbol des Glücks.

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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