Mozart braucht beim Dirigieren andere Muskeln als Wagner
Der tragische Tod von Stefan Soltesz hat erneut die körperliche Anstrengung des Dirigierens in den Fokus gerückt. Dirigent Sascha Goetzel hat dazu Daten, die ihn selbst überraschten.
Hinter dem Dirigentenpult steht die vielleicht wichtigste und zugleich ungreifbarste Figur eines Klassikkonzertes: Was der Dirigent eigentlich so tut, ist vielen anhaltend unklar. Ein weiterer Punkt, der nicht immer präsent ist, ist die rein körperliche Leistung, die Dirigenten bei einem Konzert erbringen.
Wie anstrengend und körperlich belastend es ist, mehrere Stunden lang hochkonzentriert am Pult zu arbeiten, rückt zumeist nur in tragischen Umständen in den Fokus, zuletzt wieder beim dramatischen Tod des österreichischen Dirigenten Stefan Soltesz, der am Pult zusammengebrochen war und daraufhin starb.
Was der Körper eines Dirigenten genau leistet, ist auch kaum erforscht. Auskunft geben kann der österreichische Dirigent Sascha Goetzel.
Intensives Training
Er trägt beim Dirigieren einen Ring, der allerlei Körperdaten misst – und er war „selbst überrascht“, was diese Daten zeigen.
Denn eine typische Kurve, die Goetzel dem KURIER zeigte, weist aus: Dirigieren erlebt der Körper als intensives Training – ein Konzert ist, rein körperlich, wie (je nach Stückdauer) zwei Stunden sehr zügiges Joggen, sagt Goetzel. Und das ist noch nicht alles.
Denn beim Dirigieren „steht man im Zentrum der Energien“ von allen Musikern, die beteiligt sind. „Dieser Energiefluss, der da frei wird, ist ein sehr wichtiger Faktor“ – die mentale Komponente ist ein wesentlicher Anteil der Anforderungen an den Dirigenten, sagt Goetzel. „Man muss alles wahrnehmen und die Konzentration fokussieren“, schildert der Österreicher, der derzeit auf Konzertreise in Kanada ist. Darin sei Soltesz herausragend gewesen. „Das erfordert sehr viel Energie, die auch körperlich freigesetzt wird.“
Körperliche Arbeit
Insgesamt seien die Dirigenten von allen klassischen Musikern neben den Sängern diejenigen, die „am meisten körperliche Arbeit vollbringen“. Und das mit sehr speziellen Muskelgruppen – die auch von der Musik beeinflusst werden: „Ich verwende andere Muskelbereiche für Bruckner oder Wagner und für Mozart“, sagt Goetzel. Das Dirigieren braucht „eine ganz speziell entwickelte Muskulatur“, die regelmäßig trainiert wird. Wenn wir drei Wochen nicht dirigieren, spüren wir das sofort. Dann können wir nicht mit aller Intensität dirigieren, dann müssen wir uns dazwischen zurückhalten.“ Der Energiehaushalt sei „das Wichtigste: Die Musik lässt uns ein bisschen den Körper vergessen.“
Aber auch äußere Umstände spielen eine Rolle – wie etwa Bayreuth-Musikchef Christian Thielemann einmal in der Süddeutschen Zeitung bekannte: Die beste Dirigentenschule sei, „Tristan bei 35 Grad zu dirigieren. Sie lachen. Uns da unten im Graben ist dann nicht unbedingt zum Lachen zumute.“
Goetzel, der seit Sommer u. a. Musikdirektor beim NYO Canada und beim Orchestre National des Pays de la Loire ist, bestätigt das: „Wenn die Temperatur ein gewisses Level erreicht, dann steigt die Hitze im wahrsten Sinne des Wortes zu Kopf. Und dann müssen wir uns zurücknehmen, weil der Puls und dann auch der Blutdruck hochschnellen. Das sind gefährliche Situationen, wo jeder für sich selber wissen muss, wo es nicht mehr geht.“
Aber „nur mit Kraft erreichen wir gar nichts“, sagt Goetzel mit einem Lachen. „Es muss eine Symbiose zwischen den Orchestermusikern und uns stattfinden. Es ist ein Miteinander.“
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