Molly Jong-Fast im Interview über ihre Mutter Erica Jong
30 Millionen verkaufte Exemplare in 43 Sprachen: Erica Jongs Skandalroman „Angst vorm Fliegen“ feierte im Vorjahr sein 50-jähriges Jubiläum. Aktuell erscheint aus diesem Anlass auch eine neue deutsche Übersetzung. Die erreichte Molly Jong-Fast, die Tochter der Autorin, zu Hause in New York.
Groß, klein, glatt oder verhutzelt, knüppelhart oder schlaff – eine Frau, die Penisse detailliert beschreibt und über deren Unterschiede sinniert ist auch heute noch eher ungewöhnlich. Wenn man es euphemistisch ausdrücken will. In den frühen 1970ern war das allerdings ein handfester Skandal. Erica Jong sorgte mit ihrem Roman „Angst vorm Fliegen“ für jede Menge Gesprächsstoff.
Namhafte männliche Autorenkollegen zeigten sich zwar begeistert: „Unerschrocken und frech, zart und exakt“, nannte John Updike ihr Debüt, während Henry Miller den Roman überhaupt mit seinem „Wendekreis des Krebses“ verglich und konstatierte: „Dieses Buch wird Literaturgeschichte schreiben.“ In traditionellen und religiösen Kreisen der USA sorgte das Werk allerdings für Empörung, immer wieder wurde versucht, es verbieten zu lassen.
Wie konnte eine junge unbekannte Autorin in den frühen 70ern überhaupt ein so kontroverses Buch veröffentlichen? „Zum einen war die Hoch-Zeit der sogenannten Sexuellen Revolution“, erklärt Erica Jongs Tochter Molly Jong-Fast. Die Antibabypille wurde in den frühen 60ern populär, Frauen kämpften erfolgreich für die Selbstbestimmung über ihren Körper, im Gerichtsfall „Roe gegen Wade“ wurde Abtreibung legitimiert. „Zum anderen ist meine Mutter sehr privilegiert aufgewachsen. Sie hatte nie das Gefühl, irgendetwas NICHT sagen zu dürfen. Und sie schrieb ungefiltert, was sie dachte.“
Die Dame bricht aus
Und damit hatte sogar der „Spiegel“, als „Angst vorm Fliegen“ 1976 auf Deutsch erschien, Schwierigkeiten. In der ersten Zeile einer mit „Phallisch und narzisstisch“ betitelten Rezension nannte er die Protagonistin eine „Dame“, nur um ihr dieses „Dame-sein“ im nächsten Absatz wieder absprechen zu können. Weil eine Dame so eben nicht spricht und schon gar nicht schreibt – ja nicht einmal denkt! „Und genau das hat meine Mutter erreicht. Sie hat Frauen dazu gebracht, zu ihren Gedanken und Fantasien zu stehen – und sich dementsprechend zu verhalten“, sagt Molly Jong nicht ganz ohne Stolz. Über die Jahre, bis weit in die 2000er, sei ihre Mutter vor allem auf Reisen immer wieder angesprochen worden. „Frauen haben sich bei meiner Mutter bedankt. Weil sie ihnen den Mut gegeben hat, aus einer unglücklichen Beziehung auszubrechen, sich zu befreien.“
Erstaunlich eigentlich, denn Erica Jong lässt in diesem Buch das Ende eigentlich offen, der Leser weiß nicht, ob die Heldin nach ihren Abenteuern wieder zu ihrem Mann zurückkehrt – was ihr wiederum harsche Kritik von doktrinären Feministinnen einbrachte.
Wer sich nicht spontan an die Story erinnert: Eine Frau Ende 20, in zweiter Ehe mit einem amerikanischen Psychiater asiatischer Abstammung verheiratet, lernt auf einem Kongress in Wien, zu dem sie ihren Mann begleitet, einen britischen Kollegen kennen und brennt mit ihm durch, zieht durch Europa, bis der Typ keine Zeit mehr für die große, von ihm propagierte Freiheit und Unabhängigkeit hat, weil er sich mit seiner Ex-Frau treffen muss.
Die Heldin fliegt nach London, wo ihr Mann inzwischen auf einem weiteren Kongress ist, und nimmt ein Bad in seinem Hotelzimmer, wo sie auf ihn wartet. Eine Story, in der man nur zu bereitwillig die Autorin zu erkennen glaubt, die ebenfalls in zweiter Ehe mit einem chinesischstämmigen Psychiater verheiratet war. Den sie schließlich für den Schriftsteller Jonathan Fast verlassen hat, Molly Jong-Fasts Vater.
„Natürlich schrieb meine Mutter über sich selbst“, stellt auch ihre Tochter Molly eindeutig fest. Aber sie hat es doch immer bestritten, oder? „Meine Mutter war, ist, eine sehr komplizierte Frau. Dazu gehört auch, dass sie sich oft selbst widersprochen hat. Sie lebte im Moment, wie das nicht viele wirklich können“, erklärt Molly Jong, die mit der traurigen Tatsache kämpft, dass ihre Mutter Erica Jong, mittlerweile 82, schwer an Demenz leidet. „Ich war immer die Tochter meiner Mutter, also in dem Sinne, dass ich immer als die Tochter gesehen wurde – jetzt, wo Mom langsam verschwindet, bin ich das nicht mehr. Es ist eine neue, mir nicht vertraute Situation, mit der ich erst zurechtkommen muss.“
Tochter der Sex-Mutter
Wie war es eigentlich, als Tochter der Frau aufzuwachsen, die DEN erotischen Roman der 1970er geschrieben hat? „Einerseits nicht ganz einfach – und andererseits muss ich natürlich auch sagen, dass ich sehr privilegiert war, noch mehr als zuvor schon meine Mutter“, erinnert sich Molly Jong-Fast. „Meine Mutter war eben Bestseller-Autorin und lebte dementsprechend, auch mein Vater schrieb erfolgreich, und sein Vater war ein sehr berühmter Autor. Das ist schon ein spezielles Umfeld, das ist mir heute natürlich bewusst. Aber andererseits war es beinahe gruselig, weil eben so viele Menschen Dinge über meine Mutter wussten, und dadurch auch irgendwie über mich. Und ja, viele Menschen, in jeder Phase meiner Kindheit und Jugend, waren gemein zu mir. Weil ich eben die mit der Sex-Mutter war.“
Molly Jong-Fast verarbeitete ihre Erlebnisse und Eindrücke in zwei durchaus erfolgreichen Romanen und einigen Kurzgeschichten. Sie erzählt darin in ebenso scharfsinnigem wie -züngigem Ton über ihre Jugend. Vom schicken Stadthaus mit der pinken Eingangstür, von den Fotos nackter, Twister spielender Frauen an den Wänden, dem Kindermädchen, das nebenbei als Nummern-Girl arbeitete, den weltberühmten Psychiatern, die im Souterrain hausten und Kommentare wie Statler und Waldorf von der Muppet Show abgaben – und von ihren Großeltern, die der Enkelin und jedem Hausgast voll Stolz erklärten, dass sie schon beim ersten Date Sex gehabt hatten. Drei erfolgreiche Bücher in knapp zehn Jahren, dann war Schluss. „Vielleicht hatten die Kritiker Recht, die meinten, dass ich beweisen müsse, dass ich noch über etwas anderes schreiben kann als über mein Leben“, sagt die ehemalige Autorin heute. „Jedenfalls war für mich das Schreiben nach meinem letzten Buch nicht mehr wichtig. Und eigentlich empfand ich das als befreiend. Denn mein ganzes Leben lang schien es so, als wäre es das Einzige, das ich machen könnte. Es gab ja niemanden in meiner Familie, der etwas anderes machte.“
Heute ist Molly Jong-Fast eine der profiliertesten politischen Bloggerinnen und Interviewerinnen der USA und hat ganz andere Sorgen als den von ihrer Mutter propagierten Zipless Fuck: „Wer wissen will, was man genau darunter versteht, soll es googeln. Da gibt's Tausende Seiten, die sich damit beschäftigen.“
Denn sie beschäftigt sich derzeit in erster Linie mit den bevorstehenden Wahlen in ihrer Heimat, und den immer repressiveren Gesetzen in Sachen Abtreibung und Frauenrechte, die ihr große Sorgen bereiten. Und doch ist es wahrscheinlich eine gewisse Befreiung für Molly Jong-Fast. Vielleicht liest sie dann irgendwann auch den berühmt berüchtigten Roman ihrer Mutter zu Ende. „Ich hab als Teenagerin damit angefangen. Aber nach etwa 200 Seiten musste ich aufhören. Das Ganze war mir viel zu nah – und vieles wollte ich damals einfach gar nicht wissen.“
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