Kristina Hammer: "Es geht um die großen Fragen der Menschheit"
Inszenierung alleine ist nicht alles, sagt Kristina Hammer. Die neue Präsidentin der Salzburger Festspiele über ihren Auftrag, gut Bewährtes, neue Akzente, verschiedene Jedermänner und wandelnden Zeitgeist.
In der Felsenreitschule ist es ungewöhnlich still. Kristina Hammer steigt die wenigen Stufen an der Bühnenseite empor und schreitet über die Bretter, die für viele die Welt bedeuten, nur das Klacken ihrer schwarzen Stöckelschuhe hallt durch den Saal. Sie blickt nach oben, das mobile Dach ist einen Spalt geöffnet, die Sonnenstrahlen erhellen die Arkaden. „Hier atmet man Geschichte“, sagt sie laut und strahlt. Die neue Präsidentin der Salzburger Festspiele ist sichtlich stolz, hier die Fäden nun in ihren Händen zu wissen. „Früher“, sagt sie, „war das hier genau andersherum. Die Zuschauer saßen in den 96 dreigeschoßig übereinandergelagerten Arkaden, nun sind diese Hintergrund für die Kulissen.
Hammer: Einer von mehreren, ja. Hätten Sie sich jemals gedacht, eines Tages Präsidentin der Salzburger Festspiele zu sein? Ehrlich gesagt, nein. Aber ich freue mich, dass es nun so ist. Ich bin in einer kulturaffinen Familie aufgewachsen. Als Teenager erlebte ich dann Herbert von Karajans „Carmen“. Agnes Baltsa war eine Wucht, sie fegte nur so über die Bühne, brachte so viel Temperament mit – es war beeindruckend. Die Leidenschaft für Musik, Oper, aber auch für Theater habe ich immer mitgenommen, egal, wo ich gelebt habe. Und dass ich jetzt das Berufliche mit der Leidenschaft verbinden kann, ist etwas sehr Schönes.
Nun hatten Sie jedoch beruflich bisher keine Berührungspunkte mit der Kultur. Im Gegenteil: Sie studierten Jus, promovierten im Wirtschaftsrecht, leiteten auch das Luxuskaufhaus Steffl in Wien.
Das stimmt. Doch kann ich viele Erfahrungen aus diesen Bereichen in meine neue Rolle hier einbringen.
Zum Beispiel?
Die hohe Affinität zur Internationalität. Ich habe in vielen Ländern gelebt und gearbeitet, von England über Frankreich bis Amerika. Und dort auch die Opernhäuser besucht. Aus Konzernen nimmt man außerdem mit, wie man intern kommuniziert und sich auf ein neues Team einlässt. Und nicht zuletzt geht es um wirtschaftliche Fragen, das bestimmt ja auch die Salzburger Festspiele. Hier arbeiten rund 300 Mitarbeiter das ganze Jahr über, rund 4.500 sind es im Sommer. Daher ist auch die Struktur ähnlich, wie in der klassischen Wirtschaft: Es gibt einen kaufmännischen Direktor, einen künstlerischen Leiter und eine Präsidentin, die sich in meinem Fall auch um Vertrieb, Sponsorship, Marketing und Presse kümmert.
Diese Rolle hatte bis zum vergangenen Jahr Helga Rabl-Stadler inne, sie formte die Festspiele über 27 Jahre. Wie fühlt es sich für Sie an, ihre Nachfolge anzutreten?
Wenn man jemandem nachfolgt, der so lange im Amt war, ist es wichtig, dass man mit Respekt, einem klaren Ziel vor Augen und Freude kommt, nicht mit der Dampfwalze. Es gibt Menschen, die haben nie etwas Anderes erlebt – sie hatten immer diese eine Präsidentin. Ich werde an einiges anknüpfen, aber auch viele neue Akzente setzen.
Zum Beispiel?
Zuerst möchte ich eine ganze Saison in meiner neuen Rolle erlebt haben, um diese Frage vollständig zu beantworten. Aber ein erster beispielhafter Punkt: Ein Thema, das uns künftig verstärkt beschäftigen wird, ist die Digitalisierung. Es geht darum, wie wir unsere Besucher erreichen und wie wir mit unseren potenziellen und unseren loyalen Besuchern kommunizieren, über welche Kanäle und in welcher Tiefe. Manche studieren am liebsten das gesamte Programmheft und vertiefende Informationen über Regie und Komposition, der nächste möchte erst einmal eine Kurzinformation, dann das Erlebnis und sich hinterher umfassend informieren. Auf diese verschiedenen Bedürfnisse wollen wir verstärkt eingehen.
Sie haben auch Patenschaften ins Leben gerufen, bei denen erfahrene Kultur-Begeisterte als Mentoren agieren und jeweils mit einem 16- bis 26-Jährigen die Festspiele erleben. Reicht das, um die junge Generation zu begeistern?
Ich denke, es ist ein wichtiger Schritt zur Verbreiterung des Publikums. Und wir sind positiv überrascht, wie viele sich gemeldet haben. Es geht um das Erlebnis, das für jeden anders ist. Manche treffen sich vorher und lesen sich gemeinsam ein. Andere besprechen ihre Eindrücke hinterher bei einem guten Essen.
„Es gibt Menschen, die haben nie etwas Anderes erlebt – sie hatten immer diese eine Präsidentin.“
Kristina Hammer über Helga Rabl-Stadler
Kommen wir nochmals zur Wirtschaftlichkeit zurück: In diesem Sommer sind 225.000 Tickets für 174 Vorstellungen aufgelegt. Manche meinen, die Salzburger Festspiele seien ein Selbstläufer. Sind sie das?
Nein. Wir sind zu 75 Prozent eigenwirtschaftlich und zu 50 Prozent vom Ticketverkauf abhängig, das unterscheidet uns von großen Repertoirehäusern. Das heißt, unser Programm muss stets herausragend sein und auch das internationale Publikum ansprechen, denn mit Österreichern alleine füllen wir die Säle nicht. Zu uns kommen Besucher aus 74 Nationen, das ist beeindruckend.
Um das weiterhin zu gewährleisten, muss sich das Programm aber wohl stets verändern, und damit die Inszenierung. Wieviel davon brauchen die Festspiele heute – und wieviel morgen?
Es geht nicht allein um die Inszenierung, sondern vor allem um die großen Fragen der Menschheit. Die Salzburger Festspiele wurden vor 100 Jahren nach den entsetzlichen Erfahrungen des ersten Weltkrieges gegründet, um die Kraft des Geistes und die menschliche Kreativität als das Verbindende zwischen Menschen unterschiedlicher Nationalitäten, Religionen und ethnischer Zugehörigkeit in den Mittelpunkt zu stellen. Dieser Gedanke von Versöhnung, Humanität und Frieden ist Leitmotiv. Die Salzburger Festspiele haben eine kulturelle Leuchtturmfunktion, denn was immer Salzburg tut, es hat Signalwirkung und dies nicht nur für die internationale Kulturszene, sondern auch im gesellschaftspolitischen Dialog. Das ist der Auftrag, den Salzburg hat und den ich weiterhin erfüllen will: Die Auseinandersetzung mit den Fragen der Zeit. Und nicht mit der Größe der Inszenierung.
Wohl aber die Form. Immerhin ist es ja das, wodurch sich Oper und Theater ausdrücken. Wir erinnern uns an Verena Altenbergers Glatze.
Ja, darin spiegelt sich auch der Zeitgeist wider. Ich habe vier Jedermänner erlebt, jeder war auf seine Weise besonders, auch bei den Buhlschaften war das so. Man sieht, wie sich Frauentypen über die Jahre geändert haben, denken wir etwa an Senta Berger, im Vergleich zu, Sie sagen es, Verena Altenberger, die heuer diese Rolle erneut innehat.
Was nimmt das Publikum dadurch mit?
Ich glaube, es gibt Momente in der Oper, im Konzert und im Theater, in denen so etwas wie Magie entsteht. Man kann nie hundertprozentig voraussagen, wann das ist, und ob es immer bei derselben Stelle in einer Inszenierung passiert. Doch es gibt sie.
An welchen solchen magischen Moment erinnern Sie sich gerne?
An „La Traviata“ mit Anna Netrebko im roten Kleid unter der großen Uhr, das werde ich nie vergessen. Oder bei „Don Giovanni“, als sich etwa 120 Statistinnen mit ihren choreografierten Bewegungen auf der Bühne zu den Klängen Mozarts zu Bildern formten. Das war ein solch intensiver Ausdruck von Weiblichkeit, der mir wahnsinnig nahe ging. Das ist die Kraft der Oper.
Kommen wir zu Ihrer Kraft: Wenn Sie zur Ruhe kommen wollen, wo finden Sie diese?
Das Allerschönste ist, meine Familie um mich zu haben, vor allem meine beiden großen Kinder. Außerdem laufe ich sehr gerne, in der Nacht oder am frühen Morgen.
Haben Sie eine Lieblingsstrecke?
Ja, aber die verrate ich nicht! (lacht) Ich schwimme auch gerne, und fahre Rad. Dazu komme ich nur derzeit aus zeitlichen Gründen wenig. Außerdem setze ich mich gerne abends raus, lese ein gutes Buch oder höre Musik.
Schließlich: Ihr Favorit bei den Salzburger Festspielen?
Wie viel Zeit haben Sie? (lacht) Als Präsidentin freue ich mich natürlich auf alle 174 Vorstellungen. Eine meiner Lieblingsarien „O mio babbino caro“ wird in der Oper „Il trittico“ von Puccini zu hören sein.
Zur Person
Kristina Hammer wurde in Karlsruhe (Deutschland) geboren, studierte Jus, promovierte in Europäischem Wirtschaftsrecht. Arbeitete bei Kaufhausketten, leitete das Luxusdepartment des Steffls, werkte auch für Premium-Automarken, gründete eine Markenberatungsfirma. Ist verheiratet und zweifache Mutter.
(freizeit.at)
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Über Marlene Auer
Chefredakteurin KURIER-freizeit. War zuvor Chefredakteurin bei Falstaff und Horizont Österreich, werkte auch als Journalistin im Bereich Chronik und Innenpolitik bei Tages- und Wochenzeitungen. Studierte Qualitätsjournalismus. Liebt Medien, Nachrichten und die schönen Dinge des Lebens.
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