Warum die Kleider der Buhlschaft Stoff für Bodyshaming sind

Eine trägt einen Hosenanzug, die andere tritt hinter einer Roben-Attrappe hervor. Kostümbildnerin Renate Martin über Kleider und Rollenwandel.

Geschnürte Mieder? Hautenge Korsagen mit Fischbeinen à la Kaiserin Elisabeth und lange, schöne Haare? Diese Stereotype der Buhlschaft sind Vergangenheit. Zum Glück. „Wir haben das große Kleid der Historie 2017 ad acta gelegt“, sagt Renate Martin, die seit fünf Jahren für die Kostüme des Jedermanns zuständig ist. „Bis 2016 trug die Buhlschaft ein langes Abendkleid mit weitem Rock und Mieder. Diesen traditionellen Imperativ haben wir aufgehoben. Die Kleider der Buhlschaft orientieren sich nach dem Frauenbild des 21. Jahrhunderts.“

ROBEN-ATTRAPPE 2018 trat  Reinsperger hinter einem roten prunkvollen  Divenkleid, eine Attrappe, die um 30 Prozent größer geschneidert wurde, hervor, und  spielte in ihrem Hauptkleid, einem  „Kleinen Schwarzen“  weiter.

©Salzburger Festspiele/Matthias Horn

Auch deshalb fängt  jährlich pünktlich vor Beginn der Salzburger Festspiele das Rätselraten an, welches Kleid die  Buhlschaft tragen und welche Reaktionen es provozieren wird.

TRANSPARENTER ONE-PIECE Valery Tscheplanowa war 2019 die erste Buhlschaft, die Hosen trug. Der zarte Stoff hatte die damalige Modefarbe Nude, der weiße Perlenbesatz sollte an eine Braut erinnern.  

 

©APA/BARBARA GINDL

Wie kein anderes Bühnenstück ist der Jedermann ein gesellschaftliches Ereignis, bei dem das ewige Spiel um Liebe und Tod unsterblich ist, genau wie die Frage nach dem neuen Kleid. „Wenn alles gleich bleibt, stirbt das Stück Hofmannsthals und wird zu einer musealen Veranstaltung. Deshalb gibt es jährlich Neues, auch am Kostüm,“ sagt Martin. „Aber es ist auch immer ein kleines Augenzwinkern mit dabei.“ Denn Martin vernäht gerne ein bisschen Ironie in die Buhlschaftskleider, die so unterschiedlich sind, wie die Schauspielerinnen und als Kommentar für den Rollenwandel der Frau in unserer Gesellschaft stehen sollen.

Befreiung & Bodyshaming

TÜLL-ENTWURF 2017 sollte ursprünglich ein mädchenrosa Tüllrock und ein T-Shirt die Jugend und die Beine von Stefanie Reinsperger hervorheben.

 

©Superset.at

Doch der ist anscheinend noch immer nicht überall angekommen. Als Renate Martin Stefanie Reinsperger erstmals in einem jugendlichen Tüllrock mit Mieder und T-Shirt auftreten ließ, war das Medienecho gespalten. Offenbar weil die hochbegabte Darstellerin nicht dem gewohnten Bild einer sexy Buhlschaft entsprach und erstmals nicht schlank und rank war. Das hatte vor allem die männliche Presse überfordert. Bodyshaming-Angriffe waren damals die Antwort auf die Besetzung der weiblichen Hauptrolle. „Das Hauptargument war, dass von Reinsperger eher Modelmaße erwartet wurden, als schauspielerisches Können und Originalität. Unser Kostüm war eben auch ein klares Aufbegehren gegen den Zwang der Tradition.“

Reinsperger  war jung und selbstbewusst, als sie in Salzburg die Bühne betrat, schon deshalb wollte Martin das alte Rollenbild auflösen, die Hysterie um das Kleid der Buhlschaft brechen, und die Jugend Reins- pergers hervorheben. Sie steckte sie  2017 in einen kurzen Tüllrock, der  sie wie eine Prinzessin aussehen ließ. Erst sollte nur ein T-Shirt dazu, dann kam doch ein Bustier darüber. Grund genug, dass sich Medien empörten. „Reinsperger hat quasi als Erste die Historie der Buhlschaft verlassen. Das haben ihr und mir damals einige nicht verziehen.“ In dem Kostüm kamen Reinspergers schönes kindliches Gesicht, ihre blonden Haare und vor allem ihr sympathisches Wesen gut zur Geltung. „Bei Steffi war es die Jugend und ihre Natürlichkeit, die mich zu dem Kostüm inspirierten. Einen Hosenanzug  hätte ich damals nicht bei ihr gesehen.“ Im nächsten Jahr ebbte die Welle der Entrüstung aber ab: als Reinsperger hinter ihrem übergroßen Attrappenkleid, im Stil einer historischen Abendrobe, hervortrat, um ihre 55 Zeilen als moderne junge Frau in einem schlichten „Kleinen Schwarzen“, ein Zitat auf die emanzipierte Coco Chanel, unbekümmert weiterzuspielen. „Der Kleiderstil richtet sich zunächst nach der Aura und dem Temperament der jeweiligen Darstellerin“, sagt Martin. „Verena Altenberger ist wiederum eine sehr geerdete Frau, sie schöpft aus den Elementen die sie vorfindet und entwickelt sie weiter. Deshalb wird sich auch bei der heurigen Wiederaufnahme ihr Kostüm weiterentwickeln und anders aussehen.“

Komödie &  Akrobatik

HOSENROCK Der rote One-Piece bei Caroline Peters war 2020 eine Kombination aus Hose und Rock.

©Franz Neumayr / picturedesk.com

Auch als Valery Tscheplanowa erstmals Hosen trug, war das Medienecho enorm. Martin war die Erste, die eine Buhlschaft im One-Piece auf die Bühne schickte. Warum die eine Hosen trägt und die andere ein Kleid, hängt von den Schauspielerinnen ab, erklärt Martin. „Jede Buhlschaft hat andere Talente. Danach richtet sich der Kostümentwurf, gepaart mit Regiekonzept und Probenverlauf. Wird es eher ironisch und gelassen, wie bei Caroline Peters, oder  kühl und gefährlich wie bei Valery Tscheplanowa.“ Obwohl Caroline Peters ein enges Kleid trug, das als Monroe-Zitat und Persiflage auf das Schönheitsideal der 1960er-Jahre gedacht war, war auch sie mit Bodyshaming konfrontiert. Mit 48 Jahren war sie die älteste Buhlschaft in der Geschichte der Festspiele. „Die Frau als Objekt ist  leider noch immer in manchen Publikationen Thema. Wie man in den USA aktuell sieht,  gibt es sogar Rückschritte im Rollenbild der Frau.“   

MONROE–PERSIFLAGE Caroline Peters sprang 2020 als Monroe aus der Torte und sang zu Jedermanns 100. Geburtstag, als Persiflage auf das Schönheitsideal der 1960er-Jahre.   
 

©VOGL-PERSPEKTIVE.AT - Mike Vogl / picturedesk.com

Bodyshaming gab es auch bei Verena Altenberger, die letztes Jahr erstmals mit Kurzhaarschnitt auf die Bühne trat, statt traditionell, mit wallendem Langhaar. Dabei agierte  Altenberger, die eine Ausbildung in Akrobatik und Tanz hat, als moderne, selbstbewusste Buhlschaft mit ihrem Jedermann auf Augenhöhe.

HOSENANZUG UND CAPE Schwungvoll setzte Verena Altenberger 2021 den One-Piece samt Chiffonumhang in ihrem Spiel ein. Ihr roter rückenfreier Hosenanzug zeigt viel nackte Haut und schafft Bewegungsfreiheit.

 

©APA/BARBARA GINDL

Sie spielte mit den Geschlechtern und löste deren Grenzen auf. „Ich freue mich schon auf die kommende Wiederaufnahme mit den Beiden, sie sind ein faszinierendes Paar. Aber nächstes Jahr wird alles neu, auch die Besetzung. Dann wird etwas völlig Anderes möglich, weil wir ja die  ersten Schritte der Kostümentwicklung schon gegangen sind“, freut sich Martin.

Florentina Welley

Über Florentina Welley

Mag. Florentina Welley schreibt seit 2006 als Lifestyle-Autorin über ihre Lieblingsthemen: Mode, Reise, Design und Kunst. Darüber hinaus konzipiert sie Shootings, kuratiert auch Kunst- und Designevents. Auch Film-Erfahrung hat sie, etwa als Co-Produzentin für den Spielfilm „Die toten Fische“, darüber hinaus ist sie in Werbung und Medien bekannt für Konzepte, Textierungen jeden Genres und Modeproduktionen samt Styling, Regieassistenz, Ausstattung und Kostümbild.

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