Warum die Kleider der Buhlschaft Stoff für Bodyshaming sind
Eine trägt einen Hosenanzug, die andere tritt hinter einer Roben-Attrappe hervor. Kostümbildnerin Renate Martin über Kleider und Rollenwandel.
Geschnürte Mieder? Hautenge Korsagen mit Fischbeinen à la Kaiserin Elisabeth und lange, schöne Haare? Diese Stereotype der Buhlschaft sind Vergangenheit. Zum Glück. „Wir haben das große Kleid der Historie 2017 ad acta gelegt“, sagt Renate Martin, die seit fünf Jahren für die Kostüme des Jedermanns zuständig ist. „Bis 2016 trug die Buhlschaft ein langes Abendkleid mit weitem Rock und Mieder. Diesen traditionellen Imperativ haben wir aufgehoben. Die Kleider der Buhlschaft orientieren sich nach dem Frauenbild des 21. Jahrhunderts.“
Auch deshalb fängt jährlich pünktlich vor Beginn der Salzburger Festspiele das Rätselraten an, welches Kleid die Buhlschaft tragen und welche Reaktionen es provozieren wird.
Wie kein anderes Bühnenstück ist der Jedermann ein gesellschaftliches Ereignis, bei dem das ewige Spiel um Liebe und Tod unsterblich ist, genau wie die Frage nach dem neuen Kleid. „Wenn alles gleich bleibt, stirbt das Stück Hofmannsthals und wird zu einer musealen Veranstaltung. Deshalb gibt es jährlich Neues, auch am Kostüm,“ sagt Martin. „Aber es ist auch immer ein kleines Augenzwinkern mit dabei.“ Denn Martin vernäht gerne ein bisschen Ironie in die Buhlschaftskleider, die so unterschiedlich sind, wie die Schauspielerinnen und als Kommentar für den Rollenwandel der Frau in unserer Gesellschaft stehen sollen.
Befreiung & Bodyshaming
Doch der ist anscheinend noch immer nicht überall angekommen. Als Renate Martin Stefanie Reinsperger erstmals in einem jugendlichen Tüllrock mit Mieder und T-Shirt auftreten ließ, war das Medienecho gespalten. Offenbar weil die hochbegabte Darstellerin nicht dem gewohnten Bild einer sexy Buhlschaft entsprach und erstmals nicht schlank und rank war. Das hatte vor allem die männliche Presse überfordert. Bodyshaming-Angriffe waren damals die Antwort auf die Besetzung der weiblichen Hauptrolle. „Das Hauptargument war, dass von Reinsperger eher Modelmaße erwartet wurden, als schauspielerisches Können und Originalität. Unser Kostüm war eben auch ein klares Aufbegehren gegen den Zwang der Tradition.“
Reinsperger war jung und selbstbewusst, als sie in Salzburg die Bühne betrat, schon deshalb wollte Martin das alte Rollenbild auflösen, die Hysterie um das Kleid der Buhlschaft brechen, und die Jugend Reins- pergers hervorheben. Sie steckte sie 2017 in einen kurzen Tüllrock, der sie wie eine Prinzessin aussehen ließ. Erst sollte nur ein T-Shirt dazu, dann kam doch ein Bustier darüber. Grund genug, dass sich Medien empörten. „Reinsperger hat quasi als Erste die Historie der Buhlschaft verlassen. Das haben ihr und mir damals einige nicht verziehen.“ In dem Kostüm kamen Reinspergers schönes kindliches Gesicht, ihre blonden Haare und vor allem ihr sympathisches Wesen gut zur Geltung. „Bei Steffi war es die Jugend und ihre Natürlichkeit, die mich zu dem Kostüm inspirierten. Einen Hosenanzug hätte ich damals nicht bei ihr gesehen.“ Im nächsten Jahr ebbte die Welle der Entrüstung aber ab: als Reinsperger hinter ihrem übergroßen Attrappenkleid, im Stil einer historischen Abendrobe, hervortrat, um ihre 55 Zeilen als moderne junge Frau in einem schlichten „Kleinen Schwarzen“, ein Zitat auf die emanzipierte Coco Chanel, unbekümmert weiterzuspielen. „Der Kleiderstil richtet sich zunächst nach der Aura und dem Temperament der jeweiligen Darstellerin“, sagt Martin. „Verena Altenberger ist wiederum eine sehr geerdete Frau, sie schöpft aus den Elementen die sie vorfindet und entwickelt sie weiter. Deshalb wird sich auch bei der heurigen Wiederaufnahme ihr Kostüm weiterentwickeln und anders aussehen.“
Komödie & Akrobatik
Auch als Valery Tscheplanowa erstmals Hosen trug, war das Medienecho enorm. Martin war die Erste, die eine Buhlschaft im One-Piece auf die Bühne schickte. Warum die eine Hosen trägt und die andere ein Kleid, hängt von den Schauspielerinnen ab, erklärt Martin. „Jede Buhlschaft hat andere Talente. Danach richtet sich der Kostümentwurf, gepaart mit Regiekonzept und Probenverlauf. Wird es eher ironisch und gelassen, wie bei Caroline Peters, oder kühl und gefährlich wie bei Valery Tscheplanowa.“ Obwohl Caroline Peters ein enges Kleid trug, das als Monroe-Zitat und Persiflage auf das Schönheitsideal der 1960er-Jahre gedacht war, war auch sie mit Bodyshaming konfrontiert. Mit 48 Jahren war sie die älteste Buhlschaft in der Geschichte der Festspiele. „Die Frau als Objekt ist leider noch immer in manchen Publikationen Thema. Wie man in den USA aktuell sieht, gibt es sogar Rückschritte im Rollenbild der Frau.“
Bodyshaming gab es auch bei Verena Altenberger, die letztes Jahr erstmals mit Kurzhaarschnitt auf die Bühne trat, statt traditionell, mit wallendem Langhaar. Dabei agierte Altenberger, die eine Ausbildung in Akrobatik und Tanz hat, als moderne, selbstbewusste Buhlschaft mit ihrem Jedermann auf Augenhöhe.
Sie spielte mit den Geschlechtern und löste deren Grenzen auf. „Ich freue mich schon auf die kommende Wiederaufnahme mit den Beiden, sie sind ein faszinierendes Paar. Aber nächstes Jahr wird alles neu, auch die Besetzung. Dann wird etwas völlig Anderes möglich, weil wir ja die ersten Schritte der Kostümentwicklung schon gegangen sind“, freut sich Martin.
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