Jazzfestival Saalfelden: "Pussy Riot" im Pinzgau
International, orchestral, phänomenal – die Klangfarbigkeit der Bigbands und „ein Statement gegen diesen Unrechtskrieg“
Die Stille ist die Leinwand des Musikers. Im Wald, am Berg, auf der Alm, ehe Künstler ihre Instrumente auspacken und auf Wanderungen die Stille in der Naturkulisse mit freien Tönen tätowieren.
Sekundenlange stumme Anspannung auch am Samstag, einem Festtag für die Freunde des Big Band Jazz im Congress von Saalfelden, kurz bevor Christoph Cech mit seinem 17-köpfigen Klangkörper mit „Boogie Creole“ kraftvoll abhebt in den Himmel der großorchestralen Sounds.
Wo die Fadesse Hausverbot und alles Kopflastige Generalpause hat beim expressiven „Cebedeus“ und dem straight forward drängenden „Homeride“. Anders als beim Lisbon Underground Music Ensemble am Vortag greift hier alles harmonisch ineinander, wenn in „Seren“, einem Wechselbad der Gefühle, die singende Geigerin Jelena Popržan ihr Solo hat.
Wenn das stark von George Gershwin inspirierte „A Foxy Day“ den Spaß an der Freud’ aller Beteiligten offenbart und sich Bandleader Cech beim von E-Bass und Piano akzentuiert vor sich hinschunkelnden „Andante im Nebel“ ein kleines Tänzchen nicht verkneifen kann. Und am Ende bei „Shorty“ noch einmal das Blech der Bläser blitzt.
Orchester mit Impro
Ein anderer Kontinent im selben Genre ist mit dem 22 Jahre jungen Norweger Trondheim Jazzorchestra unter der Leitung des Bassisten Ole M Vågan zu entdecken. Das Ensemble mit Top-Improvisationskünstlern aus der gesamten norwegischen Szene hat schon mit Gästen wie Chick Corea, dem Dance-Rock-Trio The MaXx, Pat Metheny und Joshua Redman hochkreativ Projekte realisiert. Nagelneu die Übersetzung von Stücken Morans – einem der führenden amerikanischen Jazzpianisten seiner Generation – ins Orchestrale, wie sie der Komponist bis vor wenigen Tagen wohl selbst noch nicht gehört hat.
Was beim Opener „Ringing My Phone“ wie ein Comicstrip und phasenweise wie die Sendersuche auf Opas Röhrenempfänger klingt. „Skitter In“ vom Album „Black Stars“ (2001) mit seinen Wiederholungen und rhythmischen Strukturen als Schlüsselelementen könnte der Soundtrack für einen Gangster-Film sein.
Schließlich unternahmen gegen Mitternacht der junge Chicagoer Isaiah, Jahrgang 1998, und seine Band The Chosen Few den spannenden Versuch, die klassische Jazz-Moderne à la John Coltrane ins Hier und Jetzt zu transformieren. Was derzeit noch nicht ganz überzeugend vielleicht als „Work in Progress“ zu betrachten ist.
Also alles wieder back to normal? Ja, wenn es um die immer wieder aufs Neue spannende Fährtensuche im Musikuniversum geht.
Aber natürlich nicht, was den gegenwärtigen Zustand der Welt betrifft. Ein Beitrag dazu verzeichnete einen gewaltigen Publikumsandrang. Wegen Überfüllung geschlossen, hieß es Samstag zu später Stunde im Kunsthaus Nexus.
Punk gegen Putin
Festivalleiter Mario Steidl hatte als eine Geste der Solidarität mit der Ukraine und als „ein Statement gegen diesen Angriffskrieg“ die wütenden und regimekritischen Russinnen der 2011 gegründeten Polit-Punk-Band Pussy Riot engagiert.
Die ist ein erklärter Gegner des Autokraten Putin und der orthodoxen Kirche. Ihre musiktheatralische Performance „Riot Days“ zu Videos, laut, perkussiv und von fast schmerzhafter Eindringlichkeit, ist die Nacherzählung einer sehr persönlichen Geschichte von Widerstand, Repression und Revolution.
Die vier Aktivistinnen, derzeit auf Europa-Tournee und am 6. 9. im Porgy & Bess in Wien, sind mutige und wichtige Stimmen des politischen Protests. Die Sturmmasken, quasi ihr Markenzeichen, haben sie mit dabei. Und die Message im Mai in Verkleidung aus dem Hausarrest in Moskau geflohenen Sängerin und Frontfrau Marija Aljochina ist klar: Jeder kann politisch aktiv werden. „Jeder kann Pussy Riot sein.“ Und: „Macht Putin platt.“
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