Helmut Newton: Der zwiespältige Lüstling
Das Bank Austria Kunstforum zeigt eine Best-of-Parade des 2004 verstorbenen Starfotografen. Neue Perspektiven bleiben aus
Kunst und guter Geschmack seien in der Fotografie dreckige Worte, sagt Helmut Newton an einer Stelle der 2020 erschienenen Dokumentation „The Bad and the Beautiful“. Wenn ihm die Kunstwelt auf die Schulter klopfte, habe er das lange wie einen Fleck abgebürstet, sagt Matthias Harder, Chef der Berliner Newton-Stiftung – erst gegen Ende seines Lebens habe der Widerstand nachgelassen. Wobei man sagen muss, dass sich gerahmte Fotos im Großformat natürlich schon auch gut verkaufen lassen.
Überhaupt blieb vieles, was der 1920 als Helmut Neustädter in Berlin geborene Fotograf an Bildern und Zitaten hinterließ, in einem Zwischenraum stecken: Zwischen Kunst-, Mode- und Glamour-Welt, zwischen Realität und Künstlichkeit und, sein Frauenbild betreffend, zwischen dem Vorwurf des Sexismus und der Idee, einen neuartigen Frauentyp geschaffen zu haben. Die Gegenwart, nicht für ihre Fähigkeit zu Ambivalenz bekannt, tut sich daher schwer mit Newton.
Man mag ihn – oder nicht
Leider erscheint die Debatte über die Einordnung und Rezeption des Fotografen, der 1938 über Singapur nach Australien emigrieren musste und ab den 1960ern in Paris als Modefotograf reüssierte, selbst ziemlich festgefahren.
Die Werkschau „Helmut Newton – Legacy“, die das Bank Austria Kunstforum nun in Kooperation mit der Newton-Stiftung präsentiert (bis 15. Jänner), tut nicht viel, um den Karren in Bewegung zu setzen: Sie wirft einfach Arbeiten aller Schaffensphasen – von einer 1955 in Melbourne fotografierten Dame mit Hut bis zum großen Farbbild eines als Leiche inszenierten Magermodels, das Newton 1999 für die italienische Vogue ablichtete – an die Ausstellungswände.
Gegen Geschmacksfragen, siehe oben, wusste sich Newton zu immunisieren. Seine Fähigkeit, durch fotografische Inszenierungen ein Kopfkino in Gang zu setzen, steht dabei außer Zweifel: Die Szene mit einer Frau mit Reitgerte, einer Zofe mit verbundenen Augen und einem Tambourmajor mit hochstehendem, äh, Trommelschlegel, 1969 für Yves Saint Laurent fotografiert, ist nur ein Exempel dafür in der Schau.
Befremdlich wird es nur, wenn suggeriert wird, solche Dinge seien etwas anderes als hoch fetischisierte Männerfantasien. Die Behauptung, die „Big Nudes“ – jene 1981 in Lebensgröße ausgearbeiteten Frauenakte, die in Wien die große Halle dominieren – zeigten Modelle in „kämpferischer Nacktheit, deren Sexualität selbstbestimmt und handlungsaktiv wirkt“, wird durch die Wiederholung nicht weniger abgeschmackt.
In Wirklichkeit zeigte Newton „starke Frauen“ so, wie sich ein Mann mit entsprechenden Vorlieben starke Frauen gerne vorstellt – die überwiegende Mehrheit jener starken Frauen, die keine Amazonenkörper haben und keine Prada-Handtaschen schwingen, werden dadurch kein Stück weit ermächtigt.
Macht Geil
Man muss dem Kunstforum zugutehalten, dass es im Rahmenprogramm – mit Workshops von Vidya Giridharan und Talia Radford, Master-Studentinnen an der Angewandten – auf solche Fragen eingehen will. Ohne Vermittlung aber bleiben viele Pfade verschlossen: Gern würde man die Quellen von Newtons Ästhetik erkunden, in seine Biografie eintauchen, in der die „Verhaltenslehren der Kälte“, die das Berlin der 1920er-Jahre prägten, Spuren hinterließen – wie auch der NS-Körperkult, der auf den Sohn eines jüdischen Knopffabrikanten sehr zwiespältig gewirkt haben muss.
Auch die Kunstgeschichte von Velázquez bis Man Ray, die Newton wie ein Staubsauger inhalierte und adaptierte, gäben Stoff für eine museale Auseinandersetzung her. Ob Newton eine solche verdient hat – und ob er sie selbst gewollt hätte – ist am Ende dieser Schau unklarer als zuvor.
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