Helmut Newtons Fotografien zeigen „nichts politisch Inkorrektes"

Kunstforum-Chefin Ingried Brugger über das Oeuvre des berühmten Fotografen, über Sexismus, Wokeness und die Probleme an den Kunstunis.

Helmut Newton  (1920-2004) hat die Bilder von Frauen geprägt – als luxuriös  schön und (oft) kämpferisch nackt. Viele seiner Arbeiten und Porträts drehen sich um die Welt von Geldadel,  Jetset, Glamour und Schmuck. Newton ist unter anderem bekannt für große Akte, die ihn zur kontroversiellen Figur zwischen Faszination und Provokation machten.

©APA/AFP/FRANCOIS GUILLOT

Hält sein Œuvre der Gegenwart und ihren Diskussionen stand? Kunstforum-Chefin Ingried Brugger, die ab 19. Oktober die große Ausstellung "Helmut Newton Legacy" zeigt, im Interview über Sexismus, Wokeness, Magersucht-Vorlagen, neuen Feminismus und die Probleme an den Kunstunis.

So würde heute niemand mehr fotografieren, oder?
Ingried Brugger: Nein, natürlich nicht. Avancierte Modefotografie sieht heute anders aus. Obwohl Helmut Newton vieles von dem, das heute die Ästhetik der Modefotografie ausmacht, vorbereitet und ausgeführt hat. Er hat die Modefotografie neu erfunden, revolutioniert. Er hat einen Meilenstein dadurch gesetzt, dass er das Narrativ in die Modefotografie gebracht hat. Hier hat er die Grenze zur Kunst überschritten. Und hier spiegelt sich auch sein Frauenbild: Er befreit das Model davon, einfach nur das Kleid zu tragen, und erzählt von ihrem Dasein. Er hat die Frau und ihren Charakter, so wie sie ist, ihre Persönlichkeit in der Modefotografie in den Mittelpunkt gestellt.
Aber oft sind es gerade die Revolutionäre von einst, von denen man sich später abstoßen muss. Diese Form der Darstellung der Stärke von Frauen – wunderschön, und oft nackt – gibt es heute längst nicht mehr.
Ja, es war logisch, dass man sich in den Debatten von heute an Newton reibt – das war aber auch damals schon so. Durch diese Bilder weht der Geist der 70er-, 80er-Jahre, dieses letzte Viertel des 20. Jahrhunderts. Da ist James Bond genauso drinnen wie Geldverdienen – ein Thema, mit dem man sich heute ja auch verdächtig machen kann. Ich finde das super, es ist gewissermaßen eine versunkene Welt.
©Sigrid Mayer/BA-Kunstforum Wien
Eine weniger komplizierte?
Es hat sich damals niemand um die Umwelt geschert. Heute müssen wir lauter recycelte Fetzen anziehen. Und im Bereich der Mode ist die Eleganz kein Thema mehr. Wir leben in keiner eleganten Zeit.
Wo haben wir die abgestellt?
In einer – natürlich vollkommen berechtigten – Revolution gegen alles Etablierte. Im Punk, im Sich-Abarbeiten an den Eltern. Da wurde eben auch ein Bild von Eleganz in Frage gestellt, für das Newton noch steht. Man hebt sich ab von dem, was die Generation zuvor noch schön gefunden hat. Newton hat die Zeit der Supermodels vorweggenommen. Auch die ist heute vorbei.
Weil sich junge Frauen heute nicht mehr auf Schönheit reduzieren lassen wollen?
An diesen Ikonen von Helmut Newton, die einem angezogen oder auch nackt gegenüber treten, ist nichts Sexistisches, nichts Rassistisches, nichts politisch Inkorrektes, wo man mit einer Wokeness-Debatte ansetzen könnte Das sind angezogen und ausgezogen starke Persönlichkeiten, die ein emanzipatorisches Bewusstsein, das die Modefotografie nicht gekannt hatte, in ein durchaus elitäres Feld hineintragen. Sie sind das Gegenteil von Objekten.
©Helmut Newton Foundation
Aber diese Form des emanzipatorischen Bewusstseins – Frauen zeigen sich als stark und selbstbestimmt, dazu gehört auch Nacktheit -, dieser klassische Feminismus wird doch heute gerade von einem neuen Feminismus abgelöst. Und der findet Sexismus dort, wo der klassische Feminismus noch „Selbstbestimmung“ gerufen hat.
Innerhalb der Diskussionen des neuen Feminismus – über den man sicher diskutieren kann – schaut Helmut Newton vielleicht nicht gut aus. Aber dieser Feminismus funktioniert ja nur auf Basis dessen, was die Emanzipationsgeschichte der Frau in den letzten 150 Jahren geleistet hat. Die Geschichte des Feminismus ist eine ziemlich kurze. Und in Wirklichkeit haben wir es immer noch nicht geschafft. Wo wären wir, wenn es den klassischen Feminismus nicht gegeben hätte? Was man in den 70ern alles machen musste, welche Demos, um so weit in der Selbstbestimmung zu kommen!
Heute würde man fragen: Wie selbstbestimmt ist es, sich von einem – Vorsicht, Kampfbegriff! – alten, weißen Mann fotografieren zu lassen?
Das ist mir wirklich zu blöd.
©EPA/WALTER BIERI
Aber es ist ein Kern der heutigen Debatte – der weiße Mann in einer Machtposition, hier: gegenüber den Frauen vor der Kamera.
Die Diskussion ist wahnsinnig wichtig. Der klassische Feminismus hat natürlich bewirkt, dass man so etwas überhaupt zur Sprache bringen kann. Aber das Werk Helmut Newtons auf das zu reduzieren, ist eigentlich degoutant. So verliert man etwas. Nämlich die Möglichkeit, anhand der Bilder von Helmut Newton immer noch etwas zu entdecken, Freude zu haben oder einfach gute Fotografien anzuschauen.
©Helmut Newton Foundation
Die Menschen darauf sind halt schon sehr, sehr schön – für viele unrealistisch schön. Heute geht man mit Körperbildern viel sensibler um.
Also ehrlich gesagt, wenn ich mir ansehe, mit welcher Rasanz sich neue Seuchen wie Adipositas entwickeln, sind manche Werbungen von heute auch das falsche Vorbild.
Aber für viele Mädchen und Frauen war der Schönheitsdruck der 80er, 90er gefährlich. Und Newton hat hier schon ein unrealistisches Ideal mitgeprägt.
Ich glaube nicht, dass diese Bilder Magersucht-Vorlagen sind. Man darf ja nie vergessen: Newton ist ein unglaublich exakter, präziser und sehr begabter Regisseur. In den Bildern geht es um anderes, um eine Welt, die man vielleicht schon erreichen will – es geht nicht nur um die Schönheit des Körpers, sondern um die Schönheit des Designs, um eine Welt des Reichtums und der Perfektion, die man erreichen wollte und ich glaube auch heute noch erreichen will. Nur traut man es sich nicht mehr zu sagen. Und man kann es auch fast nicht mehr sagen angesichts dessen, was wir an der Welt verbrochen haben und verbrechen werden.
©Helmut Newton Foundation
„Nicht mehr sagen können“ ist ein gutes Stichwort. Newton war immer Provokateur. Aber die Reaktion auf Provokation hat sich zuletzt stark gewandelt: Auf Provokation jeder Art folgt fast schon automatisch online kampagnisierter Vernichtungswille. Ist das gefährlich für ein Werk wie das Newtons – oder vielleicht sogar gut?
Ich habe darüber schon oft nachgedacht. Aber ich kann bei Newton auch etwa mit einer #MeToo-Thematik nichts anfangen. Das ist ein großes Missverständnis. Wenn wir von Emanzipation reden, dann gehört Newton - in einer Nische – selbst dazu.
Das erfordert aber eine sehr differenzierte Auseinandersetzung mit Newtons Werk – dafür sind die Sozialen Medien nicht bekannt.
Soziale Medien haben in diesen Diskussionen viel bewirkt – aber das war nicht immer zum Besten. Es ist natürlich richtig, dass viele Menschen heute eine Gesellschaft wollen, in der mehr möglich ist, nicht nur an Gleichberechtigung der Frau, sondern auch an sexuellen und Geschlechter-Möglichkeiten. Aber es ist auch richtig, dass der Feminismus heute in einzelnen Gruppen ziemlich radikal agiert.
In diesen Gruppen wird das Erbe des Herrn Newton wohl an der Grenze stehen. Und gerade an den Kunstunis sind solche Debatten stark.
Dort ist durch die Abschaffung der klassischen Meisterklassen in kürzester Zeit vieles zerstört worden! In Wien war man stolz darauf, dass Daniel Richter eine geleitet hat – aber eben alter, weißer Mann. Man schafft an den Kunstunis durch die Verwissenschaftlichung, die mit Kunst nur zum Teil zu tun hat, vollkommen andere Voraussetzungen der Produktion, des Sehens, der Ästhetik und auch des Wollens. Kunst war noch nie so unpolitisch wie heute. Und diese klassische feministische Kunst ist natürlich auch längst vorbei. Da geht etwas verloren.
Und was?
Kunst hat allerweil noch das Potenzial, Gesellschaft zu reflektieren, Menschen zu beglücken. Die Menschen haben in meiner Gerhard-Richter-Ausstellung geweint, weil es einfach so schön war. Auch das kann Kunst. Wenn man das alles nicht mehr möchte, dann muss man an eine Kunstuni gehen.
Aber ist Kunst nicht gerade jetzt durchzogen von ganz viel Politik – siehe etwa die documenta-Debatte, wo es heftige Antisemitismus-Vorwürfe und Rücktritte gegeben hat?
Diese Debatte ist mir zu einseitig, zu einfach entschieden worden – unter einem Druck, den man auch hinterfragen muss. Nein, es ist sicher richtig, dass Antisemitismus nicht geht. Aber deswegen eine Institution wie die documenta in Frage zu stellen und es nicht anders zu lösen, halte ich für übertrieben. Das wäre vor zehn Jahren nicht der Fall gewesen. Ich glaube, dass man damit anders und souveräner umgehen muss. Vielleicht ist es aber auch so, dass es notwendig ist, dass man auf all diese Dinge so schnell reagiert.
Sie sprechen den öffentlichen Druck an – der für Einzelpersonen oft tragische Ausmaße annimmt. Aber warum sind selbst so große Institutionen so schreckhaft, wenn sich online Sturm regt?
Ich glaube, man hat Angst vor einer öffentlichen Meinung.
Vor dem Shitstorm.
Ja. Als wir im Kunstforum Balthus gezeigt haben (2016, Anm.), gab es eine heftige Diskussion. Da ging es um diesen späten Fotozyklus – alter, weißer Mann! -, wo er dieses zehnjährige Mädchen fotografiert hat. Da war auch immer die Mutter dabei, das sind keine pornografischen Fotos. Ich habe nie in meinem Leben so intensive und sensible Bilder zum Thema Erwachsenwerden gesehen. Die Medien haben gewettert. Mir war das vollkommen egal. Aber man hat ganze Balthus-Ausstellungen in Deutschland abgesagt. Geht’s noch?
Georg Leyrer

Über Georg Leyrer

Seit 2015 Ressortleiter Kultur und Medien, seit 2010 beim KURIER, seit 2001 Kulturjournalist. Zuständig für alles, nichts und die Themen dazwischen: von Kunst über Musik bis hin zur Kulturpolitik. Motto: Das Interessanteste an Kultur ist, wie sie sich verändert.

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