Was Macht mit Intuition zu tun hat
Das Geschlecht hat keinen Einfluss auf sensible Fähigkeiten. Vielmehr spielt Macht eine Rolle, hat eine Autorin nun ergründet.
Ein Bauchgefühl. Eine Vorahnung. Die Gefühle von anderen lesen können. So werden die Fähigkeiten von Frauen beschrieben, die sich mit dem Begriff "weibliche Intuition" durchgesetzt haben. Doch Intuition ist gar nicht weiblich, sagt die in England geborene und in Amerika lebende Autorin Rose Hackman und geht in ihrem neuen Buch "Emotional Labour" (dt. emotionale Arbeit, erschienen im Verlag Flatironbooks) noch einen Schritt weiter: Weibliche Intuition sei nämlich die Intuition "der Untergeordneten". Eine These, die polarisiert.
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Die Männer-Managerin
Es begann mit einem Satz aus ihrer Teenagerzeit. Rose war damals 18 und mit ihrer Mutter im Auto. Ihr Freund rief an, aufgeregt, panisch. Er hatte Freunde eingeladen, aber wüsste doch gar nicht, wie er Huhn kochen sollte. Er wusste überhaupt nichts. In ruhigen Sätzen erklärte Rose, was sie tun würden. Und ihr Freund beruhigte sich. Nach dem Auflegen meinte ihre Mutter: "Du bist eine exzellente Männer-Managerin."
Damals war Rose stolz. Heute ist sie misstrauisch. Denn war der Begriff "Männer-Managerin" nicht vor allem Ausdruck dafür, dass junge Mädchen weiter dazu erzogen wurden, "Energie, Mühe und Zeit in den Aufbau einer angenehmen Gefühlswelt für die Gruppe" zu stecken? Die "emotionale Arbeit" alleine zu schultern? Ist Intuition wirklich weiblich?
Untergeordnete sind feinfühliger
Nein, erkannte sie im Zuge ihrer Buchrecherche, in der sie auch auf die Studie von Psychologin Sara Snodgrass stieß. Snodgrass hatte 1895 Frauen und Männer in Paare eingeteilt und je einer Person nach dem Zufallsprinzip die "Führungsposition", der anderen die "untergeordnete" Rolle zugewiesen. Das Ergebnis: Egal ob männlich oder weiblich – die Person, die als "untergeordnete" Person eingestuft war, war aufmerksamer und einfühlsamer gegenüber den Gefühlen der "führenden" Person.
Es macht Sinn, schreibt Rose Hackmann in "Emotional Labour", dass jene Menschen, mit weniger Macht in einer Gruppe, sich auf die "Emotionen, Handlungen oder potenziellen Handlungen derjenigen mit mehr Macht" einstellen müssen – "aus Angst vor Gewalt, Bestrafung, Irrelevanz oder dem Abschneiden vom Zugang zu Ressourcen".
Anlage oder Sozialisation
Doch nur darauf möchte sich Psychotherapeutin Ines Gstrein vom Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie Intuition nicht beschränken. "In die Intuition fließen mehrere Aspekte." Zusätzlich zu Hackmans Überlegungen spielt die Sozialisation eine große Rolle: "Mädchen dürfen traditionell immer noch mehr Gefühle zeigen als Buben." Und es geht auch um biologische Faktoren: "Männer haben beispielsweise zehn Mal mehr Testosteron in sich als Frauen, das wirkt sich auf ihr Verhalten aus."
Darüber hinaus tritt Feinfühligkeit als Kompensationsstrategie bei Gefahr auf. „Wer unter Gewalteinfluss aufwächst, entwickelt sensible Antennen.“ Wenn ein Kind lernt, dass ein bestimmter Blick der Eltern bedeutet, dass sie laut oder gewalttätig werden, scannt das Kind stets nach diesem Blick und verhält sich so, dass dieser Blick nicht auftaucht. "Dabei übernimmt das Kind Verantwortung für die Emotionalität der Mutter oder des Vaters. Hier ist Feinfühligkeit eine Trauma-Reaktion. Mit weiblicher Intuition im engsten Sinn hat das nichts zu tun."
Alle profitieren von Intuition
In einem Punkt stimmt Gstrein Hackman jedenfalls zu: "Intuition ist keine weibliche, sondern eine menschliche Eigenschaft." Und sie ist überzeugt: Die Welt würde davon profitieren, wenn sich alle mehr auf ihre Gefühle, ihre Eingebung verlassen dürften. Einerseits weil immer wieder Männer zu ihr in die Praxis kommen, die unter dem Nicht-Spüren-Dürfen zusammenbrechen. Andererseits, weil die Gesellschaft in größerer Balance zwischen rationalem und intuitivem Wissen wäre.
Die Sprache des anderen
"Derzeit", meinte Meryl Streep zur Premiere des Films "Die Verlegerin" (orig. „The Post“), "ist es so, als ob Frauen die Sprache der Männer gelernt haben."
"Wenn man eine Sprache lernt, zum Beispiel Französisch, dann ist es nicht wirklich die eigene Sprache, bis man in ihr träumt. Und der einzige Weg, in der Sprache zu träumen ist, sie zu sprechen. Frauen sprechen Männer. Aber Männer sprechen nicht Frauen."
Noch nicht - würde sich Rose Hackman wünschen.
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