Fotoausstellung: Weit mehr als 50 Schattierungen von Grau
„Michael Schmidt“ (bis 26. 6.) in der Albertina.
Er wurde als Autodidakt zu einem der bedeutendsten Fotokünstler weltweit. Nachdem er den Polizeidienst quittiert hatte, fotografierte Michael Schmidt (1945– 2014) jahrzehntelang nur in einem plakativen, hart kontrastierten Schwarz-Weiß – vor allem das Berlin der Nachkriegszeit.
Der gebürtige Kreuzberger galt als bester Porträtist der Alltagswirklichkeit, einer Tristesse West vor der Wiedervereinigung, und sagte: „Ich betrachte die Schwarz-Weiß-Fotografie, so wie ich sie betreibe, als eine Farbfotografie.“ Und die hatte bei ihm einen bis heute unvergleichlichen Reichtum an Grauwerten aufzuweisen.
In der Pfeilerhalle widmet die Albertina bis 26. Juni dem deutschen Fotografen eine große Retrospektive mit fast 300 Arbeiten, der über Jahre beeindruckend ins Bild gesetzt hat, wie sich das Leben in Berlin in der Vorwendezeit und des Mauerfalls anfühlte.
Zu sehen sind menschenleere Architekturen, wüste Brachen, vom Bombenkrieg planierte Flächen der südlichen Friedrichstadt, Ruinen wie das mit Gras bewachsene Portal des Anhalter Bahnhofs – alles klar und sachlich dokumentiert. Ebenso Menschen in Doppelporträts in privater Umgebung und am Arbeitsplatz.
Chronist Berlins
Im New Yorker Museum of Modern Art war bereits 1988 Schmidts Opus magnum, der große „Waffenruhe“-Zyklus, ausgestellt, von dem die Albertina in den letzten Jahren durch Ankäufe 24 Arbeiten erwerben konnte.
Die Serie – Bild gewordene Düsternis mit Mauer, Graffiti, Stadtnatur, Infrastruktur, Punks, teils grell geblitzt und unkonventionell ausgeschnitten, ist auch als Buch erschienen. Der Regisseurs Einar Schleef steuerte die Prosa bei.
Politisch zu lesen ist auch die aus 163 Einzelbildern bestehende Serie „Ein-heit“ (1991–94), bei der die deutsch-deutsche Geschichte ins Zeichenhafte gehoben wird: Porträts und Detailaufnahmen von Schmidt in Kombination mit Reproduktionen historischer Persönlichkeiten und Symbolen ab den 1930er-Jahren.
„Sehr medienreflexiv geht es hier um deutsche Geschichte“, sagt Kurator Walter Moser. „Es ist fast unmöglich, dabei nicht an Gerhard Richter zu denken.“
Für Aufsehen sorgte kurz vor seinem Tod schließlich auch seine Serie „Lebensmittel“ (2012): Dafür hatte er in Lachsfarmen, Brotfabriken, landwirtschaftlichen Betrieben und Schlachthöfen – erstmals teilweise in Farbe – dokumentiert, wie Lebensmittel industriell produziert werden. Gruselig, das eingeschweißte Fleisch, ein Apfel oder die eingefärbten Paradeiser in Plastikfolie in knalligem Bunt.
„Wenn man meine Sachen sieht, gibt es in meiner Arbeit nur Brüche und scheinbar gar keine Konsequenz“, sagte Schmidt. Genauer betrachtet, sind aber gerade die Brüche das künstlerisch Konsequente.
Sachlich und distanziert
Das macht die Schau so faszinierend: Sie präsentiert Fotografien, die zutiefst persönlich, politisch und poetisch sind. Sie erzählt von gesellschaftliche Umbrüchen, von den Lebensbedingungen in der Stadt und in der Provinz, vom Aufbruch. Sie zeigt ein Werk, das zeitlos und sperrig ist und kein bisschen an der Oberfläche bleibt.
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